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Chinesische Hyperschallwaffen - Instrumente zur Neutralisierung der westlichen Raketenabwehr?

Ein Beitrag von Dirk Eckert in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Die USA sind seit dem Zusammenbruch der UdSSR nach dem Fall der Mauer die einzige militärische Supermacht. Man setzt auf die neuesten Waffentechnologien, entwickelt diese weiter. Doch das aufstrebende China gibt inzwischen auch immer mehr Mittel aus für Rüstung und insbesondere für Hochtechnologie – sehr zum Verdruss der USA. Dirk Eckert weiß mehr:


Manuskript Dirk Eckert

Das Jahr fing nicht gut an im politischen Washington. Wie die konservative Internetseite „Washington Free Beacon“ meldete, hat China erfolgreich eine Hyperschallwaffe getestet. Der Konkurrent in Ostasien wird also eines Tages über dieselben Waffen verfügen, an denen das US-Militär zurzeit arbeitet. Und diese könnten auch noch den Raketenabwehrschirm der Vereinigten Staaten überwinden.

Peking versicherte zwar umgehend, dass sich der Test nicht gegen irgendein Land gerichtet habe. Das konnte aber nicht jeden in Washington beruhigen. Die Republikaner im Abgeordnetenhaus warnten prompt vor Kürzungen im Verteidigungshaushalt und mahnten, dass China die USA militärisch überflügeln könnte. Doch die Aufregung ist unbegründet, findet Marco Fey, Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK).

O-Ton Marco Fey
„Die Empörung in den USA ist meines Erachtens nach naiv, denn dass China an Hyperschallwaffen arbeitet, kommt weder überraschend noch sollte es die Amerikaner überraschen, da es meines Erachtens nach provoziert ist. Zum einen sind es die Amerikaner selbst, die seit mehr als zehn Jahren an Hyperschallwaffen arbeiten. Zum anderen bauen die Amerikaner gerade ein vorläufiges Raketenabwehrsystem auf, das die Chinesen als Gefahr für ihre Zweitschlagkapazität begreifen.“

Zweitschlagkapazität. Das ist das nukleare Vergeltungspotenzial, mit dem China zurückschlagen will, sollte es mit Atomwaffen angegriffen werden. Tatsächlich arbeiten die Vereinigten Staaten ihrerseits schon länger an Hyperschallwaffen. Und auch in anderen Ländern wie Russland und Indien wird daran geforscht. Die Idee selbst ist Jahrzehnte alt: Beim Hyperschall-Antrieb tritt Luft mit Schallgeschwindigkeit in das Triebwerk ein und muss dort – anders als beim Düsenmotor – nicht mehr verdichtet werden. Hyperschall-Antrieb gilt als der Heilige Gral der Luftfahrt-Forschung.

Probleme bereiten der Bau des Antriebs sowie die Entwicklung von Material, das die entsprechende Geschwindigkeit aushält. Außerdem muss das Hyperschall-Triebwerk erst auf Schallgeschwindigkeit gebracht werden, damit es anspringt. Das kann zum Beispiel ein Raketenantrieb leisten. Der jüngst getestete chinesische Hyperschall-Flugkörper soll beispielsweise von einer Interkontinentalrakete aus gestartet worden sein. Wie schwierig die Umsetzung ist, sieht man in den USA. Dort sind in den vergangenen Jahren mehrere Versuche mit Hyperschallwaffen spektakulär gescheitert. 2011 gab es jedoch einen erfolgreichen Test.

Ziel des US-Militärs ist es, eine globale Angriffs- und Zerstörungskapazität aufzubauen. Das entsprechende Konzept heißt Prompt Global Strike. Demnach soll jedes Ziel auf der Erde innerhalb von einer Stunde bekämpft werden können. Fehlschläge wie seinerzeit 1998 in Afghanistan sollen damit der Vergangenheit angehören. Damals hatten die USA vergeblich versucht, Osama bin Laden zu töten. Die 75 von Kriegsschiffen und U-Booten abgefeuerten Cruise Missiles vom Typ Tomahawk brauchten 80 Minuten bis zu ihrem Ziel. Bin Laden war nicht mehr da. So was soll mit Prompt Global Strike künftig nicht mehr passieren.

Die schnelle Geschwindigkeit von Hyperschallwaffen hat aber ihre Kehrseite: Die Vorwarnzeit für Angriffe wird drastisch reduziert. Auch wissen andere Staaten nicht, ob diese Waffen mit konventionellen oder atomaren Sprengköpfen bestückt sind. Befürworter argumentieren zwar, Hyperschallflugkörper ließen sich wegen ihrer Flugbahn, die fast parallel zum Meeresspiegel verläuft, nicht mit Atomraketen verwechseln. Kritiker sehen aber trotzdem noch genügend Raum für Missverständnisse. Außerdem könnten Hyperschallwaffen jede Raketenabwehr unterlaufen und auch die Nuklearwaffenarsenale verwundbar machen, mit weitreichenden strategischen Folgen, warnt Marco Fey:

O-Ton Marco Fey
„Durch diesen einerseits sehr kurzen Zeitraum, andererseits aber auch durch die hohe Mobilität, die diese Waffen haben, kann es eben passieren, dass hier ein Erstschlag erfolgreich ist. Die Großmächte müssen sich damit beschäftigen, wie ihre Nuklearwaffenarsenale sicher sein können im Sinne von: Können wir danach noch einen Zweitschlag durchführen? Nur wenn das der Fall ist, dann können wir von strategischer Stabilität zwischen den Großmächten sprechen. Hyperschallwaffen sind insofern problematisch, als dass sie die strategische Zweitschlagskapazität von anderen gefährden.“

Aufhalten lässt sich die Hyperschall-Techologie aber wohl nicht mehr. Denn nicht nur das Pentagon träumt von den Geschossen, die mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit fliegen sollen. China entwickelt solche Waffen, Russland liegt nach eigenem Bekunden in diesem Bereich nicht hinter den USA. Und auch zivile Anwendungen sind denkbar, etwa in der Raumfahrt oder im Luftverkehr.

In Deutschland forscht das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) daran. Die Wissenschaftler träumen schon von Hyperschallflugzeugen, mit denen ein Flug von Deutschland nach Australien nur 90 Minuten dauern würde. Die Arbeit geriet neulich in die Schlagzeilen: Eine Anfrage der Linken im Bundestag hatte ergeben, dass die australische Militärforschungsorganisation Defence Science and Technology Organisation (DSTO) die Arbeit des DLR mitfinanziert.

Rund 3,8 Millionen Dollar flossen demnach an das DLR-Institut für Raumflugbetrieb und Astronautentraining in Oberpfaffenhofen für die Mitarbeit an einem Hyperschall-Jet. Direktor Felix Huber schildert die Arbeit an seinem Institut:

O-Ton Felix Huber
„Wir arbeiten zunächst einmal an der Technologie, wie wir das thermisch in den Griff kriegen, dass die Materialien das aushalten. Sie können natürlich immer auch sagen, wir verwenden das als Wiederantriebskörper für irgendwas. Unser Interesse ist es, Satelliten billig in den Orbit zu bringen und natürlich auch kostengünstig wieder nach unten zu bringen.“

Huber schätzt, dass das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum einen technologischen Vorsprung von zehn bis fünfzehn Jahren vor allen anderen Entwicklern hat, was die Herstellung tauglicher Materialien angeht. Dass das DLR schon an einem Hyperschall-Jet arbeite, relativiert er aber:

O-Ton Felix Huber
„Wir haben also mit den Australiern zusammen erste Experimente zur Hyperschall-Verbrennung gemacht. Also, das ist ein bisschen optimistisch dargestellt – nur dass ich den Antrieb quasi mal zum Laufen gebracht habe, dass ich die Strömung beherrsche, [heißt noch nicht,] dass ich gleich ein Flugzeug bauen kann – da ist man schon noch weit weg.“

Und ob sich ein Passagierflugzeug mit Hyperschall-Antrieb wirtschaftlich rechnet, darf bezweifelt werden. Auch die Entwicklung von Hyperschallwaffen braucht noch Zeit, schätzt der Konfliktforscher Marco Fey.

O-Ton Marco Fey
„Meines Erachtens nach haben wir noch Zeit. Es sind mindestens noch zehn Jahre, bis solche Systeme einsatzfähig sind. Aber wir sollten auch nicht warten, bis die Systeme da sind, bevor wir uns damit befassen.“

Ein neuer Fall für die Rüstungskontrolleure also. Jedenfalls sollte man genau hinhören, wenn ein US-Präsident wieder von einer Welt ohne Atomwaffen spricht. Ersatz steht bald bereit – nämlich Hyperschallwaffen. Und Hyperschallwaffen sind in gewöhnlichen Kriegen auch einsetzbar – anders als Atomwaffen, die faktisch nur der Abschreckung von Atomangriffen dienen. Der russische Militärexperte Alexander Chramtschichin sagt es deutlich: Hyperschallwaffen dienen nicht der Luft- und Raketenabwehr. Sie sind vielmehr Angriffswaffen.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 3. Mai 2014; www.ndr.de/info

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