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Kleine Verbesserungen teuer erkauft

Union und FDP fordern von Migranten Integration, an den Ausgangsbedingungen ändern sie nichts

Von Ines Wallrodt *

Jugendliche Migranten haben künftig größere Chancen, dauerhaft in Deutschland leben zu können. Die Verbesserungen beim Bleiberecht sind teuer erkauft: Die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag beschloss zugleich Verschärfungen im Ausländerrecht. An den Grundproblemen von Migranten in Deutschland ändert die Koalition nichts.

Die Einteilung der Menschen in Nützliche und Unnützliche widerspreche allen Werten, die es in Deutschland gebe, hat Rita Süssmuth diese Woche in Augsburg gesagt. Liberale Stimmen wie die der früheren Bundesfamilienministerin sind selten in der CDU. Folgt man ihrem Satz, haben ihre Parteifreunde im Bundestag am Donnerstag just mit Beschlüssen, die deutsche Werte verteidigen sollen, eben diese verletzt. Das Gesetzespaket zu Zwangsheirat und Ausländerrecht enthält kleine Verbesserungen für wenige Migranten, die als nützlich angesehen werden, und verschlechtert dafür die Lage an anderer Stelle. Eine Sicht durchzieht dabei alle Änderungen: Integration ist nach Auffassung von Schwarz-Gelb offenbar allein eine Forderung an die Migranten.

Die zweifelhafte Ausgewogenheit zeigt sich selbst bei Änderungen, die grundsätzlich ein Fortschritt sind. So können jugendliche Migranten, die in Deutschland aufgewachsen sind, in Zukunft unabhängig vom Status ihrer Eltern ein eigenständiges Bleiberecht bekommen. Dies gilt allerdings nur für die, die es – trotz aller Hürden – schaffen, in der Schule erfolgreich zu sein oder einen Ausbildungsplatz zu ergattern. Hinzu kommen weitere Bedingungen, weshalb zu erwarten ist, dass das Gros der Geduldeten von dieser Möglichkeit nicht profitieren wird. Wer die engen Kriterien nicht erfüllt, kann also weiter in Länder, die man vielleicht noch nie gesehen hat, abgeschoben werden.

Bei den Eltern der »gut integrierten« Heranwachsenden bleibt Schwarz-Gelb im Bund hinter dem Bundesrat zurück: Sie dürfen nur hier bleiben, wenn sie für ihren Lebensunterhalt vollständig selbst sorgen können. Die Länderkammer hatte sich für ein »überwiegend« ausgesprochen und damit die Nachteile in Rechnung gestellt, die Migranten auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben. Nach der gestrigen Entscheidung müssen Eltern spätestens mit der Volljährigkeit ihrer Kinder mit ihrer eigenen Abschiebung rechnen. Geschichten von Familien, die nach zwanzig Jahren immer wieder verlängerter Duldung aus Deutschland in den Kosovo abgeschoben werden, wird es also auch in Zukunft geben. Anträge von SPD und Linksfraktion, mit den sogenannten Kettenduldungen Schluss zu machen, fanden im Bundestag keine Mehrheit.

Ebenso ambivalent sind die Beschlüsse zum Schutz von Migrantinnen vor Gewalt. Frauen mit einem Aufenthaltsrecht in Deutschland, die im Ausland gegen ihren Willen verheiratet werden, wird die Rückkehr durch das neue Gesetz erleichtert. Ihr Anspruch verfällt nicht wie bis jetzt schon nach sechs Monaten, sondern gilt zehn Jahre. Einen Haken hat aber auch diese Regelung: So müssen deutsche Behörden eine »positive Integrationsprognose« abgeben. Zudem wird die Anstiftung zur Zwangsehe ein eigener Straftatbestand.

Auf der anderen Seite schraubt die Koalition in puncto »Ehebestandszeit« etwas zurück, was erst im Jahr 2000 zu Gunsten von Frauen liberalisiert wurde. Zieht etwa eine Iranerin zu ihrem Partner in Deutschland, muss sie künftig drei statt wie bisher zwei Jahre verheiratet bleiben, ehe sie sich scheiden lassen kann und einen von ihm unabhängigen Aufenthaltstitel bekommt. Damit wollen Union und FDP Scheinehen verhindern, aus Sicht der Opposition verhindern sie damit aber vor allem, dass Migrantinnen einer gewalttätigen Beziehung entrinnen.

Besonders die Verschärfungen für Zuwanderer, mit denen die Koalition Stimmung gegen vermeintliche Integrationsverweigerer macht, sorgten in den vergangenen Tagen für Schlagzeilen. Solange sie ihren Integrationskurs nicht abgeschlossen haben, bekommen sie künftig nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Wie viele Menschen diese Kurse nicht besuchen, kann die Koalition nicht beziffern. Bekannt ist dagegen, dass das Interesse an diesen Kursen die vorhandenen Plätze bei Weitem übersteigt. Zudem führt diese Regelunge zu neuen Nachteilen auf dem Arbeitsmarkt. Erfahrungsgemäß stellen Arbeitgeber niemanden ein, der nur eine kurz befristete Arbeitserlaubnis vorweisen kann.

Sachverständige hatten in einer Anhörung am Montag umfassende Kritik an den Gesetzen geübt. Schwarz-Gelb hatte es jedoch eilig und wollte sie unverändert noch diese Woche beschließen.

* Aus: Neues Deutschland, 18. März 2011


Können mehr Flüchtlinge bleiben?

Ibrahim Kanalan zur Änderung des Aufenthaltsrechts für Jugendliche **

Ibrahim Kanalan engagiert sich für »Jugendliche ohne Grenzen«. Der 31-Jährige lebt seit 1994 in Deutschland und promoviert in Jura.

ND: Was bedeutet die Änderung des Ausländerrechts für hier lebende ausländische Jugendliche?

Kanalan: Für die Jugendlichen, die ein Aufenthaltsrecht haben, ändert sich nichts. Für Jugendliche, die geduldet sind, ist zwar auf den ersten Blick eine Verbesserung zu sehen. Wenn man sich die Regelung genauer anschaut, fällt auf, dass die neue Regelung nur wenigen Vorteile bringen und den Problemen der deutschen Asylpolitik insgesamt nicht gerecht wird.

Der Gesetzentwurf sieht ein Bleiberecht für sogenannte gut integrierte Jugendliche vor. Warum kritisieren Sie die Regelung?

Wir begrüßen die Idee, stichtagsunabhängig eine Bleiberechtsregelung einzuführen. Aber längst nicht alle geduldeten Jugendlichen bekommen sofort das Bleiberecht. Die Regelung stellt mehrere Hürden. Man muss sechs Jahre in Deutschland leben und dazu sechs Jahre die Schule besucht oder einen Schul- oder Berufsabschluss haben. Dann wird nochmals selektiert. Denn der Antrag auf das Bleiberecht kann nur von Menschen gestellt werden, die vor dem 14. Lebensjahr nach Deutschland gekommen sind und jetzt nicht älter als 20 Jahre sind. Und letztendlich kommt es darauf an, dass diese Jugendlichen – wie es heißt – gut integriert sind und davon auszugehen ist, dass sie in Zukunft ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern können.

Diese Voraussetzungen erfüllen nur wenige junge Flüchtlinge?

Ja, die Regelung schließt die vielen jungen Menschen aus, die überhaupt nicht die Möglichkeit hatten oder auch nicht fähig oder in Lage waren, die Schule zu besuchen. Denn wenn man hier in Deutschland einen Asylantrag stellt, wird man zunächst für drei Monate und solange man kein Bleiberecht hat, in einem Lager untergebracht. Kinder und Jugendliche können nicht zur Schule gehen und haben damit auch nicht die Möglichkeit, Deutsch zu erlernen. Hinzu kommt die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, aber auch ein Arbeits- und Ausbildungsverbot. Wenn dann verlangt wird, einen Schulabschluss zu haben und gut integriert zu sein, wird es einfach widersprüchlich.

Was bedeutet die Neuregelung für Familien?

Die Regelung besagt, dass die Jugendlichen, die diese Voraussetzungen erfüllen, eine Aufenthaltserlaubnis kriegen können. Bei den Eltern gilt dies erst, wenn sie ihren Lebensunterhalt vollständig allein sichern können und keine Ausschlussgründe vorliegen. Damit können die Eltern von dieser Regelung eigentlich überhaupt nicht profitieren. De facto wird es dazu führen, dass man die Jugendlichen von den Eltern trennt, wenn sie abgeschoben werden.

Selbst hier zu bleiben und zusehen zu müssen, wie die Eltern gehen müssen, ist für die Jugendlichen ein Dilemma, oder?

Deshalb sagen wir: Nicht ohne unsere Eltern! Formal ist man vielleicht mit dem 18. Lebensjahr erwachsen. Aber vor allem den Menschen, die in sehr prekären Situationen hier gelebt haben, die aus Ländern kommen, wo sie wirklich Probleme hatten, ist es nicht möglich, sich ohne Weiteres von den Eltern und Geschwistern zu trennen.

Was fordern Sie?

Für die Flüchtlinge müssen alle diskriminierenden und rassistischen Sondergesetze abgeschafft werden. Den Menschen muss die Möglichkeit gegeben werden, wirklich von Anfang an ein Teil der Gesellschaft zu werden. Bei den Jugendlichen muss nach der Aufnahme und Unterbringung der erste Schritt sein, dass sie zur Schule gehen und die Sprache lernen.

Fragen: Katja Herzberg

** Aus: Neues Deutschland, 18. März 2011


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