Intimfeinde - Wie die beiden deutschen Staaten entstanden und wie einer verschwand
Fahrten in die asiatische Steppe
Von Wolfgang Triebel *
Dieses Jahr ist ein mehrfaches Jubiläen-Jahr. Einigen historischen Ereignissen wird dabei
besondere Aufmerksamkeit gewidmet. 60 Jahre NATO hat man im Frühjahr mit reichlichem Pomp
begangen. 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland feierte man hochoffiziell am 23. Mai. Der Fall der
Berliner Mauer vor 20 Jahren am 9. November wird schon das ganze Jahr über ausgiebig bedacht.
Am 1. September jährte sich zum 70. Mal der Beginn des von Hitlerdeutschen organisierten
verbrecherischen Zweiten Weltkriegs. Aus der Kriegsschuld Deutschlands leiteten deutsche
Antifaschisten aller sozialen Schichten andere Einsichten über die Gestaltung
Nachkriegsdeutschlands ab als jene Deutschen, die den 8. Mai 1945 nichts als Befreiung vom
Faschismus, sondern als katastrophale nationale Niederlage ansahen. Mit Hilfe der vier
Siegermächte und in deren Eigeninteresse kam es 1949 zur Gründung zweier deutscher Staaten.
Während die offizielle Politik und die Medien 60 Jahre Bundesrepublik jedoch als einzigartige
Erfolgsstory feiern, werden über die am 7. Oktober 1949 ins Leben gerufene DDR - getreu dem
Auftrag des früheren Justizministers Kinkel, sie zu delegitimieren - nur Kübel von Schmutz
ausgegossen. Interessant ist, dass 20 Jahre nach dieser politischen Entgleisung eines Bonner
Ministers immer weniger jüngere Menschen sich historisch für dumm verkaufen lassen.
Mit immensem Fleiß hat Reinhard Leube im ersten Band seiner auf sechs Bände angelegten Edition
»Intimfeinde« aufschlussreiche historische Fakten zusammengetragen, von der Jalta-Konferenz der
Alliierten bis zur Gründung beider deutscher Staaten. Das ist umso bemerkenswerter, weil er sich
als Hobby-Historiker versteht. Da er in diversen Darstellungen über die DDR seit 1990 das Land, in
dem er aufgewachsen ist, nicht wiedererkannte, hat er eigene Recherchen angestellt und will seine
Forschungsergebnisse nun einem breitem Lesepublikum offerieren.
Der erste Band liest sich schon mal gut. Leube holt manch längst Vergessenes zurück und rückt so
manches zurecht, was in Schulbüchern und Medien verzerrt und verfälscht zu finden ist, je nach
Weltanschauung oder fachlichem Können der Verfasser bzw. Lehrer. Vor allem setzt sich Leube mit
bundesdeutschen Veröffentlichungen auseinander, in denen noch heute entgegen der historischen
Wahrheit behauptet wird, auf den Konferenzen in Teheran (1943) und Jalta (Febr. 1945) hätten
Roosevelt, Churchill und Stalin die Spaltung Deutschlands vereinbart. Stalin hätte sie später nur
fallen lassen, weil er »seinen Anspruch auf Reparationen und Mitregieren des Ruhrgebietes, aber
auch die langfristig geplante Bolschewisierung ganz Deutschlands« nicht gefährden wollte (Zitat aus
»SBZ von A bis Z - Ein Taschen- und Nachschlagebuch über die Sowjetische Besatzungszone«,
hg. vom Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen, 1963).
Leube hat die Biografien und Autobiografien führender bundesdeutscher Politiker studiert, darunter
über bzw. von Konrad Adenauer, Franz Josef Strauß, Kurt Schumacher, Willy Brandt, Heinrich
Lübke, Walter Scheel, Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl, ebenso
Veröffentlichungen von prominenten DDR-Bürgern wie Jürgen Kuczynski und Schalk-Golodkowski,
Egon Krenz und Markus Wolf. Diese vergleichend, stieß er auf interessante Fragestellungen und
ungewöhnlilche Antworten.
Warum haben die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges mit Deutschland keinen Friedensvertrag
abgeschlossen? Leube zitiert Strauß: »Wenn wir einen Friedensvertrag schließen, dann verlangt
man von uns Reparationen. Da wir nicht bereit und nicht in der Lage sind, Reparationen zu zahlen,
wollen wir auch keinen Friedensvertrag. Die höhere und die niedere Mathematik der Politik trafen
hier zusammen - das Offenhalten der deutschen Frage und das Vermeiden gigantischer
Reparationszahlungen.« Zur historischen Wahrheit gehört jedoch, dass ein Friedensvertrag mit
Deutschland nicht nur wegen nicht gewollter Reparationsleistungen nicht zustande gekommen ist,
sondern weil Bonn auf die Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937 bestand. Auch
wenn unter dem sozialdemokratischen Kanzler Willy Brandt eine neue Ostpolitik eingeschlagen
wurde, blieben alte Ängste im Ausland bestehen. Daraus speiste sich auch die ablehnende Haltung
der britischen Premierministerin Margret Thatcher und des französischen Prsäidenten Francois
Mitterrand zur deutschen Einheit. Erst mit der Erklärung von Bundeskanzler Helmut Kohl vor der
UNO 1989 zur Unveränderlichkeit der Oder-Neiße-Grenze war der Weg für die Vereinigung frei.
Aufschlussreich ist, was Leube an Ansichten von Geschichtsprofessoren westdeutscher Provenienz
wie Heinrich August Winkler, Arnulf Baring oder Werner Weidenfeld über die Ursachen und
Hintergründe der Spaltung Deutschlands zusammengetragen hat: Adenauers Aversionen gegen den
Osten seien schon vor 1933 bekannt gewesen. Bei seinen Fahrten als Preußischer Staatsrat nach
Berlin hätte er ab Magdeburg die Vorhänge seines Abteils zugezogen, weil er die für ihn hier
beginnende »asiatische Steppe nicht sehen wollte«. Ähnlich wird von den genannten Historikern
Kurt Schumacher nach 1945 zitiert: »Da 'Asien' jetzt bis zur Elbe vorgerückt war, musste sich der
westliche Teil Deutschlands fest mit dem Westen Europas verbinden.« Diese zwei »Intimfeinde«
hätten sich öffentlich zwar beschimpft, stimmten aber prinzipiell überein. Ein vereinfachtes wie
falsches Bild.
Gleiches gilt für die Behauptung, Berlin sei von der Sowjetunion und der SED gespalten worden.
Diese haben zwar so manches falsch gemacht, aber die Spaltung war nicht ihr Ziel. Dies geschah
durch die Einführung der Westmark in Westberlin und die Sprengung des Kontrollrates. Leube
schildert die Aktivitäten des Nazi-Abwehrgenerals Gehlen und seines Geheimdienstes, der Dossiers
über westdeutsche »Beförderer der Entspannung« angefertigt hatte, wie Wolfgang Abendroth, Dr.
Viktor Agartz, Conrad Ahlers, Berthold Beitz und Willy Brandt. Solche Fakten fehlen in den
Lobliedern der etablierten Geschichtsschreiber der Bundesrepublik.
Weithin unbekannte Tatsachen werden zur Übergabe der »Frankfurter Dokumente« der westlichen
Siegermächte am 1. Juli 1948 an die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder und des
Grundgesetzes am 8. Mai 1949 geboten. Und erinnert wird, dass im ersten Adenauer-Kabinett
weniger alte Nazis, dafür mehrheitlich bürgerliche Widerstandskämpfer saßen, z. T. aus Kreisen um
die Verschwörer vom 20. Juli 1944.
Ein lesenswertes Buch wegen der Zusammenstellung vieler, Jüngeren nicht bekannter und heute
meist verschwiegener Tatsachen. Nicht jede Wertung des Verfassers muss man teilen. Aber er
selbst warnte eingangs, er nehme sich »die Freiheit, hier nicht sachlich zu bleiben«. Zu kritisieren
sind die umständlichen Quellenangaben. Bei der Wahl des Titels seiner Publikation hat Leube
Anleihe bei einem Interview mit einem CSU-Abgeordneten von 1983 genommen, der sich über die
Intimfeindschaft zwischen Strauß und Helmut Kohl geäußert hatte.
Reinhard Leube: Intimfeinde. Die Selbstteilung der Deutschen und der Kalte Krieg. Band 1: Die Jahre 1945 bis 1949. Selbstverlag, Berlin. 270 S., br., 18 . Bestellung bei Reinhard Leube, Randowstr. 12, 13057 Berlin oder r_leube@web.de oder ISBN 10: 3-86611-393-5
* Aus: Neues Deutschland, 8. Oktober 2009
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