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Die DDR im Kalten Krieg: Militärhilfe für die Dritte Welt und Militärstrafvollzug im Inneren

Zwei neue Veröffentlichungen in der Kritik


Legenden, Lügen, Mythen, Klischees

Rüdiger Wenzke beschreibt den Militärstrafvollzug in der DDR

Von Martin Meier *


Wohl jeder ehemalige Angehörige der »bewaffneten Organe« der DDR kennt Geschichten, Gerüchte, Anekdoten über die Militärstrafanstalt Schwedt. Selbst noch ein Kind, hörte ich von Menschen, die im »Militärknast« einsaßen. Nie würden sie auch nur ein Wort über ihre schwere Zeit dort reden, sagte man mir. Dies ist nunmehr viele Jahre her. Und doch, aller Geheimniskrämerei zum Trotze, die ansonsten rasch ruhmheischende Schreiber auf den Plan ruft, blieb der Militärstrafvollzug in Schwedt ein Desiderat der DDR-Geschichtsschreibung. Bis jetzt. Rüdiger Wenzke, früherer Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Instituts der DDR und nun Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam, widmet sich dem 1968 entstandenen Militärgefängnis der DDR in der von ihm gewohnten akribisch-recherchierten, gut lesbaren Art.

Der Autor bettet seinen Untersuchungsgegenstand historisch ein, verdeutlicht den Traditionsbruch mit der alten deutschen Militärgerichtsbarkeit und die Anbindung an das sowjetische Vorbild. Analysiert wird auch das latene Kompetenzgerangel der Ermittlungsbehörden, zwischen der Militärstaatsanwaltschaft, der für die Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechern zuständigen Hauptabteilung XI des Ministeriums für Staatssicherheit und der Hauptabteilung I des MfS, deren Aufgabe in erster Linie die »Abwehrarbeit« (Spionage/Sabotage) war. Wenzke schildert die Geschichte des Militärstrafvollzuges in der DDR von ihren Anfängen in Berndshof über das Haftarbeitslager Nitzow bis hin zum Endstandort Schwedt an der Oder. Er versucht, die »Legenden, Lügen, Mythen und Klischees« auszuräumen, die sich um dieses Kapitel ranken. Er weist nach, dass diese teils sogar in der DDR zur Abschreckung staatlich gefördert wurden.

Schwedt war keineswegs ein »normaler Stafvollzug«. Die hohen körperlichen, seelischen und militärischen Belastungen unterschieden sich vom zivilen Haftalltag in der DDR. So musste beispielsweise vor und nach den Arbeitsschichten die Sturmbahn überwunden werden, und an den Wochenenden hatten die Gefangenen stundenlangen Politunterricht zu ertragen. Andererseits war Schwedt auch kein »Zuchthaus« oder eine Stätte unbegrenzter Willkür. Körperliche Züchtigung gab es sehr selten. Statt dessen übte man subtilen psychischen Druck auf die Häftlinge aus.

Die Palette der bestraften Delikte reichte von Befehlsverweigerung über Fahnenflucht bis hin zu schweren Kriminalstraftaten. Ein erheblicher Teil der Soldaten im Militärstrafvollzug hatte sich durch Angriffe auf Vorgesetzte oder andere Militärpersonen bzw. durch unerlaubte Entfernung von der Truppe strafbar gemacht. Der Anteil jener Gefangenen, die wegen politischer Verstöße einsaßen, war äußerst gering. So verzeichnet Wenzke für das Jahr 1963 nur 2,2 Prozent der Inhaftierten, die der »Staatsverleumdung« bezichtigt wurden. Etwas fraglich erscheint seine Bemerkung: »Während in der Truppe mitunter Gammelei und Langeweile den Alltag bestimmten, war in Schwedt der Tag vom Wecken bis zur Nachtruhe durchgeplant.« Ansonsten ein sehr sachliches Buch.

Rüdiger Wenzke: Ab nach Schwedt! Die Geschichte des DDR-Militärstrafvollzugs, Ch. Links Verlag, Berlin. 492 S., br., 39,90 €.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. Juli 2012


Nicht mehr streng geheim

Klaus Storkmann berichtet über die Militärhilfe für die "Dritte Welt"

Von Walter Hundt **


Zunächst sei festgestellt, dass dieser Band von Akteuren und Zeitzeugen längst hätte geschrieben werden können und müssen. Doch erst ein Major der Bundeswehr tat es. Klaus Storkmann befasste sich mit den Militärhilfen der DDR für die sogenannte Dritte Welt. Sie war streng geheim, nicht selten wusste selbst die Führung davon nichts. Erst nach der Wende in der DDR wurden einige Details bekannt.

Solidarität mit den nationalen Befreiungsbewegungen und mit den jungen, gerade erst unabhängig gewordenen Nationalstaaten in Afrika und in Asien sowie mit lateinamerikanischen »antiimperialistisch orientierten« Ländern stand obenan in der DDR-Außenpolitik. Dazu gehörte militärische Unterstützung für Entwicklungsländer (Ausbildungshilfe, Bereitstellung von Technik etc.). Storkmann fragt sich, ob diese Solidarität der DDR mit deren Ideologie oder mit »Interessenpolitik« verbunden gewesen sei. Das »oder« ist überflüssig, es handelte es sich um Ideologie und Interessenpolitik. In den 60er und 70er Jahren war die DDR an einer diplomatischen Anerkennung durch möglichst viele Länder interessiert.

Der systembedingte Mantel absoluter Geheimhaltung auf DDR-Seite und die beidseitig im Kalten Krieg übliche Schwarz-Weiß-Sichtweise begünstigten auf »westlicher« Seite diverse Spekulationen, Übertreibungen und einen »Wettlauf der Sensationen« in der Journaille, wenn es um vermutete NVA-Aktivitäten speziell in der »Dritten Welt« ging. Da wurde von 30 000 DDR-Militärexperten und 2000 Militärberatern in Afrika oder einem »NVA-Fallschirmjäger-Regiment in Äthiopien« gefiebert. Storkmann führt alle diese Spekulationen - »Ulbrichts Legion Condor in Biafra«, »Honeckers Afrika-Korps« oder »Keßlers Kampfhubschrauber-Geschwader am Hindukusch« - ad absurdum und setzt dem wissenschaftlich recherchierte Fakten entgegen. Wohltuend ist, dass er auch heute gängigen einseitigen Verurteilungen nicht folgt.

Unbestritten ist, dass die militärische Unterstützung der DDR/NVA darauf zielte, in anderen Ländern »sozialistische Armeen« aufzubauen, auch wenn sie auf Grund der weltpolitischen Entwicklung letztlich nicht zum Erfolgsmodell wurden. Empfindliche militärische Niederlagen mussten mit sowjetischer Strategie/Taktik sowie sowjetischer Technik etwa in Ägypten hingenommen werden. Generell waren die Aktivitäten der DDR mit Moskau abgestimmt. Nicht selten kam es durch weltpolitisch bedingte Rücksichtnahmen zu erzwungen Lieferverboten oder Eingriffen in Lieferungen, zunehmend in der Ära Gorbatschow.

So verfügte die Sowjetregierung im Interesse ihrer Entspannungspolitik gegenüber den USA einen Lieferstopp für Waffen nach Nicaragua, was von der DDR eine gewisse Zeit unterlaufen wurde. Durch mangelnde Abstimmungen innerhalb des Warschauer Vertrages kam es zu Doppellieferungen u. ä.. 1980 wurden dann nach jahrelanger Diskussion »Grundsätze der Koordinierung« betreffs militärischer Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern verabschiedet, die allerdings nicht die erwartete Wirkung zeitigten.

Storkmann zeichnet den Prozess der Entscheidung für Militärhilfen nach und belegt das auch hier geltende Primat der Politik. Widersprochen werden muss seiner Behauptung, das Außenministerium sei hierbei ausgeschlossen geblieben; es nahm ein beratende und zuarbeitende Rolle ein und war vielfach dann sogar Initiator und Motor für militärdiplomatische Erstkontakte.

Zu den unumstößlichen Prinzipien der DDR gehörte die grundsätzliche Ablehnung aller Wünsche nach einem Kampfeinsatz von NVA-Einheiten bzw. Kampfpiloten.

Ausnahmen blieben der zeitweilige Einsatz von Militärärzten in Zivil oder einzelner Armeeangehöriger bei Schutzeinsätzen und zur Evakuierung von DDR-Bürgern, die im Ausland als Entwicklungshelfer weilten, wie auch der Einsatz von NVA-/Interflug-Gruppen (so bei einer Dürrekatastrophe in Äthiopien und einem Flüchtlingsdrama in Bangladesh). Die Bitte Sambias 1979, die gesamte Luftraumsicherung des Landes zu übernehmen, wurde abschlägig beschieden.

Zu Recht verweist Storkmann darauf, dass die Solidarität mit der Dritten Welt in der DDR Verfassungsrang hatte. Auf militärischem Gebiet bedeutete das vor allem die Ausbildung von Militärkadern, und diese fand, wie der Autor konstatiert, vornehmlich auf dem Territorium der DDR statt. Für alle Interessierte ist dies ein lesenswertes Buch.

Klaus Storkmann: Geheime Solidarität. Militärbeziehungen und Militärhilfen der DDR in die Dritte Welt. Hg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Ch. Links Verlag, Berlin 2012. 704 S., geb., 49,90 €.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. Juli 2012


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