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"Anstatt die Mitschuldigen an den Naziverbrechen gerecht zu bestrafen ..."

Nazis und Kriegsverbrecher in Schlüsselfunktionen des Auswärtigen Amts der frühen Bundesrepublik. Vor 45 Jahren erschien das "Braunbuch"


Im Folgenden dokumentieren wir aus dem "Braunbuch" von 1965 ein paar Abschnitte, die sich mit der Tätigkeit belasteter Nazis im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland befassen. Wir müssen ausdrücklich auf das Erscheinungsjahr des Buches hinweisen: 1965! Die Abschnitte stammen aus dem Kapitel "Diplomaten Ribbentrops im Auswärtigen Dienst Bonns" (S. 233-278).
Im Internet ist der vollständige Text der dritten Auflage des "Braunbuchs" (1968) erhältlich unter: www.braunbuch.de
Wir haben den im Internet vorliegenden Text mit dem in unserem Besitz befindlichen Druckexemplar (2. Auflage, 1965) abgeglichen.



520 NAZI-DIPLOMATEN IM AUSWÄRTIGEN AMT

(Seite 247-248) Doch anstatt die Mitschuldigen an den Naziverbrechen aus dem Staatsdienst zu entfernen und gerecht zu bestrafen, wurden die Experten des Kriegsverbrechers Ribbentrop immer zielstrebiger in die entscheidenden Funktionen der Bonner außenpolitischen Institutionen geschoben. In dem bisher erschlossenen Archivgut befinden sich Unterlagen über die Tätigkeit von mehr als 520 ehemaligen Nazi-Diplomaten und anderer getreuer Beamten des faschistischen Staatsapparates, die wieder führende Positionen im Bonner Auswärtigen Amt innehaben. In den Spitzenfunktionen, als Abteilungs- oder Referatsleiter bzw. als deren Vertreter, sind mehr als 30 ehemalige Ribbentrop-Diplomaten oder andere führende Nazis tätig.

Einer der einflußreichsten Leute im Bonner Auswärtigen Amt ist der ehemalige SA-Rottenführer und heutige Staatssekretär Rolf Lahr. Lahr, seit April 1933 Mitglied der Nazi-Partei, spielte von 1934 bis Kriegsende als Regierungsrat im faschistischen Reichswirtschaftministerium (Abt. V, Referat 7, Italien, Türkei) eine unrühmliche Rolle bei der Ausbeutung solcher sogenannter verbündeter Staaten, wie Ungarn und Italien, für die NS-Kriegsproduktion. Zusammen mit der Handelspolitischen Abteilung des Ribbentrop-Amtes zwang er beispielsweise 1941/42 unter räuberischen Zahlungsbedingungen die Ungarische Regierung zu kriegswichtigen Bauxitlieferungen an das Nazi-Reich (Deutsches Zentralarchiv Potsdam, Bestand: Auswärtiges Amt, Nr. 67916). Später gehörte er zu dem Gremium von Nazi-Experten, die für den Fall der geplanten Unterwerfung und Kolonisierung der arabischen Staaten die wirtschaftliche Ausplünderung des Irak mit vorbereiteten. So erwarb Lahr jene „Erfahrungen“, die ihn heute zum Exponenten der neokolonialistischen „Entwicklungspolitik“ Bonns machen.

Zu ihnen gehört auch der bisherige Staatssekretär im Bundespräsidialamt und jetzige Botschafter in Rom, Dr. Hans Herwarth von Bittenfeld, Diplomat Ribbentrops bis 1941. Danach beteiligte er sich als Ausbilder und Aufsichtsoffizier der Wlassow-Armee an den Raubzügen in der Sowjetunion und den Greueltaten gegen sowjetische Armeeangehörige. Nach 1945 zunächst Regierungsdirektor in der Bayerischen Staatskanzlei, gehörte er ab 1950 als Ministerialdirigent im Bonner Auswärtigen Amt zu jenen Drahtziehern, die die Besetzung der leitenden Posten dieses Amtes mit Nazi-Diplomaten organisierten.

Unter den leitenden Diplomaten des Bonner Auswärtigen Amtes befindet sich z. B. von Mirbach, ursprünglich Sonderbotschafter bei Bundesaußenminister Schröder, inzwischen Botschafter in Indien. Er war der persönliche Referent des im Wilhelmstraßen-Prozeß verurteilten Staatssekretärs von Steengracht und ist für zahllose Verbrechen mitverantwortlich. Sein Vorgänger - als „Botschafter z.b.V.“ des Bundesministers - war Granow, unter Ribbentrop die rechte Hand des Gesandten von Grobba bei der Vorbereitung der Aggression gegen die arabischen Staaten und zeitweise auch Generalsekretär der Informationsstelle XIV. („Antijüdische Aktion“). 1964 ging er in den Ruhestand.


GESTAPO-MITARBEITER LEITEN DIE OSTABTEILUNG

(S. 248-249)

Franz Krapf, der ehemalige Leiter der Ostabteilung des Bonner Auswärtigen Amtes und jetzige Botschafter in Tokio, gehörte zu den Ribbentrop-Diplomaten, die besonders eng mit dem SD zusammenarbeiteten. Er war SS-Untersturmführer. In einem Aktenvermerk eines SD-Beauftragten über den Ausbau der sogenannten Reichsbahnwerbezentrale und deren „Niederlassung“ in Japan - eine Tarnbezeichnung für die Zentrale des SD zur Spionage und zur Durchführung von „Sonderaufgaben“ in Japan - heißt es über Krapf:

„Der Unterzeichnete wurde am 24.3.1941 zu einer Besprechung zwischen SS-Stubaf. Finke, SS-O’Stuf. Winter, Leiter der Reichsbahnwerbezentrale, und Dr. Jörn Leo, Leiter der Niederlassung der Reichsbahnwerbezentrale Tokyo, hinzugezogen… Es ist beabsichtigt, daß Dr. Leo mit der Zusammenfassung des Nachrichtennetzes in Japan beauftragt wird… Mit folgenden Personen wird Dr. Leo in Verbindung treten: SS-Untersturmführer Franz Krapf, Attaché an der Deutschen Botschaft in Japan. K. wurde als ehrenamtlicher Mitarbeiter der ehemaligen Zentralabteilung III/1 seinerzeit SS-Stubaf. von Vietinghoff-Scheel namhaft gemacht, bisher jedoch nicht zur Mitarbeit herangezogen. Da sich beim hiesigen Referat keine Personalakten befanden, wurde der Referent VI C 3 erst jetzt auf ihn aufmerksam. Krapf wird von hier aus brieflich über die Kurierpost verständigt werden.“

Zu den Diplomaten, die die „Versetzung“ Krapfs nach Tokio in die Wege leiteten, gehörte der damalige Legationssekretär und Verantwortliche für die nazistische Ostasienpropaganda in der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes (P VIII), Hilmar Basier. Er schrieb am 27. April 1940 an Krapf: „Sehr verehrter, lieber Herr Krapf! In zwei Zeilen will ich Ihnen nur mitteilen, daß unser Plan mit Ihnen nach Tokio geglückt zu sein scheint. Mir wurde es gestern telefonisch von Kempe, zunächst privat, als Absicht der Personalabteilung mitgeteilt. Meinen allerherzlichsten Glückwunsch! Lassen Sie diese Angelegenheit aber unter uns bleiben! Botschafter Ott hat von mir Kenntnis erhalten. Heil Hitler Uhr gez. Baßler.“

Heute ist Baßler ebenfalls eine Schlüsselfigur in der Politischen Abteilung des Bonner Auswärtigen Amtes, und zwar als Leiter des Ostasienreferates. Vor 1945 gehörte er wie Krapf zum Kreis der Vertrauten des SD und des Amtes IV (Gestapo) im Reichssicherheitshauptamt. Mit zahlreichen Anfragen und Aufträgen wandte sich die Gestapo an ihn. (...)

(Seite 250)

In einer weiteren Schlüsselfunktion der Politischen Abteilung des Bonner Auswärtigen Amtes, als Leiter des Referates „Naher Osten“, fungierte jahrelang einer jener Diplomaten, die zu den Experten auf dem Gebiet der Goebbels-Propaganda zählten - Hans Schirmer, inzwischen westdeutscher Botschafter in Australien. Schirmer begann seine Tätigkeit im Auswärtigen Amt im Jahre 1939. Er war dann bis Ende 1942 Vorgänger Kiesingers als stellvertretender Leiter der Rundfunkpolitischen Abteilung des Ribbentrop-Ministeriums und gehörte zu jenem Personenkreis, der die Propaganda- und Hetzaktionen der Nazi-Führung über den Rundfunk in alle Länder der Welt leitete und inszenierte. Schirmer fungierte dabei, wie später Kiesinger, als rechte Hand des SS-Oberführers Rühle beim Ausbau der Rundfunkpolitischen Abteilung zu einer Zentrale der ideologischen Diversion.

Mit dem Legationsrat I. Klasse, Dr. Bock, und dem Vortragenden Legationsrat I. Klasse, Krafft von Dellmensingen (Referat „Polen, CSSR, Jugoslawien, Ungarn“ usw.), gehören weitere ehemalige aktive Nazi-Diplomaten zu den führenden, die „Ostpolitik“ Westdeutschlands bestimmenden Kadern und zu den Vertrauten Krapfs.

Bereits am Beispiel dieser Abteilung wird deutlich, daß die ehemaligen Nazi-Diplomaten die bestimmende Kraft im Bonner Auswärtigen Amt darstellen. Selbst die früheren Beziehungen zwischen den einzelnen Beamten, vor allem der SS- und SD-Beauftragten im Ribbentrop-Amt, blieben teilweise unverändert.


Sie besetzen Bonns Auslandsvertretungen

(S. 251-252)

Noch deutlicher wird der bestimmende Einfluß der Ribbentrop-Diplomaten, wenn man die Besetzung der Auslandsvertretungen der Bundesrepublik untersucht. Nicht weniger als 60 Außerordentliche und Bevollmächtigte Botschafter (und der ihnen gleichgestellten Leiter einiger diplomatischer Missionen bei zwischenstaatlichen Vereinigungen) sind ehemalige Nazi-Diplomaten.

15 der 25 Auslandsvertretungen der Bundesrepublik in Asien werden von Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschaftern geleitet, die sich im Dienst des Hitlerregimes bewährten, darunter Dr. Luitpold Werz, Botschafter in Indonesien, Ferring, Botschafter in Südkorea, Dr. Böhling, Botschafter in Malaysia, Dr. Munzel, bisher Botschafter im Libanon, und der ehemalige SS-Untersturmführer Dr. Schmidt-Horix, bisher Botschafter im Irak und inzwischen Sonderbotschafter in Bonn. Bei der westdeutschen Botschaft in Indien sind neben dem Botschaftsrat Lüders auch die Leiter der wichtigsten Generalkonsulate - Dr. Heinrich Köhler in Bombay und Elgar von Randow in Kalkutta - ehemalige Ribbentrop-Diplomaten.

Von den 21 Auslandsvertretungen in Lateinamerika werden 16 von ehemaligen Nazi-Diplomaten als Außerordentliche und Bevollmächtigte Botschafter geleitet. Darunter befindet sich ein solch eingefleischter Antisemit wie der Botschafter in Argentinien, Dr. Ernst-Günther Mohr, und der Botschafter in Peru, Dr. Northe. 1940 denunzierte Northe die Schwiegertochter eines deutschen Diplomaten wegen „antinazistischer“ Äußerungen in einer schriftlichen Notiz an den dortigen NSDAP-Ortsgruppenleiter Wobser, der heute ebenfalls als Diplomat im Dienste Bonns steht. Der langjährige Bonner Botschafter in Brasilien, Dr. Seelos, betrieb 1939 als Konsul in Lemberg Spionage zur Vorbereitung des zweiten Weltkrieges. Dabei wirkte er mit dem damaligen Leiter des Geheimdienst-Referates im Auswärtigen Amt, Heyden-Rynsch, eng zusammen. Der heutige Botschafter Bonns in Chile, Dr. von Nostitz, war eine Zeitlang Vertreter von Heyden-Rynsch im Ribbentrop-Amt. Der ehemalige SS-Obersturmführer Dr. Georg Vogel ist Botschafter in Venezuela. Dr. Günter Motz, ein Mann, nach dessen Ansicht nur „Bekenner des Nationalsozialismus“ Beamte sein dürften und der selbst im faschistischen Reichsinnenministerium tätig war, ist heute Botschafter in Bolivien.

In Afrika sind - nach bisherigen Feststellungen - 10 ehemalige Nazi-Diplomaten tätig. Selbst seine Repräsentanten bei zwischen- bzw. überstaatlichen Organisationen wählte Bonn aus dem Kreis der ehemaligen Ribbentrop-Diplomaten, z. B. Sigismund von Braun bei der UNO, Dr. Rupprecht von Keller beim UNO-Europa-Büro, Dr. Grewe (vor 1945 aktiver „Ost-Forscher“) und Dr. Sahm bei der NATO.

Zieht man außer den Botschaftern auch das leitende Botschaftspersonal in Betracht - die Stellvertretenden Leiter der Botschaften, die wichtigsten Attachés, die Ersten Botschaftssekretäre -, so ergibt sich, daß über 40 weitere Auslandsvertretungen der westdeutschen Bundesrepublik mit ehemaligen NS-Diplomaten an leitender Stelle besetzt sind. Insgesamt bleibt von den annähernd 120 Auslandsvertretungen Westdeutschlands kaum ein Dutzend, das nicht unter dem bestimmenden Einfluß von Nazi-Diplomaten steht.

Bibliographische Anmerkung:
Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik
Herausgeber: Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschlands, Dokumentationszentrum der staatlichen Archivverwaltung der DDR. Staatsverlag der DDR: Berlin 1965 (2. Aufl.)

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Brüllendes Schweigen
Über die aktuelle Entrüstung, daß es im Auswärtigen Amt nach 1945 Faschisten gab (28. Oktober 2010)




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