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Anhaltend nachhaltig

Costa Rica setzt seit den 1980ern auf regenerative Energien und will bis 2021 kohlendioxidneutral sein

Von Knut Henkel *

Der Geruch nach faulen Eiern hängt schwer in der Luft. Immer dann, wenn eine kleine Wolke aus dem nahen Krater des Miravalles aufsteigt, trägt der Wind den beißenden Geruch nach Schwefel mit sich. Ingenieur Sergio Zúñiga Castro nimmt den Gestank kaum mehr wahr. Lächelnd steht er am Eingang zum Kraftwerk Miravalles, deutet auf den nahen Vulkan, der von einigen Schäfchenwolken umgeben majestätisch in der Sonne liegt, und weist dann den Weg zur zentralen Kraftwerkshalle. Dort sind zwei 55 Megawatt-Generatoren untergebracht, deren dumpfes Surren schon im Treppenhaus zu hören ist. Die stählernen, beige lackierten Ungetüme sind das Herz der 166 Megawatt leistenden Anlage. Der Geologe arbeitet für das nationale Elektrizitätsunternehmen ICE, welches den Kraftwerkskomplex im Norden Costa Ricas betreibt. Hier wird aus Erdwärme Strom gewonnen.

Kein lateinamerikanisches Land hat so frühzeitig auf alternative Energie gesetzt wie Costa Rica. 99 Prozent des generierten Stroms stammten bereits 2005 aus regenerativen Energieträgern wie Wasser, Wind und Erdwärme. In den letzten Jahren hat allerdings der Bedarf an Erdöl wieder zugenommen. Ein Grund dafür sind die fehlenden Mittel beim staatlichen Energieversorger. Den würden die einen gern privatisieren, während die anderen dafür plädieren dem Konzern mehr Investitionskapital zukommen zu lassen. Nun scheint man sich auf einen Mittelweg zu einigen.

240 Grad Hitze aus Erdwärmebrunnen

Der Dampf aus der Tiefe ist nach dem Wasser die zweitwichtigste Energiequelle des Landes. Knapp 13 Prozent des 2009 in Costa Rica erzeugten Stroms entfielen auf die nach dem Vulkan Miravalles benannte Anlage. Deren erster Abschnitt mit 55 Megawatt wurde 1994 in Betrieb genommen. Weitere Abschnitte folgten 1998 und 2000. Ende 2003 wurde Miravalles V eingeweiht. »Damit ist das Potenzial der insgesamt 53 Bohrlöcher, die im Laufe der Jahre entstanden, ausgeschöpft«, erklärt Zúñiga.

29 der bis zu 3100 Meter tiefen Bohrlöcher dienen den ICE-Ingenieuren als Erdwärmebrunnen – aus ihnen wird ein Gemisch aus Wasser und heißem Dampf gefördert. Rund 240 Grad Celsius ist es heiß und die dampfenden Schwaden werden über ein kompliziertes System von dicken Rohren den unablässig surrenden Turbinen zugeführt. Das zurückbleibende Wasser wird, nach ausreichender Abkühlung, über 16 weitere Bohrlöcher mit hohem Druck wieder in die Tiefe gepresst. Dort befindet sich das Erdwärmefeld, welches das ICE angezapft und seit sechzehn Jahren zur kommerziellen Energiegewinnung nutzt. »In den Hohlräumen im Fels, in zwei bis dreitausend Metern Tiefe, erhitzt sich das Wasser und steigt als Dampf wieder an die Oberfläche«, schildert Zúñiga den Prozess. Der wird über vier weitere Bohrlöcher penibel von den Spezialisten beobachtet.

Abfallende Leistung in einigen der Erdwärmebrunnen haben Zúñiga und seine Kollegen bereits registriert und deshalb ist die Stromproduktion seit 2006 in der Regenzeit etwas heruntergefahren worden, denn auch die Erdwärmefelder sind endlich. Spezialisten gehen derzeit von einer Nutzung von zwanzig bis dreißig Jahren aus. »Wenn wir die Stromproduktion etwas drosseln, haben wir länger etwas von den Brunnen. Und wenn in der Regenzeit die Staubecken voll sind und genug Energie aus der Wasserkraft gewonnen wird, dann muss die Anlage in Miravalles nicht unbedingt voll laufen«, erläutert Zúñiga. Diese Strategie greift allerdings nur bedingt, denn der Energiebedarf des kleinen mittelamerikanischen Landes steigt und in den letzten Jahren wurde immer öfter in konventionellen Kraftwerken Diesel verheizt, um den Bedarf zu decken. 2008 waren es Angaben des Energie- und Umweltministeriums zufolge rund neun Prozent, 2009 rund fünf Prozent des Strombedarf, der so generiert wurde.

Rückschritt in der Energiebilanz

Das kritisieren Umweltschützer in Costa Rica genauso wie Experten des ICE. »Um vier bis sechs Prozent wächst der Energiebedarf hierzulande pro Jahr«, erklärt Sergio Zúñiga Castro. Bereits 2005 war den Experten klar, dass es zu Energieengpässen kommen würde, denn zum einen gab es Verspätungen beim Bau von Kraftwerken, zum anderen gilt der staatliche Energiekonzern ICE als unterkapitalisiert. »Es fehlt seit Jahren an Investitionskapital, denn einflussreiche politische Kreise plädieren für eine Privatisierung der ICE«, kritisiert Zúñiga.

Auch das mit 35 Megawatt relativ kleine Geothermiekraftwerk »Las Pailas« ist davon betroffen. Eigentlich sollte das Erdwärmekraftwerk, welches weit im Norden des Landes liegt, bis 2010 ans Netz gehen. Doch vor Ende 2011 wird es aufgrund der Verzögerungen kaum Strom aus »Las Pailas« geben, prognostizierte ICE-Direktor Alfredo Mainieri im Frühjahr des Jahres. Die hohen Investitionen sind dafür ein Grund, ein anderer ist, dass es in Costa Rica recht lange dauert bis die Bohrgenehmigungen erteilt sind, weil fast alle Vulkane des Landes, die de facto über die Erdwärmekraftwerke angezapft werden, in Nationalparks liegen, die geschützt sind.

Naturschutz wird groß geschrieben in Costa Rica und viele der knapp zwei Millionen Touristen, die das Land jährlich besuchen, kommen wegen der Bilderbuchflora und -fauna. Mehr als ein Viertel des Landes steht unter Naturschutz und dazu passt gut, dass das mittelamerikanische Land frühzeitig auf die Nutzung erneuerbarer Energien gesetzt hat. Das Erdwärmekraftwerk Miravalles ist dafür genauso ein Beispiel wie die Wasserkraftwerke rund um den Arenal-See und seine Zuflüsse.

Aus Wasserkraft wurden 2009 knapp achtzig Prozent des Stroms generiert, dreizehn Prozent aus Erdwärme und vier aus Windkraft. Knapp fünf Prozent entfallen hingegen auf das Erdöl und das soll sich nun schleunigst ändern. Die neue Regierung von Präsidentin Laura Chinchilla Miranda will die Stromproduktion zu 100 Prozent aus regenerativen Energiequellen decken, zum anderen die Möglichkeiten für private Investitionen im Energiesektor erweitern. »Ein gemischtes Modell« nennt das Energieminister Sergio Teófilio de la Torre. Dieses Ergebnis ist auch ein Erfolg des Widerstands von Gewerkschaften und Umweltorganisationen gegen die Privatisierung der ICE.

Dem kommt auch bei der Umsetzung eines anderen ehrgeizigen Ziels der Regierung eine Schlüsselfunktion zu. Die Regierung will nämlich bis 2021 als erstes Land der Welt eine neutrale C02-Bilanz vorweisen. Dazu sind allerdings auch vermehrte Investitionen nötig und bei Wind, Sonne, aber auch Wasser verfügt Costa Rica laut dem ICE über beachtliche ungenutzte Potenziale. So hat sich Zúñiga erst vor ein paar Wochen den neuen Windpark von Guanacaste angeschaut. Der liegt im Norden des Landes, wurde im Dezember 2009 eingeweiht und liefert knapp 50 Megawatt. Mit dem 110 Millionen US-Dollar teuren Park, der von der deutschen Juwi Holding AG umgesetzt wurde, erhöhte sich die Kapazität der Energieerzeugung aus Wind um rund 80 Prozent. Auf rund 600 Megawatt wird das Potenzial beim Wind geschätzt, doch bisher verfügt Costa Rica gerade über 20 Prozent dieser Menge. Das wird sich wahrscheinlich bis 2021 ändern, denn dann soll der Anteil von Wind, Sonne, Biomasse und Erdwärme am nationalen Strommarkt mindestens 30 Prozent betragen. Daran werden die Ingenieure des ICE ihren Anteil haben, denn die Regierung scheint ihren Frieden mit der nationalen Stromgesellschaft gemacht zu haben.

Dem Konzern sollen, so Minister Rodrigo Arias, nun Partner zur Seite gestellt werden, die das nötige Kapital aufbringen können, um die energetische Revolution in der Schweiz Lateinamerikas voranzutreiben. Ein Modell mit dem auch Sergio Castro Zúñiga leben kann. Der hat seinen Rundgang durch die Kontrollhalle des Erdwärmekraftwerks von Miravalles gerade beendet. Alles ist in Ordnung. »Die Leistung kann sich nach sechzehn Betriebsjahren immer noch sehen lassen«, sagt der Ingenieur zufrieden, nimmt den Helm ab und schreitet mit einem letzten Gruß zu seinem Wagen.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Oktober 2010


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