"BRD kann man als Unrechtsstaat bezeichnen"
Regierung verletzt ungeniert Grundgesetz – auch deswegen darf "Krieg" nicht "Krieg" heißen. Ein Gespräch mit Norman Paech
Norman Paech ist emeritierter Professor für Völkerrecht. In der abgelaufenen Legislaturperiode war er außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Deutschen Bundestag
Der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat gleich zu Beginn seiner Amtszeit einen neuen Akzent gesetzt: Er hat mit Bezug auf den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr das bislang sorgfältig vermiedene Wort »Krieg« benutzt, ohne jedoch zu sagen, daß es sich in der Tat um einen solchen handelt. Warum schrecken Politiker vor dieser Vokabel zurück?
Zunächst ist es erfreulich, daß die Realität jetzt auch im Verteidigungsministerium Einzug gehalten hat, daß also auch semantisch anerkannt wird, was in Afghanistan abläuft. Daß diese Vokabel bisher vermieden wurde, hatte eher politisch-ideologische Gründe – man wollte es sich nicht anrechnen lassen, daß das, was zunächst »Stabilisierung einer Übergangsregierung« war, dann ein »Hilfeangebot« an das afghanische Volk, sich zu einem handfesten Krieg ausgewachsen hat.
Vielleicht auch deswegen, weil mit dieser Vokabel Erinnerungen daran wach werden könnten, daß der bislang mörderischste Krieg der Weltgeschichte auf das Konto Deutschlands ging?
Das spielt sicher eine Rolle. Ähnlich war es im Jugoslawien-Krieg, den damals weder Verteidigungsminister Rudolf Scharping noch Bundeskanzler Gerhard Schröder (beide SPD) als solchen benannt wissen wollten. Es geht sicher auch darum, erst gar keine Assoziationen an den Vietnamkrieg der USA aufkommen zu lassen. Die Angst vor dem Wort hat also vielfältige historische und aktuelle Ursachen.
Geht es möglicherweise auch um Finanzielles? Versicherungen gehen doch sicher anders mit Verletzungen oder Todesfällen um, wenn sie nicht durch Kriegseinwirkung, sondern durch eine Art Polizeieinsatz entstanden sind.
Das könnte in der Tat ein Grund sein. Versicherungsunternehmen haben in ihren allgemeinen Bedingungen eine Klausel, die sie bei Kriegsverletzungen von der Zahlung befreit. Meines Wissens ist das aber bisher nicht relevant geworden, denn der Bund muß laut Soldatenversorgungsgesetz für Ansprüche einspringen, die Soldaten oder ihre Familien aufgrund kriegerischer Ereignisse anmelden können. Die finanzielle Seite läßt sich also nicht mehr zur Begründung heranziehen.
Artikel 26 des Grundgesetzes untersagt Angriffskriege – will die Regierung vermeiden, semantisch in die Nähe dieses Verfassungsverbotes gerückt zu werden?
Das ist ohne Zweifel auch ein Grund. Die Gefahr ist ja, daß mit der Benennung dieses Verfassungsartikels in der Bevölkerung fürchterliche Assoziationen hervorgerufen werden können.
Wie gehen denn andere Länder mit dem Begriff »Krieg« um? Werden dort auch solche verbalen Verrenkungen geübt?
Nein, überhaupt nicht, andere Völker sind da völlig unbefangen. Daß es bei uns anders ist, liegt daran, daß Krieg eine der Hypotheken der furchtbaren Geschichte Deutschlands ist. Die wollen die Deutschen gerne unter der Decke halten – das war in Jugoslawien so, im Irak oder jetzt auch in Afghanistan.
Es hieß früher einmal, von deutschem Boden dürfe nie wieder Krieg ausgehen. Daraus ist ja nichts geworden …
Das ist richtig, ich fürchte, daß man sich in Deutschland irgendwann ganz offen zu Kriegen bekennt, daß also auch diese semantische Schamgrenze fällt.
Sollte man nicht herausstellen, daß die einzige deutsche Armee, die nie einen Krieg geführt hat, die Nationale Volksarmee der DDR war?
Bis zum Ende von deren Existenz, also bis 1989, hat auch die Bundeswehr keinen Krieg geführt. Nach dem Ende der DDR war aber der Weg frei. Es gab also keineswegs die vielzitierte »Friedensdividende« der Vereinigung, sondern es war eine »Kriegsdividende«.
Wie würden Sie einen Staat qualifizieren, der entgegen eines ausdrücklichen Verfassungsverbotes einen Angriffskrieg führt? Ist das ein Unrechtsstaat?
Einen solchen Staat kann man durchaus so bezeichnen, denn das ist eine verfassungswidrige Handlung. Leider hat das Bundesverfassungsgericht den Weg zu diesen kriegerischen Auslandseinsätzen geebnet. 1994 hat die SPD dagegen geklagt, die PDS dann 1999. Erst kürzlich ist auch die Linkspartei vor Gericht gezogen wegen der völkerrechtswidrigen Sezession des Kosovo und der nach unserer Ansicht nicht mehr gedeckten Stationierung deutscher Truppen dort. Das Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung diese Wege leider immer wieder geöffnet.
Interview: Peter Wolter
* Aus: junge Welt, 6. November 2009
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