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China auf Reformkurs

Führung setzt auf staatliche Steuerung, Marktwirtschaft und soziale Stabilität

Von Werner Birnstiel *

Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas will die Reformen »umfassend vertiefen«. Mit einem Kommuniqué endeten am Dienstag in Peking viertägige Beratungen des hohen KP-Gremiums.

Fast genau 35 Jahre nach der Verkündung des Reform- und Öffnungskurses hat das Zentralkomitees der KP marktwirtschaftliche »Reformorientierungen« für die kommenden zehn Jahre beschlossen. Diese sollen die Strukturveränderungen in der Wirtschaft durchsetzen, »Stabilität wahren« und so den bis 2020 angestrebten »bescheidenen Wohlstand« für Chinas Bevölkerung sichern. Es seien so umfassend angelegte Reformschritte wie nie zuvor verabschiedet worden, so die ersten Wertungen in Peking.

Tatsächlich geht es um die Modernisierung von Strukturen, weg vom unmäßigen Verbrauch von Rohstoffen und Basismaterialien, von riesigen Überkapazitäten bei der Stahlerzeugung, von der Produktion einfacher Maschinen und minderwertiger Produkte in etlichen Bereichen der Konsumgüterindustrie. Schwerpunktmäßig neue Strukturen sollen entstehen beim Auf- und Ausbau des Umweltschutzes, bei der Erzeugung und Nutzung erneuerbarer Energien sowie im Sozialbereich mit dem Ausbau der Renten- und Krankenversicherungssysteme, der medizinischen Versorgung und dem Zugang zu Bildung für Kinder aus sozial schwächeren Familien. Ferner sollen 36 Millionen Sozialwohnungen bis Ende 2015 gebaut und deren gerechtere Verteilung sichergestellt werden.

In der Landwirtschaft stehen Reformen an, die für die etwa 650 Millionen Landbewohner existenzielle Bedeutung haben. Ihr Pro-Kopf-Einkommen betrug 2012 umgerechnet rund 990 Euro, während es in den Städten mehr als drei Mal so hoch war. Unumgänglich ist inzwischen, die oft zu kleinen Familienbetriebe in »ländliche Betriebe« umzuwandeln, die technisch und finanziell konkurrenzfähig sind. Dabei geht es nicht um eine Wiederbelebung des »Volkskommune«-Gedankens aus den 1950er Jahren, sondern um die Schaffung von Landwirtschaftsbetrieben, die unternehmerisch geführt werden und finanziell in der Lage sind, modernes Gerät, Düngemittel und hochwertiges Saatgut zu kaufen, den Tierbesatz zu optimieren und effektive Anbau- und Erntemethoden sowie Verarbeitungstechnologien zu beherrschen. Ob der Besitz an Grund und Boden als individuelles oder kollektives Eigentum der Bauern oder als staatlicher Besitz festgelegt wird, bleibt noch in der Diskussion.

Deutlich wird, dass Veränderungen in der Finanzpolitik inzwischen zu einem der wichtigsten Erfordernisse bei der Weiterführung des Reformkurses geworden sind. Ziel ist, durch die Gründung kleiner örtlicher Privatbanken die Kreditpolitik flexibler zu gestalten, so die Liquidität kleiner Unternehmen zu erhöhen und in großer Zahl mittelständische Betriebe zu fördern, die hochwertig produzieren, innovativ sind und in Größenordnungen qualifizierte Arbeitsplätze schaffen. Damit soll die Dominanz der Großbanken beschnitten werden, die bisher ihre Kredite lieber an große Staatsbetriebe ausreichten, denn da springt der Staat bei Pleitegefahr ein.

Zweistellige Wachstumsraten gehören in China der Vergangenheit an. Die Geldmarktpolitik soll dazu beitragen, dass 7,5 Prozent jährliches Wirtschaftswachstum die qualitative Entwicklung befördert. Im Kern geht es nun stärker denn je darum, das dynamische Verhältnis zwischen makroökonomischer Steuerung und marktwirtschaftlicher Entfaltung zu definieren, zu gestalten und dabei die soziale Stabilität weiter auszuprägen. Für Peking bedeutet das vor allem die Ausweitung und Vertiefung der politischen und sozialen Reformen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. November 2013


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