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Grenzüberschreitend

Jahresrückblick 2011. Heute: Polizei im Auslandseinsatz. Deutsche Beamte bilden Kollegen in Afghanistan aus, jagen Flüchtlinge mit der Frontex-Agentur und spitzeln in Nachbarländern

Von Ulla Jelpke *

Der im Frühjahr öffentlich gewordene Einsatz deutscher Polizisten in Saudi-Arabien hat gezeigt, daß die Entsendung von Polizeibeamten zu einem immer wichtigeren Instrument der deutschen Außenpolitik wird.

Gegenwärtig befinden sich 184 deutsche Bundes- und Landespolizisten im Auftrag der EU bzw. der Vereinten Nationen im Einsatz. Die meisten sind an der sogenannten Rechtsstaatsmission der EU im Kosovo beteiligt (EULEX), die bei einer Gesamtstärke von 1046 Mann einen deutschen Anteil von 86 Beamten hat. In Afghanistan befinden sich 44 Polizeibeamte im Rahmen einer anderen EU-Mission sowie 188 Polizisten aufgrund einer bilateralen Vereinbarung mit der afghanischen Regierung. Sie kümmern sich um die Aus- und Fortbildung einheimischer Sicherheitskräfte, um so den vage in Aussicht gestellten Abzug des Militärs zu ermöglichen. Zum theoretischen Ausbildungsprogramm gehört dabei die Vermittlung rechtsstaatlicher Grundsätze. Allerdings findet hierzu keine Kontrolle statt. Die deutschen Ausbilder, die bisher die afghanischen Einheiten in ihren Distrikten begleitet haben, werden sich ab kommendem Jahr ausschließlich in geschlossenen Trainingszentren aufhalten. Menschenrechtsverletzungen der afghanischen Kräfte, über die Nichtregierungsorganisationen wiederholt berichten, werden sie daher nicht mehr zur Kenntnis nehmen müssen.

Einige kleinere Einsätze erscheinen auf den ersten Blick unspektakulär, etwa die zum Aufbau von Polizeistrukturen in Palästina und Bosnien-Herzegowina. Allerdings gehören im Balkanstaat ausdrücklich auch die Schießfortbildung und der Aufbau geschlossener Einheiten zum Ausbildungsprogramm. Im Sommer begann ein Einsatz im unabhängig gewordenen Südsudan: Fünf von zehn möglichen Bundespolizisten halten sich dort mit dem Auftrag »Ausbildung, Beratung und Unterstützung der Polizei auf nationaler und lokaler Ebene« auf. So klein die Mission ist, so heikel ist sie, weil die Grenzen zwischen Polizei- und Militäreinsatz unscharf sind. Sie ist Teil einer sogenannten hybriden Mission, der neben insgesamt 900 Zivilpolizisten 7000 Soldaten angehören.

Erst im Frühjahr dieses Jahres wurde bekannt, daß sich bereits seit Februar 2009 Bundespolizisten in Saudi-Arabien aufhalten, um den dortigen Grenzschutz auszubilden. Der Einsatz steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Exportgeschäft des Konzerns EADS, der Grenzüberwachungsanlagen in das Scheichtum liefert. Die Machthaber wollten die Lieferung von Technik durch die Bereitstellung von Ausbildern ergänzen, und zwar speziell von deutschen. Die bis zu 50 Polizisten sind damit faktisch nichts weiter als Gehilfen für einen Milliardendeal eines der größten Rüstungskonzerne Europas. Zudem sickerte aus der Bundespolizei durch, daß aus den Unterlagen, mit denen der saudische Grenzschutz geschult wird, Hinweise auf menschenrechtliche Grundsätze explizit gestrichen worden sind, etwa daß Polizeiarbeit einem »modernen freiheitlichen Rechtsstaat« dienen müsse, ebenso wie der Verweis auf die Gleichberechtigung der Frau. Die Schulung sei damit »adressatengerecht«, begründete dies die Bundesregierung.

Zahlenmäßig eher gering, aber kontinuierlich ist der deutsche Beitrag zur europäischen Grenzabschottungsagentur Frontex. Im Frühjahr waren 49 deutsche Beamte an einem Einsatz sogenannter Schneller Einsatzgruppen an der griechisch-türkischen Landgrenze beteiligt. Dort stellten sie fest, daß ihre griechischen Kollegen, die sie unterstützen sollten, haarsträubende Menschenrechtsverletzungen an den Flüchtlingen begingen. Dennoch wird Frontex weiter unterstützt. Im November und Dezember beteiligten sich 34 Polizisten an deren Einsätzen, davon sechs an der türkisch-griechischen Landgrenze und zwölf im Ionischen Meer, um Flüchtlinge bei der Einreise in die EU abzufangen. In der Warschauer Zentrale der Agentur verrichten zehn Beamten ihren Dienst.

Seine Rolle als polizeilicher »Global Player« unterstreicht Deutschland durch eine Vielzahl von Ausbildungsmaßnahmen für Polizisten in (fast) der ganzen Welt. Alleine im dritten Quartal dieses Jahres gab es 31 solcher Angebote. Einen Schwerpunkt bilden dabei Lehrgänge zum Umgang mit Dokumenten und Visa bzw. zum Erkennen von Fälschungen sowie zur Grenzsicherheit. Solche Seminare werden bevorzugt EU-Anrainern angeboten, also osteuropäischen Ländern sowie der Türkei.

In einer undurchsichtigen Grauzone spielt sich der internationale Austausch von V-Leuten ab. Anfang des Jahres war ein britischer Polizeispitzel aufgeflogen, der jahrelang die globalisierungskritische Szene ausgespäht hatte, auch in Deutschland. Deutsche V-Leute tun das gleiche im Ausland, die Bundesregierung verweigert hierzu aber die Aufklärung. Die derzeitige Rechtslage erlaubt es der Bundesregierung, Polizisten nach eigenem Ermessen rund um die Welt zu schicken. Ein Parlamentsbeschluß ist nicht erforderlich, und nur bei EU- oder UN-Missionen muß der Bundestag überhaupt informiert werden. Eine Begrenzung finden die weltweiten Einsätze deshalb nur im Freiwilligkeitsprinzip und in der Personalsituation bei der Polizei.

* Aus: junge Welt, 22. Dezember 2011


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