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"Go West" auf chinesische Art

Bundeskanzlerin Angela Merkel nebst Wirtschaftsgefolge besucht diesmal zuerst die Westprovinz Sichuan

Von Werner Birnstiel *

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird ihren siebten Chinabesuch seit Amtsantritt 2006 am Sonntagmorgen in Chengdu beginnen, der Hauptstadt der südwestchinesischen Provinz Sichuan.

Sichuan, die Heimatprovinz des Reformbegründers Deng Xiaoping (1904-1997) gilt in China traditionell als »Land des Überflusses«. Das traf in jüngerer Zeit allerdings nur noch bedingt zu, denn die Zentren – und folglich die größten Nutznießer – der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik lagen in den vergangenen 30 Jahren an der Ostküste und in Südchina. Sichuan hatte dagegen einen erheblichen Nachholbedarf. Der Besuch der Bundeskanzlerin gerade in Chengdu ist deshalb auch ein Sinnbild der »Go-West«-Strategie der Pekinger Zentralregierung, womit die wirtschaftliche Erschließung des westchinesischen Landesinneren gemeint ist.

Die 14-Millionen-Stadt Chengdu liegt tief im Binnenland, verfügt inzwischen jedoch über beste internationale Anbindungen. Neben den Flugverbindungen transportieren Expresszüge seit April 2013 im Wochenrhythmus Güter nach Europa, ins polnische Lódz und von dort weiter nach Deutschland und Frankreich. Und das innerhalb von 14 Tagen – verglichen mit dem üblichen Seeweg also zeitsparend. Mittlerweile haben in Chengdu auch bereits rund 160 deutsche Unternehmen Niederlassungen, ein großes VW-Werk gehört dazu. Der Volkswagenkonzern macht derzeit mehr als ein Fünftel seines Umsatzes in China.

Schon ab Freitag tagt in Chengdu das Deutsch-Chinesische Dialogforum, ein zivilgesellschaftliches Beratergremium beider Regierungen. Knapp 30 auserwählte Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft besprechen diesmal Möglichkeiten der Kooperation in den Bereichen Innovation und Bildung.

Während des Deutschlandbesuchs des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping im März dieses Jahres hatten beide Seiten vereinbart, ihre bisherige »strategische Partnerschaft« auf die Ebene einer »umfassenden strategischen Partnerschaft« zu heben. Ziel soll es sein, eine wesentlich umfassendere Kooperation anzuschieben. Die Basis ist vorhanden, denn wirtschaftlich ist Deutschland für China der wichtigste Partner in der EU. Für Deutschland wiederum ist China der drittwichtigste Handelspartner, im Import nahm die Volksrepublik 2013 sogar Rang 2 ein. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr Waren und Dienstleistungen für 140,4 Milliarden Euro ausgetauscht (siehe Grafik). Beide Seiten streben nun danach, die gegenseitigen Investitionen zu erhöhen. Die von der KP Chinas im Herbst 2013 eingeleitete neue Reformetappe strebt eine strukturelle Neuausrichtung der Wirtschaft an, in der Innovationen eine maßgebliche Rolle spielen und eine höhere Wertschöpfung ermöglichen sollen. Wachstum müsse auch umweltpolitisch vertretbar sein und möglichst helfen, Ressourcen zu sparen, heißt es im Reich der Mitte. Deutschen Firmen billigt man zu, das technologische Know-how zu besitzen, mit dem viele der drängenden Probleme gelöst werden könnten.

Zwar wird die Kanzlerin auf dieser Reise wieder von den Chefs etlicher großer deutscher Unternehmen begleitet, doch sollen die Tore auch für die Kooperation kleiner und mittelständischer Unternehmen weiter geöffnet werden. Bei den im Herbst geplanten nächsten Regierungskonsultationen wird deshalb die Mittelstandsförderung mit Sicherheit ein Thema sein. Denn wer in China zum Geschäftserfolg kommen will, hat enorme Herausforderungen zu bewältigen. Das gilt insbesondere für ostdeutsche Unternehmen, die zwar durchaus innovativ sind, aber oft über keine genügende Eigenkapitaldecke verfügen, um im überaus harten Wettbewerb im Reich der Mitte bestehen zu können. Eben da ist die Politik gefordert, die Erschließung des chinesischen Marktes auch für ostdeutsche Firmen spürbarer zu unterstützen.

In Peking, auf ihrer zweiten Besuchsetappe, wird die Bundeskanzlerin am Montag mit Ministerpräsident Li Keqiang und Präsident Xi Jinping nach Angaben der Bundesregierung Fragen der »regionalen und internationalen Politik« erörtern. Übereinstimmung dürfte beispielsweise darin bestehen, dass die Politik Nordkoreas die regionale Sicherheit in Nordostasien gefährdet. Gerade besucht Xi Jinping erstmals Südkorea und lässt damit erkennen, was Peking von der Politik Pjöngjangs hält. Gegensätzliche Positionen werden beide Seiten hingegen zur provokanten Politik Japans im Streit um die Diaoyu/Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer und zu Tokios als »Militärreform« beschönigter Aufrüstung einnehmen. Im chinesisch-vietnamesischen Territorialstreit im Südchinesischen Meer hält sich die Bundesregierung bisher mit Stellungnahmen zurück – so lange die internationale Schifffahrt nicht bedroht ist. Weitgehenden Konsens gibt es wiederum dazu, dass im Nahen und Mittleren Osten ebenso wie in der Ukraine politische Lösungen gefunden werden müssen. In diesen sehr komplexen Fragen stehen sich China und Deutschland durchaus recht nah, was sich auch förderlich für das Verhältnis zwischen China und der EU auswirkt.

Bleibt das Thema Menschenrechte. Es wird »angesprochen«, in stillschweigendem Einverständnis wird indes nicht viel darüber verlauten.

* Aus: neues deutschland, Freitag 4. Juli 2014


China – ein Land für Einwanderer?

Experten sind im Reich der Mitte begehrt

Von Rolf Geffken, Nanking


Bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts war China für den Export billiger Arbeitskräfte, aber auch für die kontinuierliche Auswanderung qualifizierter Menschen bekannt. Die führte zur Entstehung der mächtigen Netzwerke der »Überseechinesen«. Seit Beginn der Politik der »Öffnung« prägte China vor allem die innerstaatliche Wanderung von Arbeitskräften. Bis heute gibt es etwa 250 000 sogenannte Wanderarbeiter. Doch war China jemals Einwanderungsland?

Nein. Dabei hätte der Begriff der »Öffnung« eigentlich anderes vermuten lassen können. Doch bedeutete die Öffnung in erster Linie eine Öffnung für ausländische Investitionen und Unternehmen. Eine Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte war damit allenfalls auf der Ebene des Managements – und auch das nur zeitweilig – verbunden. Und nur sehr wenige unter den Managern neigen dazu, ihren Aufenthalt in China zu verfestigen. Das gilt selbst dann, wenn sie etwa einen chinesischen Ehepartner oder sogar gemeinsame Kinder in China haben.

Eine gewisse Zuwanderung bewirkte der gewaltige Zufluss taiwanischen Kapitals. Allein in Shanghai leben deshalb etwa 300 000 Taiwaner. Aber auch sie halten sich nur zeitweise in China auf.

Umgekehrt hält die Auswanderung qualifizierter Menschen unvermindert an. Allein in den vergangenen zehn Jahren verließen 9,34 Millionen Chinesen ihr Land, viele davon dauerhaft. Demgegenüber halten sich derzeit nur 849 000 Ausländer in China auf, die wenigsten davon auf Dauer.

Dem will die chinesische Regierung jetzt entgegenwirken. Die »Staatliche Verwaltung für die Angelegenheiten ausländischer Experten« arbeitet an einer Liste der am meisten gesuchten beruflichen Qualifikationen. Für Ausländer, die diesen Kriterien entsprechen, sollen die Anforderungen für die Erteilung dauerhafter Visa erheblich reduziert und der Aufenthalt insgesamt erleichtert werden. Auf einem internationalen Symposium zu Fragen der Arbeitsmigration in Peking forderten Experten vor allem, ausländischen Studierenden nach Beendigung ihres Studiums erleichtert eine Arbeitserlaubnis zu erteilen. Empfohlen wurde zugleich, die Öffentlichkeit genau über einen Kurswechsel in der Einwanderungspolitik zu informieren, um Unterstützung für diese neue Politik zu erhalten.

Weitere »Berichte von einer Dienstreise« des Arbeitsrechtlers und China-Experten Dr. Rolf Geffken auf http://www.drgeffken.de




Dicke Luft und härtere Konkurrenz im Reich der Mitte

Unternehmen im Bereich Umweltschutz gelten als aussichtsreich auf dem chinesischen Markt

Von Detlef D. Pries **


Die Geschäftsbedingungen für Investoren in China sind härter geworden, dennoch geben sich deutsche Unternehmen zuversichtlich.

Das Parteiorgan »Renmin Ribao« (Volkszeitung) verkündete den Bewohnern der chinesischen Hauptstadt diese Woche eine nicht gerade frohe Botschaft. »Noch 16 Jahre dicke Luft in Peking«, titelte die deutschsprachige Online-Ausgabe. Erst im Jahre 2030 könnte die Feinstaubbelastung nach Angaben des Pekinger Instituts für Umweltschutz wieder unter den Grenzwert sinken, der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als schädlich für den Menschen eingeschätzt wird. 2013 war die Luft in der Hauptstadt noch zweieinhalbmal so »dick« wie von der WHO als gefahrlos erachtet. Immer mehr Pekinger tragen immer öfter Atemschutzmasken, wenn sie sich ins Freie begeben. Vertreter ausländischer Firmen und Stiftungen klagen über häufiges Kratzen im Hals, selbst Angehörige der einheimischen »Elite« zählen die Umweltverschmutzung zu den Gründen, die sie über Auswanderung nachdenken lassen.

Dabei geht die Pekinger Stadtregierung inzwischen mit harten Strafen gegen Umweltverschmutzer vor, berichtet die »Volkszeitung« und nennt Kohlekraftwerke und Zementfabriken als Sünder. Chinas neues Umweltschutzgesetz sehe zum Teil sogar existenzbedrohende Sanktionen gegen notorische Sünderunternehmen vor, weiß man auch am Berliner Mercator-Institut für chinesische Studien (MERICS). Allerdings haben es die insgesamt 134 lokalen Umweltgerichte häufig schwer, sich gegen große Staatsunternehmen durchzusetzen. Ein gerade erst gegründetes zentrales Tribunal für Umwelt und Ressourcen soll nun »Führung und Koordination« übernehmen.

Nicht von ungefähr sieht man deshalb bei MERICS gerade für deutsche Unternehmen im Bereich Umweltschutz gute Chancen auf dem chinesischen Markt, auf dem die Geschäftsbedingungen im Übrigen härter werden. Nicht nur, dass sich das Wachstumstempo der chinesischen Wirtschaft verlangsamt hat: Die Personalkosten sind gestiegen, die Personalgewinnung wird schwieriger, die einheimische Konkurrenz stärker, immer noch klagen ausländische Unternehmen über Diskriminierung. Und – auch darauf weist MERICS-Direktor Prof. Dr. Sebastian Heilmann hin – der Kampf der chinesischen Führung gegen die Korruption, dem mittlerweile auch höchste Funktionäre zum Opfer gefallen sind, habe zu spürbaren Absatzrückgängen beispielsweise für Produkte französischer Edelmarken geführt. Fast die Hälfte der in China engagierten europäischen Firmen prüft jedenfalls für Investitionen inzwischen Alternativen zu China.

Einen Grund dafür, dass deutsche Unternehmen deutlich zuversichtlicher sind, sieht Heilmann in der einzigartigen Institutionalisierung der deutsch-chinesischen Beziehungen. Neben den regelmäßigen Regierungskonsultationen, dem zivilgesellschaftlichen Dialogforum und dem Rechtsstaatsdialog wird während Merkels Besuchs in Peking eine weitere derartige »Institution« gegründet: der Deutsch-Chinesische Beratende Wirtschaftsausschuss. Unter dem Vorsitz von Hubert Lienhard, Vorstandschef des Maschinenbaukonzerns Voith GmbH, und Jiang Jianqing, Vorstandschef von ICBC, der größten Bank der Welt, soll der Ausschuss beiden Regierungen Empfehlungen für den Ausbau der Beziehungen unterbreiten. Durch dieses Gremium bekämen auch chinesische Unternehmen eine Stimme, hebt Heilmann hervor. Der Institutsdirektor sieht in solchen ständigen Einrichtungen eine gewisse Gewähr dafür, dass die deutsch-chinesischen Beziehungen auch »Schlechtwetterperioden« überstehen, wie sie etwa durch die sichtbar zunehmenden Reibungen zwischen Peking und Washington oder durch mögliche innere Konflikte und »Verhärtungen« im Reich der Mitte selbst hervorgerufen werden könnten.

** Aus: neues deutschland, Freitag 4. Juli 2014


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