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Ein halbes Jahrhundert später

Gedanken zum 50. Jahrestag des Beginns des Eichmann-Prozesses in Jerusalem

Von Kurt Pätzold *

Schon beim Vorausblick in das Jahr 2011 richtete sich die Aufmerksamkeit vieler wie üblich auf Tage, mit denen sich außergewöhnliche historische Ereignisse verbinden, die der Erinnerung wert sind – in Klassenräumen von Schulen, in Konferenzsälen, in Medien oder an Gedenkorten. Solches Interesse gilt namentlich Jahrestagen, denen, mit Gründen oder nicht, besondere Bedeutung zugeschrieben wird. Auch in diesem Jahr ist deren Reihe lang, allein bei der Durchmusterung der Fünfundsiebzigsten, der Rückbesinnung auf Geschehnisse, an die sich gerade noch die betagtesten unter den Zeitgenossen zu erinnern vermögen. Mit den Fünfzigsten ist das anders. Zu ihnen gehört 2011 jener Prozeß, der am 11. April 1961 in Jerusalem begann und dessen Haupt- und einziger Angeklagter Adolf Eichmann war, der Mann, der an der Spitze jenes Teils der deutsch-faschistischen Staatsbürokratie stand, die den Massenmord an den europäischen Juden organisiert hatte.

BND wußte Bescheid

Zwei Staaten haben besondere Veranlassung, diese juristische Abrechnung mit einem Verbrecher, für den sich in aller Geschichte schwerlich ein Pendant findet, ins Gedächtnis ihrer Bürger zu rufen: Israel, wo die Gerichtsverhandlung stattfand, die– wie anders nicht zu erwarten – mit einem Todesurteil endete, das auch vollstreckt wurde. Und Deutschland, das Ausgangspunkt, Tatort und Organisationszentrum des Verbrechens war, das die einen Holocaust, andere die Shoa, dritte Genozid und die meisten – weil um allgemeines Verstandenwerden bemühten – Historiker den Massenmord an den europäischen Juden nennen.

Während sich Vorbereitungen auf dieses Erinnern und an das Gedenken, das einer Zahl von geschätzten nahezu sechs Millionen Opfern gilt, noch in einem frühen Stadium befanden, wurde Anfang Januar in einer Zeitungsmeldung mitgeteilt, es habe der bundesdeutsche Auslandsnachrichtendienst, der in seinen Anfängen nach seinem ersten Leiter, dem vormaligen Wehrmachtsgeneral, Reinhard Gehlen, »Organisation Gehlen« und seit 1956 Bundesnachrichtendienst (BND) genannt wurde, vom Flucht- und Aufenthaltsort des Eichmann, der nach Kriegsende als entkommen oder verschollen galt, sichere Kenntnis besessen. Zitiert wurde die Eintragung auf einer Karteikarte aus dem Archiv dieses Dienstes, die aus dem Jahre 1952 stammt: »Standartenführer EICHMANN befindet sich nicht in Ägypten, sondern hält sich unter dem falschen Namen CLEMENS in Argentinien auf. Die Adresse von E. ist beim Chefredakteur der deutschen Zeitung in Argentinien Der Weg bekannt.« Sachlich falsch war daran die Angabe Standartenführer; Eichmann hatte es in der Hierarchie von Himmlers Schutzstaffel nie, was der Ehrgeizling angestrebt hatte, bis zu diesem Rang (der dem eines Obersten in der Wehrmacht entsprach) gebracht, sondern war beim Obersturmbannführer hängengeblieben. Und der Name, samt den dazugehörigen falschen Personalpapieren, die sich Eichmann zugelegt hatte, und unter dem er 1950 per Schiff via Genua nach Argentinien gelangte, gab ihn als Ricardo Klement aus.

Die Zeitungsmeldung warf ein Licht auf eine längst vergessene Bundestagsdebatte, die bald nach der Ergreifung Eichmanns stattfand. Auf eine Anfrage hatte der Justizminister der Regierung Adenauer, Fritz Schäffer (CSU), geantwortet: »Der Bundesregierung ist in den vergangenen Jahren gerüchteweise zur Kenntnis gekommen, daß sich Eichmann im Vorderen Orient aufhalten soll. Sie hat daraufhin Nachforschungen angestellt, ob diese Gerüchte zutreffen. Der Bundesregierung, insbesondere dem Bundesjustizministerium, ist vor der Festnahme des Herrn Eichmann durch israelische Behörden nicht bekannt geworden, daß sich Eichmann in Argentinien aufgehalten hat. Es ist mir auch nicht bekannt, daß andere deutsche Dienststellen von dem Aufenthalt des Eichmann in Argentinien bereits Kenntnis hatten.« Die Beteuerung – »Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts« – war, wenn die »Dienste« den Minister uninformiert gelassen hatten, keine Lüge. In der Sache aber war sie falsch.

Eine Sensation ließ sich der Inhalt der Pressemeldung vollends nicht nennen. Neu war an ihr jedoch, daß sich das Wissen, das im BND über Eichmanns Verbleib existierte, nun aktenkundig auf ein Jahr festlegen ließ, eben 1952. Daß der Geheimdienst in diesem Punkt nicht ahnungslos gewesen war, darauf waren viele vorher schon gekommen. Wenn dieser meistgesuchte Naziverbrecher denn lebte und aufgespürt werden sollte, hatte man sich nur an die Frau und die drei Söhne Eichmanns zu heften, die nach dem Krieg in Österreich lebten. Sie war 1952 ihrem Mann – übrigens unter ihrem richtigen Namen – nach Argentinien gefolgt. Eine andere Spur konnte unschwer in Kreisen der deutschen Minderheit in Südamerika und namentlich in Argentinien aufgenommen werden. Dort hatten sich nach 1933 Sympathisanten der faschistischen Herrschaft in eigenen Nazigruppen organisiert. Wer seinen Richtern entweichen wollte, konnte da auf Gesinnungskumpane und Überlebenshelfer hoffen und treffen.

Das unter den westdeutschen Geheimdienstlern vorhandene Wissen konnte lange nur vermutet, aber nicht erwiesen werden. Das änderte sich 2006. Da veröffentlichte die New York Times (Ausgabe vom 7. Juni) einen Artikel, der mit den Worten begann: »Die CIA schritt nicht zur Tat, nachdem ihr das Pseudonym und der Aufenthaltsort des flüchtigen Organisators des Holocaust, Adolf Eichmann, 1958 bekannt geworden war.«

Und weiter heißt es: »Der CIA wurde vom westdeutschen Geheimdienst mitgeteilt, daß Eichmann in Argentinien unter dem Namen Clemens – eine leichte Abwandlung seines tatsächlichen Alias, Ricardo Klement – lebe, sie gab diese Information aber nicht an Israel, das seit Jahren nach ihm suchte, weiter, so Timothy Naftali, der Historiker, der die Dokumente untersucht hat.«

Der hier erwähnte Geschichtsforscher war Professor an der University of Virginia in Charlottesville (VA) und ein exzellenter Kenner der Geschichte der Kriegsverbrechen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, sowohl der deutschen wie der japanischen. Er hatte die Chance genutzt, daß die CIA Dokumente für die Forschung freigab. Sein Interesse galt einem unrühmlichen Kapitel aus deren Tätigkeit in den Nachkriegsjahren, der Verwendung früherer deutscher Faschisten für die Spionagetätigkeit in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg.

Auskunft verweigert

Die Arbeit des Forschers und das Bekanntwerden der vorhandenen Informationen über Eichmanns Verbleib, deren Quelle der deutsche Geheimdienst war, zeitigten zwei Folgen. Er rief dessen frühere Mitarbeiter und alle auf den Plan, die wünschten, daß zu diesem Gegenstand keine weiteren Fragen gestellt wurden. Denn die besaßen, wie der Volksmund sagt, die Länge eines Rattenschwanzes: Wer in Pullach, dem Sitz des Auslandsgeheimdienstes, und wer in der Bonner Regierung verfügte über die Kenntnis von Eichmanns Verbleib? Wer entschied über deren Geheimhaltung, namentlich gegenüber dem israelischen Mossad, dessen Leute seit Jahren versuchten, wenn auch nicht mit besonderer Energie und Intelligenz, Eichmanns Aufenthalt zu ermitteln, um seiner habhaft zu werden? Welche Motive lagen diesem Verhalten zugrunde? Wer hatte dann aber entschieden, diese Haltung gegenüber den Partnern in den USA aufzugeben und warum?

Spielten diese Kreise gleichsam die Rolle von Nebelwerfern, so sahen sich andere, einflußärmere, durch die US-amerikanische Praxis des Umgangs mit Geheimdienstdokumenten ermutigt, nun drängender nach der Freigabe der Akten des BND für Forschungszwecke zu fragen. So beginnt die Geschichte des Verlangens nach einem Zugang zu den bundesdeutschen Eichmann-Akten – und mit ihr so etwas wie ein Trauerspiel. Zu denen, die sich in den Akten informieren wollten, gehörte Gabriele Weber, eine in Deutschland und Argentinien lebende Journalistin, der die erbetene Genehmigung prompt verweigert wurde. Das verletzte, wie sie wußte, das Gesetz, das in der Bundesrepublik die Archivbenutzung regelt. Wer in solcher Situation sein Recht durchsetzen will, braucht einen Rechtsbeistand. Frau Weber gelangte mit einem solchen bis vor das in diesen Streitfällen zuständige Bundesverwaltungsgericht, jedoch nicht bis zu der Karteikarte mit der Jahreszahl 1952. Das gelang erst Rechercheuren von Bild. Auch die hatten erneut Juristen in Anspruch zu nehmen. Dann wurde ihnen beileibe nicht sogleich das aus Tausenden von Blättern bestehen Konvolut Eichmann vorgelegt. Doch ein Teil davon – und davon wieder ein Teil, dessen Texte ungeschwärzt waren.

Denn: Selbst wenn, wie in diesem Falle, den Wächtern über zu Staatsgeheimnissen erklärten Papieren von Gerichts wegen auferlegt wird, die Totalverweigerung des Aktenzugangs aufzugeben, werden ihnen doch hinreichend Möglichkeiten gelassen, absehbaren oder vermuteten Schaden von der Bundesrepublik fernzuhalten und anderes Ungemach abzuwenden. Als solcher und solches gilt, daß durch Veröffentlichungen die Zusammenarbeit mit Geheimdiensten anderer Staaten oder die außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik beeinträchtigt werden. Sodann sei auf Schutzrechte von Personen streng zu achten.

Interessen im Wandel

Nun ändern sich die Zeiten und mit ihnen die Interessen; die einen verstärken sich, andere schwächen sich ab, dritte entstehen neu. Seit einiger Zeit ist in der Bundesrepublik ein Trend zu beobachten, der sich auf die Verminderung »weißer Flecke« richtet, die bisher in der Geschichtsforschung gelassen wurden. So kann der Anspruch glaubwürdiger gemacht werden, dieser Staat sei Weltmeister auch in der »Bewältigung« seiner Vergangenheit. Historiker werden beauftragt, die Geschichte von Dienststellen, Unternehmen und Einrichtungen in den Jahren zu durchmustern und darzustellen, die als das »dunkelste Kapitel« deutscher Vergangenheit bezeichnet werden. So sind vermehrt historische Abrisse und auch anspruchsvollere Darstellungen auf den Büchermarkt gelangt, die von Kranken- bis zu Opernhäusern, von Sportvereinen bis zu Orchestern berichten, wie das damals war oder gewesen sein soll, als die Hakenkreuzfahnen flatterten. Die Akteure sind tot, ihre Rolle gilt häufig mehr als verwunderlich denn zu verurteilen, und wenn nötig, wird, namentlich sofern es sich um Kleinstädte handelt, auf Nachfahren Rücksicht genommen, die nicht wünschen oder denen nicht zugemutet werden soll, daß in ihrer öffentlich gemachten Familiengeschichte ein allzu brauner Papa oder Opa vorkommt.

Aus diesen Erzeugnissen historiographischer Arbeit ragte das im vergangenen Jahr erschienene Werk »Das Amt«[1] weit heraus, das die Geschichte des Bundesaußenministeriums und dessen Vorläufer darstellt. Seine Autoren waren vier Forscher, zwei Deutsche, ein Israeli, ein US-Amerikaner. Das Unternehmen war nicht Produkt einer von der seinerzeitigen Bundesregierung beschlossenen Leitlinie, die Frühgeschichte der Bonner Republik nun unter den gleichen Bedingungen zu erforschen, wie sie für die Deutsche Demokratische Republik nach deren Ende hergestellt wurden. Deren archivarische Hinterlassenschaft liegt offen und zwar für jegliche Zwecke, worüber hier weiter nicht gehandelt werden soll. Durch welche Zufälle es aber auch zur Monographie »Das Amt« kam – an deren Anfang stand die Beschwerde einer Mitarbeiterin über die posthume Ehrung eines in den Bonner Staatsdienst übernommenen Nazis, auf dessen Vergangenheit sie durch eine Veröffentlichung in der DDR aufmerksam geworden war –, als sie vorlag, war der Wälzer, wie sich ein Buch von 879 Seiten nennen läßt, eine Herausforderung.

Wie weiter? Richtet die verweigerte Ausdehnung dieser Arbeit nicht mehr und vor allem internationalen Schaden an als die Preisgabe der Methode, was seit Jahrzehnten mehr schlecht als recht unter dem Teppich gehalten wurde, dort weiter zu belassen? Die Abwägung sprach dafür, es nicht wieder – wenn auch die Gefahr angesichts der rasch fortschreitenden »biologischen Lösung« geringer geworden ist – vom Beschwerdebrief einer empörten Mitarbeiterin abhängig zu machen, ob und wann historische Aufklärung in Gang gesetzt wird.

Initiative von links

Hinzu kam, daß sich die Linksfraktion im Bundestag zur Sprecherin derer machte, die sich mit der bloßen Kenntnis der Jahreszahl 1952 nicht zufriedengeben und über den Komplex Eichmann hinaus wollen, mehr oder weniger schwach hoffend, es werde aus der Erforschung der Geschichte des BND womöglich Anregung für dessen derzeitiges Wirken in Zuständen erwachsen, die vorzugsweise zivilgesellschaftlich, demokratisch und republikanisch genannt werden. Der BND, seine Geschichte und deren Erforschung, vor allem aber der Zugang zu seinem Archiv zu Forschungszwecken, wurde so Gegenstand einer Aktuellen Stunde im Bundestag und zudem einer Kleinen Anfrage, welche Gregor Gysi und die Fraktion der Linkspartei am 17. Februar 2011 an die Bundesregierung richteten. Sie betrifft auch den (bis dahin nicht veröffentlichten) Vertrag, den die Dienststelle kurz zuvor mit vier deutschen Historikern, Universitätsprofessoren, geschlossen hatte, der diese zur Erforschung und Darstellung der Vor- und Frühgeschichte des Geheimdienstes verpflichtet.

Daß deren Arbeit aus den Regierungsfraktionen keinen Rückenwind erhalten wird, machte die Debatte klar, die am 19. Januar im Bundestag vor einem kläglichen Häuflein Abgeordneter stattfand. Deren Sprecher erklärten, daß ein Nachrichtendienst seine Akten »nicht auf den Marktplätzen der Welt« ausbreiten könne und ein »legitimes Geheimhaltungsinteresse« existiere. Dafür zeigten auch Redner der Opposition Verständnis und zudem Besorgnis wegen des Ansehens der Pullacher Anstalt.

Das deutsche Pensum

Kurzum: Die Deutschen haben, wenn sie sich denn an den Eichmann-Prozeß erinnern, ein eigenes Pensum. Zur Vergegenwärtigung von Platz und Rolle, die der Leiter des »Judenreferats« im Reichssicherheitshauptamt mit Sitz in der Berliner Kurfürstenstraße während der faschistischen Diktatur einnahm und somit in der deutschen Geschichte besetzt, kommt die Aufgabe, sich der Geschichte der Verhinderung einer denkbaren Ergreifung Eichmanns zu stellen samt einer darauf folgenden Anklage vor einem deutschen Gericht. Letzteres war kein Versäumnis, kein Zeichen von Unfähigkeit, sondern von Unwillen. So durchsichtig dessen Antrieb, so unklar noch viele Wege und Schliche, die gegangen wurden, um ihn durchzusetzen. Für Fragen und Arbeiten der Historiker ist gesorgt: Welche Rolle hat Hans Maria Globke, der Mann an Adenauers Seite, gespielt, dessen Name im Zusammenhang mit Judenverfolgung und deren Eskalation zum Judenmord nicht auftauchen sollte? Und dessen Nennung auf den verschiedensten diplomatischen Pfaden, die nach den USA ebenso wie nach Israel führten, lange auch verhindert wurde. Welche Mitarbeiter der »Organisation Gehlen« besaßen ein eigenes Interesse daran, daß Eichmann/Klement jenseits des Atlantiks unbehelligt blieb? War es nur »Bündnistreue«, daß die informierten Mitarbeiter der CIA sich an der Verfolgung des Massenmörders desinteressiert zeigten? Es zeichnet sich an dieser zu verlängernden Fragenreihe ab, daß es mit einer deutschen Historikerkommis­sion nicht getan ist, sondern besser eine internationale Kooperation von Fachleuten zu installieren wäre, die ihre Forschungen auf alle beteiligten Geheimdienste ausdehnen müßte.

Verdienste und ...

Gegen das absichtsvoll Unterlassene ist ein Verdienst zu halten, dessen Anerkennung lange auf sich warten ließ, wiewohl es schon zu Lebzeiten des Mannes längst fällig gewesen wäre. Es ist das des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauers, des Sozialdemokraten, der nach seiner KZ-Haft nach Dänemark und von da nach Schweden fliehen konnte, 1949 nach Deutschland zurückgekehrt war und an seinem Wirkungsort in Frankfurt am Main mit der Durchsetzung von Recht und Gesetz und so auch mit der Verfolgung der Nazi- und Kriegsverbrechen Ernst machte. Die Geschichte seines Anteils an der schließlichen Ergreifung Eichmanns beginnt mit dessen Entdeckung durch den nach Argentinien entkommenen deutschen Juden Lothar Hermann, der mit seiner Tochter Hilfe den Klement als Eichmann identifiziert hatte und Bauer von seiner Entdeckung Kunde gab. Das weitere war dessen Teil. Die Information des Mossad und nicht des deutschen Nachrichtendienstes, dem der Jurist zu recht mißtraute, sodann seine Reise nach Israel. Am 11. Mai 1960 erfolgte Eichmanns Gefangennahme durch ein israelisches Spezialkommando, zehn Tage später sein illegaler Transport in ein israelisches Spezialgefängnis. Von alledem handelt ein Spiel- und Dokumentarfilm aus dem Jahre 2010 mit dem Titel »Eichmanns Ende. Liebe, Verrat, Tod«.

Und zu den Verdiensten gehört auch, was namentlich von jüngeren Historikern und Filmemachern in den fünfzig Jahren, die seit dem Prozeß vergangen sind, an Forschungen und Produktionen vorgelegt wurde. Daran sind, anders als in früheren Jahren, auch Forscherinnen in größerer Zahl beteiligt. Dazu gehört ein Essay, mit dem die Erinnerungen analysiert werden, die Eichmann während seiner Haft niederschrieb.[2] Eben wird eine weiteres Buch über Eichmanns Leben vor dem Prozeß in Israel ausgeliefert.[3] Endlich hat Fritz Bauer, der 1968 verstarb, eine Biographin gefunden.[4] Lehrer wie Schüler sind in der Lage, unter publizierten Dokumentensammlungen, Büchern, Filmen und Hördokumentationen auszuwählen. Denn »Eichmann«, wenn der Blick nicht isoliert auf seine Person gerichtet wird, gehört zu dem, was in unserer Zeit dem Allgemeinwissen zugezählt werden muß.

... offene Fragen

Es werden sich beim Rückblick in den Gerichtssaal in Jerusalem, wo übrigens der erste im Fernsehen übertragene Prozeß stattfand, alte, zeitweise heiß diskutierte Fragen wieder stellen: Was waren das für Leute, die Eichmann-Männer? Überzeugungstäter oder Befehlsempfänger? Zwischen diesen beiden Markierungen am Ende einer Skala der Antriebe, die das Massenmorden möglich machten, existiert eine Vielzahl von Mischungen und Abstufungen. Auf der Ebene, auf der Eichmann agierte, waren der ideologische Fanatismus, der den Begriff Mensch nur in der Unterscheidung von Herren- und Untermenschen kennt, ebenso anzutreffen wie ein von Karrieresucht angetriebener Ehrgeiz, sich durch Befehlsgehorsam emporzumorden. In der Masse der Übeltäter finden sich jedoch viele jener Gleichgültigen, die heute diese, morgen jene niedermachten, wie ihnen befohlen. Der Titel eines eben auf den Markt gebrachten Buches – »Eichmann war von empörender Dummheit« – führt ins Abseits von den Kernfragen. Deren zentrale lautet: Welche gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen müssen existieren, damit Eichmänner sich »ausleben« können.

Anmerkungen
  1. Eckart Conze, Norbert Frey, Peter Hayes, Moshe Zimmermann, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010
  2. Irmtrud Wojak, Eichmann Memoiren, Ein kritischer Essay, Frankfurt am Main 2001
  3. Bettina Stangneth, Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders, Zürich 2011
  4. Irmtrud Wojak, Fritz Bauer 1903–1968. Eine Biographie, C.H. Beck, München 2009
* Aus: junge Welt, 11. April 2011


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