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Der Wiedergänger

Friedensnobelpreisträger Oscar Arias will in Costa Rica nach 16 Jahren wieder Präsident werden und der Korruption Einhalt gebieten

Von Felix Hapke, San José*

Korruption und Misswirtschaft haben Costa Ricas Ruf als Musterland Mittelamerikas ruiniert – nun tritt Friedensnobelpreisträger Oscar Arias als Retter auf den Plan. Bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag gilt er als klarer Favorit.

Nach Leon XIII. fährt man normalerweise nicht freiwillig. Die Zeitung »Al Dia« hat das Viertel bei San José kürzlich in großer Aufmachung zum gefährlichsten Pflaster Costa Ricas ernannt. Hier leben vor allem Einwanderer aus Nicaragua in Wellblechhütten und Bretterverschlägen. Bei Regen verwandeln sich die Wege im engen Tal von Bajo Piuses in Schlammpisten. Straßenbanden und Drogenhändler bekämpfen einander und terrorisieren die Einwohner. Nach Einbruch der Dunkelheit geht hier nicht vor die Tür, wer etwas zu verlieren hat.

An diesem Abend jedoch sind die Straßen verstopft von schweren Geländewagen, an denen grünweiße Fahnen im warmen Tropenwind flattern. Sie blenden mit ihren Schweinwerfern in die Wohnküchen und Werkstätten. Aus Lautsprechern quillt ein Brei aus Salsa-Musik und Parolen von Fortschritt und Wohlstand. Oscar Arias, aussichtsreichster Kandidat für die Präsidentschaftswahlen in Costa Rica, macht Leon XIII. seine Aufwartung.

Mit dem Autokonvoi ins Armenviertel

Im Konvoi breitet sich Nervosität aus. Man ist nun schon eine gute Stunde durch die Gegend gekurvt und hat vor allem selbstgenügsamen Radau veranstaltet. »Endlich steigt er mal aus«, ruft eine Dame aus Arias' PR-Truppe. Die Tür des vorausfahrenden Jeeps klappt auf und heraus klettert ein kleiner, gebrechlich wirkender Mann, der zehn Jahre älter aussieht als auf seinen Wahlplakaten. Arias streichelt zerstreut ein paar Kinderköpfe und erinnert dabei etwas an Karol Wojtyla. Dann wird er von seinem Gefolge ins Auto zurückgeschoben. »Und wenn er jetzt nach Hause kommt, badet er erst mal gründlich«, spottet die Reporterin von »Al Dia«. Oscar Arias ist alles andere als volkstümlich. Dass ihm trotzdem alle Umfragen am Sonntag einen klaren Wahlsieg voraussagen, hat der 65-Jährige der Vergangenheit zu verdanken, in die die meisten Costaricaner sich zurückwünschen. Der Sozialdemokrat und Millionär war schon von 1986 bis 1990 Präsident, eine Zeit, in der Costa Rica als die Schweiz Amerikas galt. In der von Bürgerkriegen zerrütteten Region war das Land eine Insel der Stabilität mit fast europäischem Lebensstandard und einer breiten Mittelschicht, die sich auf ein staatlich finanziertes Sozialmodell verlassen konnte. Arias vermochte es nicht nur, sein Land aus den Kriegen herauszuhalten. Er war auch der Architekt des Friedens in den Nachbarländern. Auf seine Initiative hin unterzeichneten die Präsidenten von Nicaragua, Honduras, Guatemala und El Salvador am 15. Februar 1987 in San José ein Dokument, in dem sie sich verpflichteten, kriegerische Handlungen einzustellen, Wahlen abzuhalten und ihre Gegner zu amnestieren. Das war Arias' Lebensleistung, für die er 1987 den Friedensnobelpreis erhielt.

Seitdem herrscht zwar kein offener Krieg mehr in Mittelamerika, und es wird nach internationalen Standards gewählt. Doch die Lebensbedingungen der Menschen hat das nicht verbessert. Nicaragua ist das zweitärmste Land Amerikas nach Haiti. El Salvador, Guatemala und Honduras versinken in Gewalt, die von so genannten Mara-Banden ausgeht, denen mehr als hunderttausend Jugendliche angehören sollen. Sie morden, rauben und vergewaltigen und verrichten im Rauschgift- und Waffenhandel die Drecksarbeit. Wirtschaftlich gilt überall der neoliberale Grundsatz: Jeder macht, was er will, der Stärkste gewinnt. In Nicaragua wurde Expräsident Arnoldo Alemán wegen Korruption zu 20 Jahren Haft verurteilt, läuft aber frei herum. Die früheren Staatschefs von Guatemala, Alfonso Portillo, und Panama, Mireya Moscoso, sollen Millionen-Schecks aus Taiwan angenommen haben und leben im Exil. Und dann hat es auch Costa Rica erwischt. Seit 2004 wird gegen drei einstige Präsidenten, Rafael Ángel Calderón (1990 bis 1994), José María Figueres (1994 bis 1998) und Miguel Ángel Rodriguez (1998 bis 2002), wegen Korruption ermittelt. Calderón und Rodriguez saßen zwischenzeitlich in Untersuchungshaft und warten auf ihren Prozess. Figueres lebt in der Schweiz und weigert sich auszusagen. Die Vorwürfe gegen Rodriguez wurden laut, kurz nachdem er 2004 den Posten des Generalsekretärs der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) angetreten hatte. Er musste nach nur einem Monat zurücktreten, was die Costaricaner als schwere Demütigung empfanden.

Zahlungsnotstand in Amerikas Schweiz

Korruption und Misswirtschaft haben das Sozialsystem in Zahlungsnotstand gebracht. Die Infrastruktur verfällt, das Wachstum verlangsamt sich. Die Steuerlast trägt die Mittelschicht. 22 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, vier Prozent mehr als vor zehn Jahren. Das traditionelle Zweiparteiensystem ist durch die Skandale erodiert. Die christsoziale PSUC, der neben Rodriguez und Calderón auch der planlose scheidende Präsident Abel Pacheco angehören, erreicht in Umfragen kaum fünf Prozent der Wählerstimmen. Die sozialdemokratische PLN (Partido de la Liberación Nacional) des Favoriten Oscar Arias hat sich gespalten, woran der Kandidat selbst Anteil hatte. Damit er als nationaler Retter antreten konnte, musste die Verfassung geändert werden, die nur eine Amtszeit erlaubte. Führende Mitglieder verließen die PLN, weil sie vermuteten, dass es bei der Entscheidung des Verfassungssenats nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Sechs Kandidaten stellen sich nun zur Wahl. Einzig ernst zu nehmender Verfolger des Wiedergängers Arias ist der PLN-Dissident Ottón Solís, der der Partei aus Protest gegen neoliberale Strömungen den Rücken kehrte. In Umfragen haben bis zu 40 Prozent der Befragten erklärt, sie wollen nicht zur Wahl gehen, weil sie das Vertrauen in die Demokratie verloren hätten. Und das in einem Land, in dem Wahlkämpfe früher wie Volksfeste abliefen.

»Nicht in unseren wildesten Träumen hätten wird gedacht, dass wir da landen könnten, wo wir gelandet sind.« Das sagt Mauricio Herrera, Leiter des Rechercheteams der Zeitung »La Nación«, die die Korruptionsskandale aufgedeckt hat. Dafür bekam Herrera 2005 den renommiertesten Journalistenpreis der iberoamerikanischen Welt, den Premio Ortega y Gasset. In Costa Rica ist er eine Art Nationalheld. Wie in vielen Ländern Mittelamerikas werden auch in Costa Rica die Presse – und mit Einschränkungen die Justiz – als einzige funktionierende Institutionen wahrgenommen.

Dabei sind Journalisten, die Skandale ans Licht bringen, Repressionen ausgesetzt, die an die Zeit der Diktaturen erinnern. In Nicaragua hat Arnoldo Alemán seinen Absturz den Recherchen des Blattes »La Prensa« zu verdanken. Seitdem lässt seine Liberale Partei in unheiliger Kumpanei mit den Sandinisten nichts unversucht, der Zeitung den Hahn abzudrehen. In Guatemala werden unbequemen Journalisten Mara-Banden auf den Hals gehetzt. In Costa Rica sind die Fenster von »La Nación« mit Metallplatten verhängt, nachdem Unbekannte auf das Verlagsgebäude schossen. Gefährdung empfinden in Costa Rica jedoch nicht nur Journalisten. Man kann auf der Straße fragen, wen man will: Die steigende Kriminalität wird stets als Hauptproblem genannt und meist in Verbindung mit der Einwanderung aus den Nachbarländern gebracht, wo die Armutsquote zum Teil mehr als 50 Prozent beträgt. Nicaraguaner schlagen sich in Costa Rica bei der Müllabfuhr oder als Taxifahrer durch und bekommen den Rassismus der Costaricaner zu spüren. Schlagzeilen machte ein Fall, bei dem ein nicaraguanischer Einbrecher von Wachhunden zerrissen wurde. Das Gemetzel dauerte eine Stunde und wurde von einem Fernsehteam gefilmt. Niemand dachte daran, die Hunde zu erschießen. Der Fall sorgte für diplomatische Verstimmung.

Die jährlich 1,5 Millionen Touristen erhalten Costa Ricas relativen Wohlstand. Es könne aber nicht sein, dass die Gäste in ihren Hotels Vier-Sterne-Qualität genössen, um sich herum aber Ein-Sterne- Verhältnisse mit kaputten Straßen und Elendsvierteln vorgesetzt bekämen, sagt Oscar Arias. Er will Costa Rica mit den Rezepten der europäischen Sozialdemokratie reformieren. Die Staatsmonopole in Telekommunikation, Versicherungs- und Gesundheitswesen sollen sich privaten Investoren öffnen. Das verlangt auch das zentralamerikanische Freihandelsabkommen CAFTA, das Costa Rica bislang als einziges Land nicht ratifiziert hat und das Arias favorisiert. Costa Rica müsse Produktivität und Export steigern. Von seinem früheren Ideal, man könne die Armut abschaffen, habe er allerdings Abschied genommen, sagt Arias.

Freihandel unter Ungleichen

Seine Vorbilder sind Veteranen wie Bill Clinton oder Felipe González. Mauricio Herrera hält Arias für integer, befürchtet aber, dass mehr Markt der Korruption die Tore öffne. Die Skandale um Rodríguez, Figueres und Calderón hätten sich alle im Umfeld früherer Teilprivatisierungen abgespielt. Calderón wird verdächtigt, als Präsident neun Millionen Dollar Kommission bei der Vermittlung eines Kredits angenommen zu haben, mit dem die staatliche Gesundheitsorganisation medizinisches Equipment in Finnland kaufte. Rodríguez soll Geld vom französischen Telekom-Multi Alcatel bekommen haben, die sich 2001 ein Millionengeschäft mit der costaricanischen Telefongesellschaft sicherte. Figueres schließlich erhielt von Alcatel kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Amt einen hoch dotierten Beratervertrag.

Es habe bei der bisherigen Privatisierung an Transparenz gefehlt, kritisiert Herrera. Zu viel Geld versickere in dunklen Kanälen. Auf der Strecke blieben Menschen, die medizinische und soziale Leistungen in einem marktwirtschaftlichen System nicht bezahlen könnten. Natürlich biete mehr Freizügigkeit auch Chancen für Costa Rica, das sich nicht abschotten könne, räumt Herrera ein. Ein Beitritt zum Freihandelsabkommen mit den USA etwa sei jedoch im Moment, »als würde man gegen Mike Tyson in den Ring steigen. Solange die USA ihre Produkte subventionierten, könne der Wettbewerb nicht fair ablaufen«.

Arias' Rivale Ottón Solís will eine Volksabstimmung über CAFTA abhalten. Er tritt für einen starken Staat ein und bezeichnet sich als »sozialdemokratischen Fundamentalisten«. Demonstrativ geht Wahlkämpfer Solís in den Armenvierteln in die Häuser und hört sich die Probleme an. Jedoch verspricht er nicht, im Falle seiner Wahl sofort die Straße zu reparieren und für die Ansiedlung eines Supermarktes zu sorgen. »Das aber«, sagt Mauricio Herrera, »war in Costa Rica bislang so üblich.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Februar 2006


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