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Groteske Provokation

Washingtons jüngste Konfrontationen mit Peking basieren auf Verkennung neuer Kräfteverhältnisse in der Welt

Von Rainer Rupp *

In ihren Beziehungen zu China hat die Obama-Administration in diesem Jahr, insbesondere aber in den letzten Wochen, nicht nur eine härtere Tonart angeschlagen, sondern teils ganz bewußt Peking provoziert. Die Washington Post meinte am vergangenen Freitag, daß dies »Ausdruck eines diplomatischen Balanceaktes« sei, bei dem die USA einerseits »Chinas Aufstieg in einigen Bereichen begrüßen, aber auch nicht davor zurück schrecken, Konfrontation mit Peking zu suchen, wenn es mit amerikanische Interessen kollidiert«. So habe Washington in jüngster Zeit eine »neue China-Politik demonstriert«, die u.a. Chinas Anspruch auf Souveränität über das Südchinesische Meer zurückweise und stattdessen sogar US-amerikanische Sicherheitsinteressen in der Region reklamiere.

USA schüren Zwietracht

Teil dieser Politik ist der Versuch Wa­shingtons, die Regierung Chinas vor anderen asiatischen Ländern als unverantwortlich hinzustellen. Als Begründung dient, daß Peking (ebenso wie Rußland) von der Verantwortung Nordkoreas für den Untergang des südkoreanischen Kriegschiffes »Cheonan« am 26.März nicht überzeugt ist, und sich weigert, Pjöngjang zu verurteilen. Dessen angebliche Schuld an dem Zwischenfall hatten amerikanische und südkoreanische Experten im Mai gemeinsam festgestellt. Zur großen Verlegenheit Washingtons kommen in letzter Zeit sogar in südkoreanischen Medien zunehmend Experten zu Wort, die auf die zahlreichen Widersprüche in den »unwiderlegbaren Beweisen« - so US-Außenministerin Hilary Clinton - im offiziellen Untersuchungsergebnis hinweisen.

Inzwischen hat Washington die Forderungen Chinas, Flottenmanöver im Gelben Meer zu beenden, ignoriert und zur militärischen Einschüchterung Nordkoreas gemeinsam mit Südkorea Ende Juli die seit vielen Jahren größte Seekriegsübung unmittelbar vor Pekings Haustür abgehalten. Für den chinesischen Sicherheitsexperten Shen Dingli von der Fudan-Universität in Schanghai war dieses US-Manöver im Gelben Meer eine schwere Provokation, in der Dimension vergleichbar nur noch mit der Stationierung von sowjetischen Atomraketen auf Kuba 1962. Das führte damals zu der für die ganze Welt hochgefährlichen Kuba-Krise.

Nicht nur in den chinesischen Medien schlagen die Wellen der Empörung über die verschiedenen US-amerikanischen Versuche, »China einzudämmen«, sehr hoch. In einer für Peking ungewöhnlich direkten Erklärung warf das chinesische Außenministerium den USA vor, in der Frage des Südchinesischen Meers zu versuchen, Unsicherheit und Zwietracht im Verband der Südostasiatischen Nationen (ASEAN) zu schüren. Außenminister Jang Jiechi beschuldigte Washington, gemeinsam mit anderen Ländern Front gegen China machen zu wollen.

Im Gegenzug warnte die Obama-Administration Peking, die USA könnten im Rahmen des vom US-Kongreß abgesegneten neuen Iran-Embargo-Gesetzes Strafmaßnahmen gegen Unternehmen aus China und anderen Ländern verhängen, sollten diese weiter Handel mit Iran betreiben. In Verkennung des Kräfteverhältnisses glaubt Washington, sich weiterhin anmaßen zu können, US-amerikanisches Recht zu internationalisieren und Unternehmen anderer Länder nach Gutdünken zu bestrafen, indem diese z.B. keinen Zugang zum amerikanischen Markt erhalten.

Irans Handelspartner

Hauptsorge Washingtons ist, daß chinesische Firmen in das Vakuum vorstoßen, das durch den Rückzug amerikanischer Tochtergesellschaften in der EU und anderer westlicher Partner vom iranischen Markt entsteht. »Wir wollen, daß China als Mitglied des UN-Sicherheitsrats seine Verantwortung anerkennt und nicht durch die Hintertür die Maßnahmen jener verantwortlichen Regierungen konterkariert, die sich von Iran distanzieren«, erklärte jüngst Robert Einhorn, Sonderberater für Nichtverbreitung und Rüstungskontrolle im US-Außenministerium zu diesem Thema. Einhorn, der sich derzeit auf seinen Besuch in Peking vorbereitet, wird es dort voraussichtlich nicht einfach haben.

Peking lehnt jegliche unilateralen Sanktionen gegen Iran - sowohl die der USA wie die der EU - strikt ab. Als einer der wichtigsten Handelspartner Teherans hat China nach Angaben des stellvertretendem iranischen Ölministers Hossein Noqrehkar Shirazi bereits 40 Milliarden US-Dollar in den Öl- und Gas-Sektor investiert und weitere zehn Milliarden Dollar Investitionen in neue Raffinerien, in die Petrolchemie und in Pipelines fest geplant. Erschwerend kommt für die US-Administration hinzu, daß Washington zugleich der NATO-Verbündete Türkei aus dem Ruder läuft. So konnte Iran im Juli trotz Verhängung des unilateralen US-Embargos eine Hälfte seines Bedarfs an Benzin durch Importe aus der Türkei und die andere Hälfte aus China decken.

Es erscheint grotesk, daß die wirtschaftlich bankrotte Supermacht USA, die auf Pump funktioniert, ihren Hauptgeldgeber China nicht nur politisch provoziert, sondern auch glaubt, Peking zwingen zu können, gegen die eigenen Interessen in Iran und Nordkorea zu handeln. Die Zeiten, in denen Washington das Stöckchen hinhielt und alle sprangen, sind aber vorbei. Das ahnte auch Daniel Glaser vom US-Finanzministerium, als er unlängst den Kongreß warnte, es werde schwer sein, die Länder Asiens, des Mittleren Ostens und Südamerikas für die US-Iran-Sanktionen »an Bord« zu bekommen.

* Aus: junge Welt, 5. August 2010


USA-China: Zusammenstoß in Hanoi

Am 23. Juli erklärte US-Außenministerin Hillary Clinton vor dem 17. Regionalforum des Verbandes Südostasiatischer Nationen (ASEAN) in Hanoi, daß die Vereinigten Staaten in Bezug auf das Südchinesische Meer »einen gemeinsamen diplomatischen Prozeß von allen Anspruchsberechtigten zur Lösung der verschiedenen territorialen Streitigkeiten ohne Ausübung von Zwang unterstützen«. Sie würden sich »der Anwendung oder Androhung von Gewalt durch jedweden Anspruchsberechtigten« widersetzen. Die Äußerung Clintons löste in Peking ein wütendes Echo aus.

Bei den Streitigkeiten geht es um die Hoheitsrechte über Hunderte kleiner, unbewohnter Inseln und Felsen, unter denen große Öl- und Gasvorkommen vermutet werden. Zu allem Überfluß meldete Clinton auch US-amerikanische Sicherheitsinteressen im Südchinesischen Meer an. Sie macht sich um die Freiheit der Seefahrt dort Sorgen.

Was die Chinesen insbesondere zur Weißglut brachte, war die Tatsache, daß Clinton in ihrer eindeutig an die Adresse Chinas gerichteten Rede, ihre »Sorgen«, Mahnungen und Warnungen vor Erpressungsversuchen und Gewaltanwendung mehrfach wiederholte. Offensichtlich sollte damit unter ASEAN-Mitgliedern der Eindruck erweckt werden, China benutze seine neu gewonnene ökonomische Macht dazu, eigene Interessen in der Region mit Drohungen und Gewalt durchzusetzen. Frau Clinton spielte jedenfalls auf diese Weise wieder die USA als »Beschützer« in Asien in den Vordergrund.

In einer ungewöhnlich direkten Antwort auf Clintons Unterstellungen wies der chinesische Außenminister Jang Jiechi, der an dem Forum in der vietnamesischen Hauptstadt teilnahm, die US-Einmischung in Chinas bilaterale Verhandlungen mit den anderen Anspruchsberechtigten zurück. Er verwies darauf, daß Peking bereits im Jahr 2002 im Rahmen von ASEAN die Erklärung über das Verhalten der Parteien im Südchinesischen Meer (Conduct of Parties in the South China Sea) unterschrieben hat, in dem sich China zu einer ausschließlich friedlichen Lösung des territorialen Konfliktes verpflichtet. Anders als die USA glauben machen wollen, sei das Südchinesische Meer durch Frieden und Stabilität charakterisiert, was ihm seine Kollegen aus der Region bestätigt hätten, erklärte Jang.

(rwr)



* Aus: junge Welt, 5. August 2010


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