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China wackelt nicht

Handelsbilanzdefizit im Februar kein Zeichen für Schwächephase der zweitgrößten globalen Volkswirtschaft. Volksrepublik setzt weiter auf stabiles Wachstum

Von Wolfgang Pomrehn, Hongkong *

Chinas Handelsbilanz ist im Februar erstmalig seit längerem ins Minus gerutscht. Der Wert der Wareneinfuhren des Exportweltmeisters überstieg den der Ausfuhren um umgerechnet 23,8 Milliarden Euro. Das war das größte monatliche Defizit seit über 20 Jahren. Die Frage ist allerdings, ob das eine schlechte Nachricht für die Weltwirtschaft ist, nach dem die Volksrepublik in den zurückliegenden Jahren deren Motor gewesen war. Ohne das anhaltende, enorme Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft wäre die Krise von 2008 für weite Teile der Welt kaum so glimpflich ausgegangen. Schwerer zu leiden hatten dennoch Europa und Nordamerika, während sich die Schwellenländer und auch die meisten anderen Entwicklungsländer dank ihres florierenden Handels über die Einbrüche bei den Verkäufen an Kunden im reichen Norden hinwegretten konnten.

Insofern sind auch die Februar-Ergebnisse keineswegs beunruhigend, auch wenn die internationalen Börsen zunächst auf die Neuigkeiten sehr nervös reagierten. Das Handelsbilanzdefizit ist nicht unbedingt ein Zeichen für eine konjunkturelle Abkühlung im Land der Mitte, sondern vor allem das Ergebnis eines starken Importwachstums. Die Einfuhren legten nämlich um über 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zu. Die Warenverkäufe an das Ausland wuchsen im Vergleich dazu mit 18,4 Prozent moderat. Mit anderen Worten: Das Abgleiten in die roten Zahlen beim internationalen Warenaustausch ist kein Anzeichen für ein Schwächeln der chinesischen Wirtschaft, nicht einmal der Exportindustrie, sondern vielmehr einer längerfristigen Umorientierung auf den Binnenmarkt. Daß es sich nicht um einen einmaligen Ausrutscher handelt, zeigt auch ein Blick auf die Daten aus dem Jahr 2011. Bereits da war der chinesische Handelsbilanzüberschuß, der in den vergangenen Jahren stetig gewachsen war und Anlaß für manche wirtschaftspolitische Reiberei mit den USA und der EU gegeben hatte, um 14,5 Prozent auf 117 Milliarden Euro zurückgegangen. Deutschland hatte in diesem Zeitraum für rund 158 Milliarden Euro mehr exportiert, als Waren aus dem Ausland bezogen.

Die aktuellen Zahlen sind auch Beleg für die nach wie vor hohen Investitionsraten in der Volksrepublik. Nach den jüngsten Zahlen des Nationalen Büros für Statistik in Peking wurden im Februar 2012 rund 21 Prozent mehr Geld in den Bau von Straßen, Eisenbahnen, Fabriken, Flughäfen und ähnlichem gesteckt, als noch ein Jahr zuvor. Damit stiegen diese Anlageninvestitionen erneut deutlich schneller als das Nationaleinkommen. Das hört sich zunächst nach einem raschen Aufbau des Landes an. Zugleich birgt es aber auch die Gefahr von Fehlentwicklungen, weil ein zu geringer Teil auf den privaten Konsum entfällt und in der Industrie aufgrund dieses Ungleichgewichts immer wieder Überkapazitäten entstehen.

Für den Außenhandel bedeutet aber sowohl die Ausweitung der Investitionen wie auch des Konsums, daß China für viele Länder inzwischen zu einem der wichtigsten Abnehmer ihrer Waren geworden ist. Vor allem Rohstoffe aller Art führt das Land ein, das im vergangenen Jahr die EU vom Platz zwei der Rangliste der wichtigsten Importeure weltweit verdrängt hatte. So gesehen sind die Neuigkeiten über ein chinesisches Handelsbilanzdefizit für viele sogar ausgesprochen gute Nachrichten. Nicht zuletzt in den Entwicklungsländern sorgt die starke chinesische Nachfrage für hohe Preise. Eine andere Frage ist allerdings, ob die Rohstoffexporteure die dabei erzielten Einnahmen auch nutzen, um die heimische Ökonomie aufzubauen.

Ein etwas detaillierterer Blick auf die Warenausfuhren zeigt unterdessen interessante Veränderungen in der chinesischen Industrie. Die Exporte der arbeitsintensiven Textil- und Bekleidungsindustrie gingen 2011 um zwei Prozent zurück. Schon seit einigen Jahren gibt es aufgrund der in der Volksrepublik steigenden Löhne einen Trend zur Verlagerung dieser Branche in andere Entwicklungsländer wie Vietnam und Bangladesh. Auf der anderen Seite hat die Ausfuhr höherwertiger Industriewaren stark zugelegt. So wurden beispielsweise 8,8 Prozent mehr Erzeugnisse der Elektronik und des Maschinenbaus exportiert, als noch ein Jahr zuvor.

Die Verschiebungen in der Handelsbilanz haben auch Auswirkungen auf die Währungspolitik des Landes. Der Kurs des sogenannten Volksgeldes Renminbi (die Währungseinheit heißt Yuan) ist nach wie vor nicht eine Sache unregulierter Devisenmärkte, sondern wird von der Zentralbank in einem engen Band gehalten. In den letzten Jahren wurde auf diese Art eine Aufwertung in kleinen Dosen zugelassen, die sich dennoch seit 2004 auf immerhin 30 Prozent summieren. Vor allem US-amerikanischen und hiesigen Politikern reicht das noch nicht. Sie sehen in einem nach ihrer Ansicht unterbewerteten Yuan einen Vorteil für die chinesische Exportindustrie, den sie gerne beseitigt sehen würden. Jüngste Äußerungen des chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao deuten allerdings daraufhin, daß China seine Währung auf dem gegenwärtigen Niveau zunächst stabilisieren will. Der Grund könnte sein, daß eine weitere Aufwertung Importe verbilligen würde, was zu einer Überhitzung der chinesischen Konjunktur führen könnte.

* Aus: junge Welt, 21. März 2012


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