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Weniger Kohle

Förderung des fossilen Rohstoffes stagniert. China versucht, seine Abhängigkeit vom Umweltverschmutzer Nummer eins zu vermindern

Von Wolfgang Pomrehn *

Wie geht es weiter mit Chinas Kohlepolitik? Der Verbrauch von Kohle fordert nicht nur durch enorme Luftverschmutzung in den städtischen Zentren und sauren Regen auf dem Land einen hohen menschlichen wie ökonomischen Zoll. Auch der Abbau ist mit großem menschlichen Leid verbunden. Im April sorgten gleich zwei Grubenunglücke in der südchinesischen Stadt Qujing in der Provinz Yunnan für internationale Schlagzeilen. Beim ersten kamen am 7. April 21 Menschen durch einen Wasser­einbruch ums Leben, beim zweiten starben 14 Tage später 13 durch eine Gasexplosion.

Insgesamt ist die Zahl der jährlichen Todesopfer in den Kohleschächten der Volksrepublik rückläufig, aber immer noch sehr hoch: 2011 betrug sie 1973, 2012 waren es 1300 und 2013 1049. Mitte des letzten Jahrzehnts waren noch jährlich rund 7000 Opfer von Grubenunfällen zu beklagen gewesen. Hinzu kommen noch unzählige Tote aufgrund der schwer erträglichen Arbeitsbedingungen. 2011 hatte eine Feldstudie in China gezeigt, daß Bergleute ein deutlich erhöhtes Lungenkrebsrisiko haben. Dieses ist in China im internationalen Vergleich ohnehin sehr hoch, aber für Arbeiter, die mehr als zehn Jahre unter Tage gearbeitet haben, erhöht es sich noch einmal um das Vierfache.

Insofern ist es auch für Chinas Kohlekumpel eine gute Nachricht, daß sich zumindest der Anstieg des Kohleverbrauchs in letzter Zeit deutlich verlangsamt hat. Im vergangenen Jahr ist er, wie die Nachrichtenagentur Xinhua berichtet, nur noch um 2,6 Prozent gestiegen, während die Wirtschaft um 7,7 Prozent wuchs. Das ist insofern bemerkenswert, als rund 70 Prozent des im Land der Mitte verbrauchten Stroms aus Kohlekraftwerken kommt. Die Zahlen zeigen also, daß die Anstrengungen zur Verbesserung der Energieeffizienz Früchte tragen und auch der Ausbau der erneuerbaren Energieträger vorankommt.

Ein Teil des Verbrauchs wurde durch Importe gedeckt. Netto importierte China nach den Zahlen des Nationalen Kohleverbandes 320 Millionen Tonnen. Beobachter erwarten in diesem Zusammenhang, daß die Regierung Anfang Mai ein Verbot oder zumindest schärfere Restriktionen für die Einfuhr von minderwertiger Kohle verhängen werden. In diese Kategorie fällt vor allem die in Deutschland viel genutzte Braunkohle, die von RWE und Vattenfall in einer ganzen Reihe von Großkraftwerken im Rheinland und im südlichen Brandenburg verheizt wird.

Derweil lag die chinesische Inlandförderung 2013 bei 3,7 Milliarden Tonnen. Im Vergleich zum Vorjahr war das nur eine geringe Steigerung, so daß voraussichtlich das Wachstum der Kohleproduktion bis 2015 tatsächlich auf 4,1 Milliarden Tonnen begrenzt werden kann, wie es die Wirtschaftsplanung vorsieht. Das wäre allerdings auch höchste Zeit. Das Umweltministerium in Peking verkündete kürzlich, daß 2013 nur drei von 74 Städten ihre Ziele zur Verbesserung der Luftqualität eingehalten haben. Die Hauptstadt und einige andere große Metropolen haben im vergangenen Winter mehrere schwere, meist einige Tage lang anhaltende Smog-Ereignisse erlebt, bei denen die Feinstaubbelastung die von der Weltgesundheitsorganisation für unbedenklich gehaltenen Werte weit überschritt.

Wie es aussieht kommen auch ökonomische Entwicklungen der Umwelt zur Hilfe. Der Preis für chinesische Kohle ist im vergangenen Jahr deutlich gesunken und befindet sich auf dem niedrigsten Wert seit sechs Jahren. Ursachen sind billige Importe und die nahezu stagnierende Nachfrage aufgrund des schwächeren Wirtschaftswachstums und der Energiesparmaßnahmen. Für manches Grubenunternehmen ist die Lage inzwischen bedrohlich. Vielerorts bilden sich Halden unverkaufter Kohle. In der Inneren Mongolei, einem der Zentren der chinesischen Kohleindustrie, sind die Profitraten unter besonders großem Druck, weil viele Unternehmen hohe Transportkosten haben, da sie weder an die Eisenbahn noch an das Kanalnetz angebunden sind.

»Wenn die Kohlepreise weiter sinken, wird es für viele Unternehmen sehr schwer werden zu überleben«, zitiert die in Hongkong erscheinende South China Morning Post Weng Qingan, der für die Finanzen bei China Coal Energy verantwortlich ist, dem zweitgrößten Kohlekonzern des Landes. »Die Industrie durchläuft eine Konsolidierungsphase.« Soll heißen, es wird zu einer Welle von Pleiten und Fusionen kommen. Die Regierung versucht, den Prozeß zu steuern, in dem sie die Schließung kleiner und unproduktiver Gruben anordnet. In 1725 Schächten soll es in diesem Jahr »Schicht im Schacht« heißen. Die lokalen Behörden haben Anweisungen, alle Gruben zu schließen, die weniger als 90000 Tonnen im Jahr fördern, und darüber Bericht zu erstatten.

Für die globale Umwelt könnten das sehr gute Nachrichten sein. Die Umweltorganisation Greenpeace hat kürzlich in einem Bericht festgestellt, daß die Planziele der chinesischen Provinzen für den jährlichen Kohleverbrauch bis 2020 auf eine Reduktion von 655 Millionen Tonnen hinauslaufen. Das wäre etwas mehr als einem Sechstel des gegenwärtigen Wertes und würde einen jährlichen Treibhausgas-Ausstoß von 1,3 Milliarden Tonnen Kohlendioxid vermeiden. Letzteres entspräche etwas mehr als den deutschen Emissionen. Insgesamt scheint damit doch noch möglich, den weiteren Anstieg der globalen Treibhausgasemissionen bis 2020 aufzuhalten. Wissenschaftler halten das für einen wichtigen Schritt, um die globalen Klimaveränderungen in einem noch halbwegs verträglichen Rahmen zu halten.

* Aus: junge Welt, Freitag, 2. Mai 2014


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