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China setzt auf Ökologie

Sauberer wachsen: Umgerechnet 344 Milliarden Euro will Peking für bessere Luft- und Wasserqualität ausgeben. Riesensummen auch für Bahnausbau

Von Wolfgang Pomrehn *

China will seiner Wirtschaft mit mehr Umweltschutz Beine machen. Mindestens drei Billionen Yuan (rund 370 Milliarden Euro) sollen in den nächsten Jahren in Verbesserung der Luftqualität, sparsameren Energieeinsatz und besseren Wasserschutz investiert werden, hatte der Staatsrat (die Regierung) in Peking Ende Juli beschlossen. Zugleich wurden auch größere Investitionen in den Ausbau der Eisenbahn auf den Weg gebracht. Dieser Wirtschaftsbereich soll erstmals für private Unternehmen geöffnet werden.

Nach einem schweren Zusammenstoß zweier Hochgeschwindigkeitszüge mit Dutzenden Todesopfern in der Nähe von Schanghai hatte es vor zwei Jahren vorübergehend einen Baustopp für das ehrgeizige Schnellzugprogramm des Landes gegeben. Untersuchungen deckten Schlampereien und auch schwere Korruption auf. Erst vor einem knappen Monat war der ehemalige Eisenbahnminister Liu Zhijun wegen Bestechung und Machtmißbrauch zum Tode verurteilt worden, wobei die Vollstreckung allerdings ausgesetzt wurde. Effektiv bedeutet das so viel wie eine lebenslange Haftstrafe.

Wegen der Korruptionsfälle wurde das Ministerium inzwischen aufgelöst, die Überwachung des Eisenbahnwesens vom Betrieb getrennt. Das Investitionsprogramm war bereits vor etwa einem Jahr wiederaufgenommen worden, wird aber noch einmal deutlich aufgestockt. Bisher waren im Fünfjahresplan, der bis 2015 läuft, 2,8 Billionen Yuan (344 Milliarden Euro) für Ausbau und Erneuerung des Eisenbahnnetzes vorgesehen. Diese Summe soll nun um 500 Milliarden Yuan (61,5 Milliarden Euro) erhöht werden. Zugleich wurden auch vermehrte Ausgaben für U-Bahnen und Pendlerzüge angekündigt. Erklärtes Ziel ist es unter anderem, die Urbanisierung mit diesen Programmen voranzutreiben.

Die angekündigten Maßnahmen reichen bisher bei weitem nicht an das Konjunkturprogramm heran, mit dem die chinesische Regierung im Herbst 2008 die Volkswirtschaft des Landes auf Trab gebracht und damit den Absturz der Weltwirtschaft im Krisenausbruchsjahr erheblich abgemildert hatte. Umgerechnet rund 460 Milliarden Euro waren innerhalb von zwei Jahren zusätzlich ausgegeben worden. Auch damals standen Infrastrukturmaßnahmen im Vordergrund.

Die jetzigen Stimuli halten Beobachter dagegen eher für wohldosierte Signale an den Markt, die Vertrauen schaffen sollen. Das scheint auch dringend nötig. Wie es derzeit aussieht, könnte das diesjährige Wachstumsziel beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 7,5 Prozent verfehlt werden. Der Zuwachs des BIP war in neun der letzten zehn Quartale rückläufig gewesen. Ein entsprechender Index der in Hongkong und China traditionell sehr aktiven britischen Großbank HSBC (ehemals Hongkong & Shanghai Banking Corporation) deutete im Juli auf eine weitere Verlangsamung hin. Die Ausfuhren gingen im Juni gar um 3,1 Prozent zurück. Unterdessen zeigt der fallende Preis für chinesische Kraftwerkskohle, daß der Energiebedarf der Industrie sinkt, was ein weiteres Zeichen für verringertes Wachstum wäre.

Aber auch ohne Sorge um die Wirtschaft hat die Volksrepublik gewichtige Gründe für ihr Investitionsprogramm. Das Eisenbahnnetz ist gemessen an der Größe des Landes immer noch klein, auch wenn die Züge inzwischen meist deutlich schneller als in manchem europäischen Land verkehren. Derzeit gibt es 98000 Schienenkilometer, bis 2015 sollen es 123000 Kilometer werden. Auch das wäre für ein Land, das mehr Fläche als Europa hat und dessen Bevölkerung mehr als doppelt so groß wie die der EU ist, nicht gerade viel. Zum Vergleich: Das deutsche Streckennetz umfaßt nach Jahrzehnten des Verfalls und der Stillegungen noch immer rund 36000 Kilometer, wobei Deutschlands Staatsgebiet nur rund 3,8 Prozent des chinesischen ausmacht.

Der Nachholbedarf ist weiter enorm, zumal das Land bisher kein auch nur im entferntesten mit mitteleuropäischen Verhältnissen vergleichbares Autobahnnetz hat. Ohnehin scheint es in China einigen Verantwortlichen inzwischen klarzuwerden, daß der motorisierte Individualverkehr nicht der Weisheit letzter Schluß ist. Kürzlich stoppte das chinesische Umweltministerium sogar die Ausbaupläne eines BMW-Gemeinschaftsunternehmens wegen Verstößen gegen Umweltschutzauflagen. »In einem BMW zu fahren und dabei verschmutztes Wasser zu trinken, ist nicht gerade die Art von Industrialisierung, auf die wir uns freuen«, kommentierte Umweltminister Zhou Shengxian seine Entscheidung in einem Interview mit der Zeitung People’s Daily. Einige Städte haben in den letzten Monaten damit begonnen, die Zahl der Neuzulassungen von Pkw zu beschränken, um die oft extreme Luftverschmutzung einzudämmen.

Letztere ist auch als wichtiges Motiv für die angekündigten Investitionen im Energiesektor zu sehen. In den Städten Nordchinas, so hat kürzlich eine internationale Studie ergeben, haben die Abgase aus Kraftwerken, Hochöfen und dem Straßenverkehr zwischen 1980 und 2001 die Lebensspanne der Einwohner um durchschnittlich fünf Jahre verkürzt. Die Wissenschaftler hatten die offiziellen Gesundheitsstatistiken der Volksrepublik aus dieser Zeit ausgewertet. Trotz gezielter Bemühungen, besonders schlimme Kraftwerke und Industrieanlagen stillzulegen, ist die Situation seit dem eher schlimmer geworden. Einer anderen Studie zufolge sterben jährlich 1,2 Millionen Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 7. August 2013


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