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Einheitsliste will Richtungswechsel

In Dänemark wächst die Kritik an der Mitte-Links-Regierung

Von Dominic Heilig, Kopenhagen *

Die rot-grüne Einheitsliste Dänemarks befindet sich im Umfragehoch. Entsprechend groß war das Selbstbewusstsein auf dem Parteitag am Wochenende. Das strategische Dilemma der politischen Linken: Soll man zur Ablösung der Mitte-Links-Regierung beitragen oder sie trotz aller Mängel unterstützen?

Seit 2011 wird Dänemark von einer Koalition aus Sozialdemokratie, Linksliberalen und Sozialistischer Volkspartei regiert. Das Aufatmen damals, nach zehn Jahren konservativ-rechtspopulistischer Regierung, war groß. Genauso groß waren die Erwartungen an die neue Minderheitsregierung. Nur hat sie kaum eine erfüllt. Die Arbeitsmarkt- und Steuerreformen in den vergangenen zwei Jahren etwa entsprachen nicht gerade linken Grundsätzen und wurden gemeinsam mit den Konservativen durchgesetzt. Die Umfragen für die Regierungsparteien sind entsprechend schlecht. Die Sozialdemokraten, die mit Helle Thorning-Schmidt die Ministerpräsidentin stellen, sackten am vergangenen Freitag auf 17 Prozent ab. Noch dramatischer sind die Zahlen für die Sozialistische Volkspartei. Enttäuschte sie bereits bei den Wahlen mit nur 6,4 Prozent der Stimmen, werden ihr aktuell nur noch 2,8 Prozent zugeschrieben. Damit ist die parlamentarische Präsenz selbst bei der dänischen Zwei-Prozent-Hürde akut gefährdet.

Am nächsten Wochenende kommen die Volkssozialisten zu ihrem Parteitag zusammen. Dort werden turbulente Debatten erwartet, nachdem viele Mitglieder aufgrund der Regierungspolitik ausgetreten sind und Parteigranden zur Sozialdemokratie oder zur rot-grünen Einheitsliste wechselten. Die Einheitsliste, links von Volkssozialisten und Sozialdemokratie angesiedelt, diskutierte am vergangenen Wochenende auf einem Parteitag in Kopenhagen ihr Verhältnis zur Minderheitsregierung. 2011 hatte man sich bereit erklärt, die Mitte-Links-Regierung zu unterstützen, in Deutschland würde man von einer Tolerierung sprechen. Doch habe die Regierung dieses Angebot in zentralen, vor allem sozialen Fragen nicht angenommen. Zuletzt war sie unter Druck geraten, nachdem unmittelbar nach den Osterferien 70 000 Lehrer im öffentlichen Dienst ausgesperrt wurden. Erst gestern endete diese Aussperrung. Die Regierung wollte so längere Arbeits- und Unterrichtszeiten durchsetzen. Die Einheitsliste unterstützte die Proteste von Lehrern und Eltern aktiv; Mitglieder der Partei sind traditionell fest in den Gewerkschaften verankert.

Letztlich stand also auf dem Parteitag die Frage, ob man dieser Regierung künftig jedwede Unterstützung verweigern sollte. Die Antwort der Delegierten war pragmatisch: »Wir werden weiterhin Angebote unterbreiten, die die Regierung annehmen kann. Wir werden aber auch weiter Druck machen und dafür kämpfen, die Regierungsparteien an ihre Wahlversprechen zu erinnern und die Politik nach links zu verschieben«, heißt es in einem Parteitagsantrag. Wie die Antwort der Regierung aussieht, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Sicher ist, dass sie angesichts der schlechten Umfragewerte bald kommen muss. Die Einheitsliste hingegen verzeichnete in den vergangenen Monaten wachsenden Zulauf. Die Mitgliederzahl stieg zuletzt auf rund 10 000 und in den aktuellen Umfragen werden der Linkspartei zwischen zehn und 13 Prozent zugeschrieben, was eine Verdoppelung ihres Wahlergebnisses von 2011 bedeuten würde.

Und so bereitet sich die Partei selbstbewusst auf die kommenden Auseinandersetzungen vor. Bis 2014 will man in einer Redaktionsgruppe an einem neuen Grundsatzprogramm arbeiten. Hier soll der Fokus verstärkt auf Alternativen zur Überwindung der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise liegen.

Ganz offen wird in der Partei auch über einen Austritt aus der Europäischen Union diskutiert. In den vergangenen Wochen wurde per Mitgliederbefragung darüber abgestimmt, ob die Partei mit einer eigenen Liste zu den Europawahlen 2014 antreten soll oder erneut im Bündnis mit sogenannten Euroskeptikern. Am Ende gab es lediglich 28 Ja-Stimmen mehr für eine eigenständige Kandidatur. Vor dem Parteitag vermochte so niemand zu sagen, wie sich die Delegierten entscheiden würden. Schließlich setzten sich die Gegner einer eigenen Liste mit 222 zu 158 Stimmen durch. Die Einheitsliste wird also für das eurokritische Bündnis »Volksbewegung gegen die EU« mobilisieren. Wichtig sei, so der Europaabgeordnete Søren Søndergaard, »den EU-Gegnern der Volksbewegung weiterhin eine Stimme zu geben und ihnen eine politische Präsenz zu ermöglichen«.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 30. April 2013


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