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Eichmann beruhigte: Der Name GLOBKE sage ihm nichts

Die versprochene Aufarbeitung der BND-Geschichte kann um das Kanzleramt keinen Bogen machen – bis heute nicht


Jerusalem, Bezirksgericht, 11. April 1961: Ein Prozess begann, dessen Grundlagen noch immer die Menschheit umtreibt. Und weiter umtreiben muss! Angeklagt war Adolf Eichmann, Ex-SS-Obersturmbannführer, Cheflogistiker der NS-Judenvernichtung. Am Ende des Prozesses wurde Eichmann zum Tode verurteilt und hingerichtet. Seither ist von vielen viel geschrieben worden über den »Fall Eichmann«. Doch allzu vieles wurde und wird verschwiegen. Auch von deutschen Behörden und Regierungsstellen. Noch immer.

Anmerkungen von René Heilig *

»Die Bundesregierung hat hohes Interesse an der Erforschung der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Behörden«, behauptet die Bundesregierung. In der Antwort auf eine kleine Parlamentsanfrage sucht sie gleichsam Lob für ein »Projekt zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) und seiner Vorläuferorganisation, der ›Organisation Gehlen‹«. Es »wurde jetzt begonnen, nachdem sich Überlegungen aus den Jahren zuvor aus verschiedenen Gründen nicht umsetzen ließen«. Die versprochene Erforschung der BND-Geschichte im BND wird wohl nicht ausreichen. Denn allzu viele Gründe führen zu Nachfragen in der obersten Aufsichtszentrale. Die nennt sich Bundeskanzleramt.

Aussöhnung per Kredit und Waffenhandel

Der Prozess gegen Eichmann hielt die Bundesregierung 1961 und 1962 in Alarmstimmung. gerade hatte man so hoffnungs- und ertragreiche Projekte begonnen mit dem Staat Israel. Kreditzahlungen waren versprochen, bei der Rüstung war Gemeinsamkeit verabredet worden. Die Vergangenheit war fast nur noch als Vehikel spürbar, mit der man in eine gemeinsame Zukunft gelangen konnte. Und nun Eichmann ...

Was wohl wird der SS-Verbrecher aussagen, wen belasten? Immerhin wurde die »entnazifizierte« Bonner Republik von allzu vielen Leuten verwaltet und regiert, die auch schon in Hitlers Mordregime willige Werkzeuge – oder mehr – waren. Im Kanzleramt bildete sich eine spezielle Arbeitsgruppe, in der waren alle für Staatsgeheimes zuständigen Staatssekretäre konzentriert.

Chef dieser Runde war Dr. Hans Globke, seit 1953 Adenauers Kanzleramtschef und ein herausragendes Beispiel für die Kontinuität deutscher Politik – vom Nazireich hin zur Bundesrepublik Deutschschland. Jurist Globke half, die Juden in Deutschland per Gesetz zu demütigen, zu entrechten. Als Kommentator der sogenannten Nürnberger Rassegesetze ist er objektiv einer der Wegbereiter für Eichmanns späteres Handeln als Schreibtischmörder.

Eichmann gab seinen Vernehmern bereitwillig Auskunft, schrieb nieder, was sein Leben bestimmt hatte. Was muss das für eine Erleichterung gewesen sein, als der Bundesnachrichtendienst »streng geheim« aus zuverlässiger Quelle über Eichmann berichten konnte: »Der Name GLOBKE sage ihm nichts, jedenfalls nicht im Zusammenhang mit dem ›Auftrag der Endlösung‹. Er könne infolgedessen auch gegen GLOBKE nicht aussagen.«

Globke und der BND – die Partnerschaft zwischen Geheimdienst und Kanzleramt insgesamt – verdienen besonderes Interesse. »Mit seiner Errichtung zum 1. April 1956 wurde der BND dem Bundeskanzleramt unter Leitung von Staatssekretär Dr. Hans Globke unterstellt. Schon zuvor bestand Kontakt zwischen dem Bundeskanzleramt und der ›Organisation Gehlen‹, der auch über Herrn Dr. Globke lief«, bestätigte die Bundesregierung im März 2011 und negiert damit selbst die immer wieder von ihr vorgeschobene Behauptung, Gehlens Nazi-durchsetzter, antikommunistischer Spionageapparat sei ausschließlich ein Produkt der USA und von deren Diensten geleitet worden.

Der BND war von Anfang an ein Machtinstrument westdeutscher, CDU-gelenkter Politik. Nicht nur für die Spionage und Zersetzungsarbeit nach außen war er da, Gehlens Agenten forschten Adenauers politische Widersacher auch im Innern des Bundesrepublik aus. Beim Eichmann-Prozess ließ man nichts unversucht, die Berichterstattung der Medien zu lenken. Vorsichtshalber klaute man auch die Akten des DDR-abgesandten Juristen, denn der andere deutsche Staat ging weder zimperlich noch ungeschickt mit Adenauers braunen Staatslenkern um. Auch nicht mit denen, die im BND zentrale Funktionen ausfüllten.

Veröffentlichungen nur nach Freigabe

Nun jedoch, so verspricht es die Regierung Merkel, werde man selbst rückhaltlos die Geschichte des BND aufarbeiten. Dazu wurde eine unabhängige Historikerkommission unter Vertrag genommen. Den vier Historikern – ihre Auswahl war Ergebnis eines »internen Findungsprozesses« – garantiert der BND »die umfassende auftragsbezogene Akteneinsicht im BND-Archiv«. Doch: »Die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse ... bedarf der vorherigen Freigabe durch den BND«. Zensurmöglichkeiten lassen sich immer finden. Dafür gibt es als Argumente »insbesondere den Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter oder Erfordernisse des Geheimnisschutzes«, sagt die Regierung einschränkend. Aus diesen Gründen verweigert das Kanzleramt unter Merkel-Intimus Ronald Pofalla nach wie vor die vollständige Einsichtnahme und Veröffentlichung der mikroverfilmten BND-Akte über Adolf Eichmann. Die, so muss man vermuten, ohnehin gesäubert ist. So wie zahlreiche andere Dossiers und Dokumente.

Und viele Bestandteile des BND-Archivs sind ganz offenbar vernichtet worden. Das bestätigt auch Pofalla: »Im BND wurde die Mikroverfilmung sowie die Vernichtung der Originale nach derzeit bekannten Unterlagen des BND-Archivs zunächst den jeweiligen BND-Dienststellen übertragen, später durch eine zentrale Stelle innerhalb des BND vorgenommen.« Man hat, so bestätigt der aktuelle Kanzleramtsminister weiter, »aus verschiedenen Gründen nicht alle Unterlagen als archivwürdig« betrachtet. In »bestimmten Fällen« sei sogar die »Vernichtung von Unterlagen rechtlich geboten gewesen«.

Hilfsweise wies Dr. Bodo Hechelhammer, Leiter der dienstinternen Arbeitsgruppe zur Geschichte des BND, der auch den vier vertraglich gebundenen Aufarbeitungshistorikern die Dokumente zuarbeitet, darauf hin, dass die Qualität der 3100 vorhandenen Mikrofilme (mit schätzungsweise 6 230 000 Seiten) höchst unterschiedlich ist. Um das zu verstehen und weil er insbesondere »zu den Arbeitsbedingungen der Historikerkommission ... Klärungsbedarf hat«, bat der Abgeordnete der Linksfraktion Jan Korte – der sich seit Jahren um die Aufarbeitung bundesdeutscher Traditionslinien bemüht – um ein Hintergrundgespräch mit Dr. Hechelhammer.

BND-Präsident Ernst Uhrlau freute sich zwar, dass Korte der begonnenen Aufarbeitung der Geschichte des BND interessiert gegenüberstehe, bat allerdings um »Verständnis, dass Anfragen einzelner Abgeordneter zum o.g. Projekt zum jetzigen Zeitpunkt schon aus Kapazitätsgründen nicht entsprochen werden kann«. Uhrlau versicherte, dass die Unterrichtung »wie üblich« im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages stattfindet. Das tagt bekanntlich geheim und die wenigen zugelassenen Abgeordneten sind zur Verschwiegenheit verpflichtet.

In Merkels Amtssitz: Akten zu Walter Rauff

Falls Union und FDP deutlich machen wollen, dass sie sich nicht in einer Vertuschungskontinuität mit Adenauer, Globke & Co begreifen, ließe sich das beispielsweise durch eine Gesetzesinitiative demonstrieren. Bei aller Unterschiedlichkeit des Gegenstandes – warum kann man nicht nach dem Vorbild des Stasi-Unterlagengesetzes ein »Nazi-Unterlagen-Gesetz« auf den Weg bringen? In Sachen Stasi, so betont die Bundesregierung, sei man dem Wunsch der DDR-Bürgerbewegung gefolgt. Warum also folgt man in Sachen Nazi-Vergangenheit nicht einfach der Forderung der Nazi-Opfer nicht nur in Deutschland?!

Dabei konnte Pofallas Kanzleramt beispielhaft vorangehen. Den nicht nur beim BND lagern einschlägige Akten. Eckart von Klaeden, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin, bestätigt, dass es im Bestand des Kanzleramtes beispielsweise Akten über einen Hermann Julius Walter Rauff gibt. Der SS-Offizier war maßgeblich am Einsatz von Gaswagen zur Ermordung von Juden und KZ-Häftlingen beteiligt und zudem Chef eines SS-Einsatzkommandos in Nordafrika. Nach Kriegsende flüchtete der Standartenführer nach Südamerika. Anders als im Falle Eichmann soll sich die Bundesrepublik Deutschland in Chile um eine Auslieferung nach Deutschland bemüht haben. Was einfach zu beweisen wäre.

* Aus: Neues Deutschland, 11. April 2011


Beginn eines Heilungsprozesses

Veröffentlichungen 50 Jahre nach der Eichmann-Verhandlung – großes Interesse in Israel

Von Indra Kley, Jerusalem **


Vor 50 Jahren begann in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann. Ein Wendepunkt in der Wahrnehmung des Holocaust in Israel und der Welt.

»Sechs Millionen Ankläger sind mit mir in dieser Stunde an diesem Ort – auch wenn diese nicht auf ihren Beinen oder Füßen stehen, mit dem Finger in Richtung der Gaskammer zeigen können und sagen ›Ich klage an!‹. Ihre Asche wurde in den Bergen von Auschwitz, auf den Feldern von Treblinka verstreut, in polnischen Flüssen davon getrieben. Deswegen spreche ich für sie.« Mit diesen Worten eröffnete Chefankläger Gideon Hausner am 11. April 1961 den Prozess gegen NS-Kriegsverbrecher Adolf Eichmann in Jerusalem. Ein Prozess, der mit dem ersten und einzigen Todesurteil in Israel endet. Und der auch 50 Jahre später die Menschen beschäftigt.

Elf Monate zuvor hatten Agenten des Mossad den ehemaligen Leiter des Judenreferats im Reichssicherheitshauptamt und SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann im argentinischen Buenos Aires festgenommen und nach Israel ausgeflogen. Nach der geglückten Geheimoperation begann eine Gruppe von 20 Ermittlern, den »Jahrhundertprozess« vorzubereiten. Aus Angst, dass ehemalige SS-Schergen versuchen könnten, Eichmann vor Verhandlungsbeginn zu entführen, war die Arbeit streng geheim. Dem Prozess selbst wohnte der Angeklagte in einem kugelsicheren Glaskasten bei, um ihn vor möglichen Attentaten zu schützen.

Was damals durch die mehr als 100 Zeugenaussagen ans Licht kam, schockierte. Zwar waren schon bei den Nürnberger Prozessen Einzelheiten über die Verbrechen der Nationalsozialisten bekannt geworden. Doch standen in dem Verfahren gegen Eichmann erstmals die Opfer und deren Aussagen im Mittelpunkt. Eine schmerzhafte Angelegenheit – für die Überlebenden wie auch für den jungen Staat Israel. Tami Hausner-Raveh, Tochter von Chefankläger Gideon Hausner, erinnert sich daran, wie kurz nach Prozessbeginn eine Nachbarin zu ihrer Mutter kam und fragte: »Warum tut er das? Warum öffnet er all die Wunden?« In Israel hatte man den Holocaust bis dato erfolgreich verdrängt. Obwohl 1961 ein Viertel der zwei Millionen Einwohner Israels Überlebende waren, wurde das Thema totgeschwiegen. Für die junge, dynamische Aufbau-Generation des Staates war es schwierig zu akzeptieren, dass ein ganzes Volk zum Opfer geworden war, ohne Widerstand geleistet zu haben.

Der von internationalem Medieninteresse begleitete Prozess gegen Eichmann änderte die Wahrnehmung: Der Holocaust rückte ins Bewusstsein der Menschen. Der israelische Historiker Jechiam Weitz bezeichnet die Verhandlung als »Katharsis, durch die die Öffentlichkeit das Stigma aus den 50er Jahren überwinden konnte«. Staatspräsident Schimon Peres schreibt im Vorwort zu Gideon Hausners Dokumentation des Verfahrens »Gerechtigkeit in Jerusalem«: »Die Überlebenden des Holocaust sind bis zum Prozess mit gesenkten Häuptern, voller Scham und in Stille zwischen uns gelaufen.« Das Verfahren habe unterbewusste Barrieren gebrochen und eine gewaltige Kettenreaktion in Israel und der Welt ausgelöst.

Wie groß das Interesse auch 50 Jahre später noch ist, zeigen die Veröffentlichungen zum Jahrestag. Hausners Buch über den Eichmann-Prozess wurde noch einmal neu aufgelegt. Seit einer Woche sind zudem erstmals streng geheime Dokumente über den NS-Kriegsverbrecher auf der Internet-Seite des israelischen Staatsarchivs einsehbar. Tausende Nutzer haben die in hebräischer Sprache abgefassten Protokolle und Auszüge aus Eichmanns handschriftlichen Memoiren bereits angeklickt. Auch der Druck aus Israel auf den Bundesnachrichtendienst, seine Akten über NS-Kriegsverbrecher zu öffnen, wächst. Erst kürzlich war enthüllt worden, dass der BND seit 1952 über Eichmanns Aufenthaltsort Bescheid gewusst haben soll. »Die Akten könnten einen Beitrag zu bedeutsamer historischer Forschung leisten«, glaubt Nazijäger Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Center Jerusalem.

Eichmanns Geschichte endete am 31. Mai 1962: Nachdem die Jerusalemer Richter ihn im Dezember zum Tod durch den Strang verurteilt hatten, wurde er im Gefängnis von Ramla bei Tel Aviv hingerichtet. Die Nachbarin von Chefankläger Hausner, so erinnert sich Tami Hausner-Raveh, habe sich anschließend für ihren Ausbruch zum Prozessbeginn entschuldigt. Das Verfahren gegen Eichmann habe die Wunden tatsächlich geöffnet. Aber nun sei alles herausgekommen und man könne den Heilungsprozess beginnen.

** Aus: Neues Deutschland, 11. April 2011


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