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Das ganz alltägliche Gift

Greenpeace-Aktivisten protestierten vor Grönland mit Bohrinselbesetzung

Von Andreas Knudsen *

Ölbohrungen im Meer können auch ohne Unfall zur schweren Umweltbelastung werden. So werden bei Bohrungen vor Grönland große Mengen schädlicher Zusatzstoffe der Bohrflüssigkeit ins Meer gekippt.

Zweimal besetzten Greenpeace-Aktivisten in den vergangenen Wochen die Bohrplattform »Leiv Eiriksson«, bis sie durch eine Einsatzgruppe der dänischen Marine festgenommen wurden. Der Auftraggeber der Bohrung, das schottische Unternehmen Cairn Energy, hat die Aktivisten inzwischen in den Niederlanden verklagt, wo das Greenpeace-Schiff »Esperanza« registriert ist. Cairn Energy fordert zwei Millionen Euro Schadenersatz für jeden Aktionstag.

Cairn setzt Bohrungen vom Vorjahr fort, nachdem Spuren von Gaskondensat die Hoffnung auf ein großes Ölvorkommen in der Davisstraße zwischen Kanada und Nordwestgrönland nährten. Gebohrt wird in Meerestiefen von bis zu 650 Metern. Das zeitweilige Moratorium für Tiefseebohrungen, das die grönländische Selbstverwaltungsregierung nach der Katastrophe im Golf von Mexiko verhängte, ist längst aufgehoben. Die Verwaltung versichert, sie habe in die neuen Bohrgenehmigungen die strengsten Sicherheitsvorschriften der Welt eingebaut. So müsse Cairn eine zweite Bohrinsel vor Ort bereithalten, um im Falle eines Blow-out sofort eine Druckentlastungsbohrung niederzubringen. Cairn musste vor Bohrbeginn nachweisen, dass Mannschaft und Material für den Katastrophenfall in Bereitschaft sind, teils im nächstgelegenen grönländischen Hafen, teils in Schottland. Wie das allerdings bei dem in der Region häufig schlechten Wetter zuverlässig funktionieren soll, wurde der Öffentlichkeit nicht erklärt. Zudem besteht in diesen Gewässern immer das Risiko einer Kollision mit Eisbergen.

Cairn muss im Wesentlichen die gleichen Regeln einhalten, die Norwegen für arktische Bohrungen aufgestellt hat. Mit wenigstens einer Ausnahme: In der Bohrflüssigkeit befinden sich andere chemische Stabilisatoren. Die vor Grönland im Bohrschlamm zugelassenen Substanzen bauen sich im günstigsten Falle innerhalb von 28 Tagen ab. Deren Giftigkeit und die Folgen für die empfindlichen Ökosysteme am Meeresgrund sind umstritten. Dabei handelt es sich immerhin um 45 bis 200 Tonnen dieser Stoffe. Im dänischen Teil der Nordsee dürfen maximal 1,4 Tonnen der Stabilisatoren ins Meer kommen. Erprobte Technologien zur Bekämpfung von Ölverschmutzungen im eisbedeckten Meer oder an vereisten Küsten gibt es bislang nicht.

Ein weiterer Kritikpunkt ist der Prozess der Lizenzerteilung. Das grönländische Rohstoffdirektorat spielt eine Doppelrolle, weil es einerseits die Einhaltung aller Vorschriften zu kontrollieren und andererseits die Aufgabe hat, Bergbau- und Ölindustrie Grönlands auszubauen. Dieser Sektor wird als entscheidend betrachtet, um eine staatliche Unabhängigkeit ökonomisch zu stützen. Grönländische Kritiker und Umweltorganisationen befürchten deshalb, dass ein unabhängiges Grönland in die Gefahr gerät, ein »Cairn«-Reservat zu werden.

Forderungen, die Suche nach Öl und Gas im Namen des Schutzes der fragilen arktischen Natur einzustellen, weist die Autonomieregierung in der Hauptstadt Nuuk zurück. »Wenn die ganze Welt nach Öl bohrt, warum sollen wir die ersten sein, die darauf verzichten und unsere Zukunftschancen nicht nutzen?«, antwortete Regierungschef Kupik Kleist seinen Kritikern.

Grönland

Grönland (grönländisch: Kalaallit Nunaat) ist mit einer Fläche von 2 166 086 km² die größte Insel der Erde. Der bis zu 3400 Meter mächtige Grönländische Eisschild ist nach dem Eisschild der Antarktis die größte zusammenhängende Gletschermasse der Erde. Das gesamte Inlandeis Grönlands enthält genug Wasser, um den Pegel der Weltmeere um sechs bis sieben Meter zu erhöhen. Vor rund 5000 Jahren wanderten die Vorfahren der ersten Inuit ein. Den heutigen Namen verdankt die Insel den Wikingern, die im 9. und 10. Jahrhundert dorthin kamen.



* Aus: Neues Deutschland, 14. Juni 2011


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