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Krumme Geschäfte mit der gelben Frucht

Der Welthandel und eine Chiquita-Plantage in Costa Rica

Von Knut Henkel, Puerto Viejo de Sarapiquí*

Zum 1. Januar hat die EU ihre Importquoten für Bananen abgeschafft, dafür aber den Zollsatz kräftig erhöht. Dies könnte Produzenten in Costa Rica, dem zweitwichtigsten Herkunftsland, das Genick brechen, denn die Konkurrenz ist billiger. Die Unternehmen dort versuchen mit altbekannten Mitteln gegenzusteuern – Lohndumping und Abbau von Arbeitsrechten.

Schon von weitem ist das dumpfe Röhren des Trucks zu hören, der sich schaukelnd auf der von Schlaglöchern gesäumten Piste fortbewegt. Der schwere Lastwagen aus US-Produktion zieht einen riesigen weißen Container, auf dem das von goldgelben Bananen umgebene Chiquita-Label prangt. Drei bis vier Container mit den krummen Früchten verlassen täglich die Verpackungsstation der Plantage Gacelas in Puerto Viejo de Sarapiquí. Die Provinzstadt im Nordosten Costa Ricas liegt inmitten des wichtigsten Bananenanbaugebietes des Landes. Dort haben die großen multinationalen Bananenkonzerne, neben Chiquita auch Dole und Del Monte, ihre Plantagen angelegt. Jeden Tag starten Sattelschlepper nach Limón, dem Karibikhafen, oder nach Puerto Caldera am Pazifik, um den Nachschub für den europäischen und US-amerikanischen Markt sicherzustellen.

Zwölf Stunden auf der Plantage

Die Nachfrage ist hoch, die Bananenarbeiter haben alle Hände voll zu tun, um ausreichend reife Bananenbüschel zur Verpackungsstation zu schaffen. »Knochenarbeit«, erklärt Ramón Barrantes. »Rund zwölf Stunden sind viele Arbeiter auf den Plantagen unterwegs, um all ihre Aufgaben zu erfüllen«, so der 47-jährige Vorsitzende des Dachverbandes der Bananengewerkschaften, Cosiba. Doch das reiche einigen Unternehmen noch nicht: »Ein Arbeiter wurde entlassen, weil er sich weigerte, länger als zwölf Stunden zu arbeiten. Nun klagen wir auf Wiedereinstellung und Bezahlung der geleisteten Überstunden«, erklärt der schwergewichtige Arbeitervertreter, der früher selbst mit der Machete auf der Plantage unterwegs war.

Die Arbeitsbedingungen haben sich merklich verschlechtert. »Die Löhne stagnieren seit rund zehn Jahren, und in den letzten Monaten wurde der Druck auf die rund 30 000 bis 40 000 Arbeiter im Bananensektor weiter verstärkt«, sagt Ramón Barrantes. Heute ist er unterwegs, um Gewerkschaftsmitglieder in den Siedlungen nahe den Plantagen zu besuchen. Marcio García und Rubén Santos, Arbeiter auf der Chiquita-Plantage Gacelas, sind alles andere als zufrieden. »Mehr, länger und schneller sollen wir für das gleiche Geld arbeiten«, sagt Marcio García. »Seit fünf Jahren arbeite ich nun auf der Plantage, und seit einigen Monaten muss ich elf unterschiedliche Arbeitsgänge an einem Tag abspulen«, klagt der 33-Jährige, der aus Nicaragua stammt. Murrend geht er mit den Kollegen, von denen nur einige wenige gewerkschaftlich organisiert sind, seiner Arbeit nach. Alternativen haben sie nicht, denn immer mehr Unternehmen aus dem Bananensektor drohen den Plantagenarbeitern mit Entlassung, wenn sie nicht spuren, so Gewerkschafter Barrantes. Und zurück nach León, wo Gracía und Santos herkamen, können sie nicht – dort gibt es keine Jobs, nicht einmal schlecht bezahlte.

Die Bananenkonzerne begründen das rigorose Vorgehen mit den veränderten Bedingungen auf dem Weltmarkt. Seit dem 1. Januar wird in der EU ein einheitlicher Zollsatz von 176 Euro pro Tonne importierter Bananen erhoben. Zuvor waren es 75 Euro, womit die lateinamerikanischen Produzenten leben konnten. Die drastische Erhöhung ist für die Lieferanten aus Costa Rica ein Desaster. »Das Geschäft droht, unrentabel zu werden, und viele Arbeiter könnten ihre Jobs verlieren, wenn es nicht zu einem Kompromiss kommt«, sagt Barrantes. In Ecuador, Brasilien und verschiedenen afrikanischen Staaten werde billiger produziert als in Costa Rica. Der Grund dafür ist einfach: niedrigere Lohnkosten und weniger Arbeitsrechte.

Rechte zumindest auf dem Papier

Anders als bei der Konkurrenz ist es um die Rechte der Arbeiter auf den Plantagen Costa Ricas zumindest auf dem Papier gut bestellt. So ist der Acht-Stunden-Tag genauso fixiert wie die Bezahlung von Überstunden und das Recht auf gewerkschaftliche Vertretung. In der Praxis fehlt jedoch das Geld für Kontrollen; nur in Einzelfällen mussten Arbeiter, die wegen ihrer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft entlassen wurden, wieder eingestellt werden. Und ein Mann wie Ramón Barrantes ist auf den Plantagen nicht gern gesehen. Der Wachschutz hat ihn schon mehrfach an der Schranke abgewiesen, weshalb er die Arbeiter lieber in der kleinen Siedlung am Rande der Plantage trifft. Hier spielen einige Kinder vor den cremefarben gestrichenen Häusern mit den roten Wellblechdächern – einfache, genormte Unterkünfte, wie sie in der Nähe großer Plantagen meistens zu finden sind.

Auf der Gacelas-Plantage schuften rund 150 Angestellte; Männer zumeist auf dem Feld, Frauen in der Verpackung. 210 Hektar mit unzähligen, bis zu vier Meter hohen Stämmen. Diese sind durch ein oder zwei orangefarbene Kunststoffbänder gesichert. Damit werden die Stämme vor dem Umkippen bewahrt, denn Tragen können sie ihre schwere Last oft nicht. 20 bis 30 Kilo wiegt ein Bananenbüschel, wenn er reif für die Reise nach Europa ist. Dann tragen Männer wie Rubén und Marcio ihn zum nächsten Seilzug. Dort wird die Last eingeklinkt und im Laufschritt zur Verpackungsstation transportiert, dann zerlegt, gewässert und in Pappkartons zu 18 Kilogramm verpackt.

Bananen-Ernte ist Akkordarbeit, und immer öfter werden die Arbeiter nicht pro Stunde, sondern pro Hektar bezahlt. So wie Ramon Julio, der in einer anderen Chiquita-Plantage auch schon mal mehr als zwölf Stunden schuftet, um die neun Hektar, die er zu bearbeiten hat, in Ordnung zu halten. 1700 Colones, umgerechnet 3 US-Dollar und 40 Cent, erhält der schlaksige junge Familienvater pro Hektar. Er weiß nur zu gut, dass er den Job nur einige Jahre auf dem Niveau durchhalten kann.

»Mit Anfang 40 wird man entlassen«, erklärt Gewerkschafter Barrantes, der durch den täglichen Umgang mit Schädlingsbekämpfungsmittel nicht nur krank, sondern auch steril wurde. Mit Pestiziden haben die Männer auch heute regelmäßig zu tun. Große Schilder warnen davor, sich auf den Plantagen aufzuhalten, wenn aus der Luft gesprüht wird. Kleine Propellermaschinen nebeln die Bananenstauden dann mit ihrer giftigen Last ein, die den Pilzbefall eindämmen soll. »Zwei Mal wöchentlich wird gesprüht«, erklärt ein Arbeitskollege Ramons, der nach über elf Stunden Plackerei gerade von der Plantage kommt.

Akkordarbeit nach Hektar bezahlt

Für alles andere als attraktiv hält er die Arbeitsbedingungen beim Chiquita-Konzern, der sich weltweit für sein Sozial- und Umweltengagement rühmt. Als minimal bezeichnet Ramón Barrantes die Erfolge, die Chiquita hier tatsächlich vorzuweisen hat. Doch mehr als ihn die Imagekampagne der Nummer eins auf dem europäischen Markt ärgert, fürchtet er dessen Abzug aus Costa Rica. »Chiquita hat wie Dole und Del Monte Flächen in anderen Ländern aufgekauft, und wir fürchten den Abzug der Unternehmen, wenn die EU nicht einlenkt und endlich einen fairen Zollsatz einführt.« Mehrfach hat die Welthandelsorganisation die EU-Einfuhrregelungen kassiert und Nachbesserungen eingefordert. Doch bisher ist nichts dabei herausgekommen, womit auch die Produzenten in Lateinamerika leben könnten. Darauf hofft hingegen Gewerkschafter Barrantes – ein Kompromiss im Dienste aller Produzenten.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Januar 2006


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