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"Nicht reif" für den Rat

Berlin will Weltpolitik mitgestalten und kürzt die Mittel dafür

Von Olaf Standke *

Am 1. Januar wird Deutschland für zwei Jahre als nichtständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat einziehen.

Viel zu lachen hatte Guido Westerwelle im ablaufenden Jahr 2010 nicht. Und selbst einen seiner wenigen außenpolitischen Erfolge machte ihm die SPD-Opposition madig: Bei Deutschlands Einzug in den Weltsicherheitsrat ernte der »selbst ernannte Außenminister« nur, was andere in mühevoller Arbeit auf dem diplomatischen Parkett vorbereitet hätten. Ab 1. Januar 2011 ist die Bundesrepublik eines der nach einem Regionalproporz regelmäßig wechselnden zehn nichtständigen Mitglieder in jenem Gremium der Vereinten Nationen, in dem die wichtigsten Entscheidungen der Weltorganisation getroffen werden. Der Rat gilt als Herzstück der internationalen Friedensordnung. Allerdings genießt Deutschland auch als drittgrößter Beitragszahler kein Vetorecht wie die fünf ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich.

Es ging denkbar knapp zu vor zehn Wochen bei der geheimen Abstimmung der 192 Mitgliedstaaten in der UN-Vollversammlung. Mit Kanada, Portugal und Deutschland gab es drei Bewerber für die zwei zur Abstimmung stehenden Sitze der westlichen Staatengruppe. Mit 128 Stimmen erreichte Deutschland nur eine Stimme mehr als notwendig. Westerwelle sprach danach von einer »großen Verantwortung«: »Wir werden in den kommenden zwei Jahren alles tun, um das in uns gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen.«

In einem Videopodcast des Auswärtigen Amtes anlässlich des Beginns der deutschen Mitgliedschaft hat der Bundesaußenminister erklärt, wie das geschehen soll. Berlin werde die Krisenprävention und friedliche Konfliktlösung in den Mittelpunkt stellen. Speziell wolle sich Deutschland um den Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten kümmern. Eine der wichtigsten aktuellen Fragen im Rat sei Afghanistan. Das Land brauche eine politische Lösung. Als weiteres Thema nannte Westerwelle die Beilegung von Konflikten in Afrika. Die Vereinten Nationen müssten etwa beim bevorstehenden Referendum in Sudan im Januar einen wirksamen Beitrag zu Frieden und Stabilität leisten.

»Weltpolitik mitgestalten« nennt das der deutsche UNO-Botschafter Peter Wittig. Nachdem Berlin zum Beispiel die Sanktionsresolution gegen Iran mitverhandelt habe, erhalte man nun noch genauere Kenntnis über die »Sanktionsmechanik«. Immer noch sei der Sicherheitsrat in erster Linie ein Krisenbewältigungsorgan. Derzeit liefen 17 Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Da müsse man ständig ansprechbar und verhandlungsbereit sein. Möglicherweise werde Deutschland, das ab 1. Juli den Rat präsidieren soll, auch den Vorsitz des Al-Qaida/Taliban-Sanktionsausschusses übernehmen und könnte so noch stärker ins Visier von Islamisten rücken.

Die Linke im Lande dagegen bezweifelt, dass Deutschland »reif« sei für den Weltsicherheitsrat. Es verantworte Hunger, Armut und Unterentwicklung in der Welt mit, so Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Noch immer sei man weit vom internationalen Ziel entfernt, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Dafür belege Deutschland Platz drei auf der Liste der Waffenexporteure. Gehrcke vermisst die kritische Auseinandersetzung mit Kriegseinsätzen, zu denen die Vereinten Nationen ihre Zustimmung gegeben haben, und verlangt umgehend Initiativen für die Beendigung des Krieges in Afghanistan.

Stärken wolle man die UNO, erklärt Außenminister Westerwelle gern in Sonntagsreden. Doch die Realität im politischen Alltag sieht anders aus. Bei den Beiträgen für das Flüchtlingskommissariat UNHCR, beim Kinderhilfswerk UNICEF, bei humanitären UN-Programmen oder bei der von den Vereinten Nationen organisierten Unterstützung von palästinensischen Flüchtlingen wurde im Bundeshaushalt kräftig gekürzt. Bislang sei die Bundesregierung eine Antwort darauf schuldig geblieben, wie sie den deutschen Sitz im Sicherheitsrat konstruktiv nutzen wolle, kritisierte der Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler. »Haushaltskürzungen zwischen 30 und 50 Prozent in den Bereichen Krisenprävention, Abrüstung, Menschenrechtsförderung und Humanitäre Hilfe stehen jedenfalls in eklatantem Widerspruch zu Westerwelles multilateralen Lippenbekenntnissen.«

Die UN-Charta bestimmt China, Frankreich, Russland, Großbritannien und die USA zu ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrats. Die UN-Vollversammlung wählt die anderen zehn Mitglieder für eine jeweils zweijährige Amtszeit. Jedes Jahr wechseln fünf nichtständige Mitglieder. Ab 1.1. 2011 haben Bosnien und Herzegowina, Brasilien, Gabun, Libanon, Nigeria, Deutschland, Indien, Kolumbien, Portugal und Südafrika einen zeitweiligen Sitz im Rat.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Dezember 2010


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