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Russland steht als Retter bereit

Beim Gipfel Merkel-Medwedjew in Sotschi waren Opel und Werften wichtige Themen

Irina Wolkowa, Moskau *

Der gestrige deutsch-russische Gipfel in Sotschi an der kaukasischen Schwarzmeerküste war nur ein informeller, aber offenbar einer, bei dem Nägel mit Köpfen gemacht wurden. Obwohl die Akteure ganze vier Stunden Zeit dafür hatten.

Er, so Präsident Dmitri Medwedjew, gleich bei der Begrüßung, wolle mit der Kanzlerin »über das Leben, vor allem aber über die deutsch-russische Wirtschaftskooperation unter den Bedingungen der Krise« reden. Die Zeiten seien schwierig, der Markt verändere sich, positiv sei jedoch, dass Deutschland sich bereits zu erholen beginne, wie er unmittelbar vor Beginn der Konsultationen erfahren habe. »Das ist natürlich auch auf das konsequente Wirken der deutschen Regierung zurückzuführen.« Und weiter: »Einiges ist bereits getan worden und ich meine, wir sollten gemeinsam darüber nachdenken, wie wir das Erreichte festigen und gestärkt aus der Krise hervorgehen können.« Deutschland und Russland, so auch Angela Merkel, müssten versuchen, aus der Krise das Beste zu machen.

Reichlich Optimismus hatte Sergej Prichodko, der außenpolitische Berater, schon versprüht, als Bundeskanzlerin Angela Murkel noch im Flugzeug saß. Bei den Konsultationen , so zitierte ihn die halbamtliche Nachrichtenagentur RIA Nowosti, werde es konkrete Absprachen geben, die Russland wie Deutschland den größtmöglichen wirtschaftlichen Nutzen bringen.

Verhandelt wurden im Wirtschaftsteil vor allem zwei konkrete Projekte, die aus Sicht eines weiteren hochrangigen Kremlbeamten zur »Startrampe für die strategische Allianz der russischen und der deutschen Wirtschaft« werden können: Opel und die Werften in Mecklenburg-Vorpommern. In beiden Fällen steht Russland als Retter bereit. Details waren unmittelbar vor dem Gipfel bekannt geworden. Demzufolge haben der austrokanadische Autozulieferer Magna und dessen russischer Partner – die staatsnahe Sberbank – sich am Donnerstag mit General Motors (GM) über die wichtigsten Punkte des Opel-Kaufvertrags geeinigt. Zwar muss der GM-Aufsichtsrat den Deal noch genehmigen. Dieser favorisiert den Konkurrenten – den belgischen Bieter RHJ International – und dementierte den Abschluss eines Kaufvertrags inzwischen.

Ebenfalls Donnerstag wurde hier bekannt, dass Gazprom-Aufsichtsrat und Ex-Energieminister Igor Jussufow sowie dessen Sohn zur Übernahme der Wadan-Werften bereit sind. Angeblich haben beide sich mit dem Insolvenzverwalter bereits über den Preis geeinigt. In hiesigen Zeitungen ist von knapp 41 Millionen Euro die Rede.

Russlands Einstieg bei Opel und bei den Werften wäre für beide Seiten eine klare Win-win-Situation. Russland bekommt damit in beiden Fällen Zugriffe auf moderne Technologien und das erleichtert die längst überfällige Diversifizierung der hiesigen Wirtschaft beträchtlich.

Premier Wladimir Putin wie Medwedjew hatten in den vergangenen Wochen Versäumnisse hiesiger Konzernlenker mehrfach und in sehr unwirschem Ton moniert. Merkel dagegen könnte bei den Bundestagswahlen mit Tausenden geretteter Arbeitsplätze punkten, meinen Beobachter.

Weitere Themen des Gipfels waren Energiepolitik und der nächste G20-Gipfel, der in etwa sechs Wochen in Pittsburgh (USA) stattfindet. Außerdem ging es um Afghanistan, Irans Atomprogramm die Situation im südlichen Kaukasus. Merkel sprach auch Menschenrechte und Pressefreiheit an.

* Aus: Neues Deutschland, 15. August 2009


Abenteuer Russland, Episode zwei

Ein neuer Investor aus dem Osten soll die Werften in Wismar und Rostock retten

Von Velten Schäfer, Schwerin **


Das Interesse von Gazprom-Verwaltungsrat Igor Jussufow gibt den Wadan-Werften neue Hoffnung. Entscheidend ist das Votum der Gläubiger, die sich ab Montag (17. August) beraten wollen.

Wie sich die Sorgen unterscheiden: Schleswig-Holsteins FDP-Landeschef Jürgen Koppelin hat gerade ein »nationales Werftenkonzept« eingefordert. Mit Blick auf die anhaltenden Spekulationen um einen Verkauf der Hamburger Traditionswerft Blohm + Voss sowie die insolventen Wadan-Werften befürchtet er, dass sonst »ausländische Investoren deutsche Schiffbaubetriebe übernehmen, um so lästige Konkurrenten auszuschalten und Patente abzuziehen«.

In Rostock und in Wismar hofft man indes auf den Einstieg eines neuen ausländischen Investors: Russlands Ex-Energieminister Igor Jussufow. Unabhängig von den Gesprächen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag mit Präsident Dmitri Medwedew in Sotschi auch über die Werften führte, muss darüber letztlich jedoch der Gläubigerausschuss entscheiden, der sich am Montag trifft. Das Problem: Jussufow und sein Sohn Witalij wollen 40 Millionen Euro zahlen, die Gläubiger haben aber Forderungen von 90 Millionen.

Das neue Konzept klingt wie das alte

Seit Mitte der Woche ist Jussufow, der auch im Verwaltungsrat des Energieriesen Gazprom sitzt, als möglicher Nachfolger des russischen Investors Andrej Burlakow im Gespräch, der die Werften vor einem Jahr für damals noch 290 Millionen Euro übernommen hatte. In Schwerin sprechen Spötter angesichts des Preisrückgangs von einer Werbeaktion: Für die Ehre, einige Jahre das Trikot der mäßig erfolgreichen Fußballmannschaft von Schalke 04 zu zieren, gibt Gazprom mehr als das Doppelte aus.

Über das Konzept der neuen Investoren, die in der Schiffbaubranche kaum über Erfahrung verfügen, sind keine Details bekannt. Dem Vernehmen nach geht es um eismeerfähige Spezialschiffe, die der Energieriese in den nächsten Jahren brauche. Jussufow, hofft man an der Ostsee, habe die entsprechende Gazprom-Tochter Gazflot im Rücken. Da zudem die russische Handelsflotte weiter modernisiert werden muss, gelten die dortigen Schiffbaukapazitäten als mittelfristig überfordert. Zudem würden die Russen mit den beiden Werften, in die seit der Wende mehr als als zwei Milliarden Euro Staatsgeld geflossen ist, neben gut ausgebildeten Mitarbeitern auch hochmoderne Standorte einkaufen.

Allerdings sind die russischen Aufträge Zukunftsmusik. Für den Start wäre Jussufow auf die wenigen vorhandenen Aufträge angewiesen. Das sind vor allem die beiden halb fertigen Großfähren für die schwedische Reederei Stena. Doch gerade die, hieß es dieser Tage in der Nordost-Presse, wolle Jussufow unter den gegebenen Bedingungen nicht weiterbauen: Die Schweden weigern sich offenbar weiterhin, die Schiffe zum vereinbarten Preis von 400 Millionen Euro abzunehmen. Über die entsprechenden Verhandlungen, die Insolvenzverwalter Marc Odebrecht seit Wochen führt, hat man schon lange nichts mehr gehört.

Die Hoffnung besteht in der Nähe zur Politik

Prinzipiell klingt das Konzept der neuen Investoren plausibel – doch auch die Pläne des Vor-Eigentümers Burlakow, der ebenfalls Milliarden-Aufträge versprochen hatte, klangen anfangs gut. Eingegangen ist jedoch keine einzige Order. Stattdessen schickte Burlakow die Werften unter seltsamen Umständen in die Insolvenz: Anfang Juni erklärte er sich außer Stande, eine Eigenleistung von nur fünf Millionen Euro zu erbringen. Anschließend wurde ein neuerlicher Staatskredit nicht ausgezahlt. In dem Jahr unter Burlakow sind 200 Millionen Euro als Bürgschaften oder Kredite geflossen.

Dass das »russische Abenteuer, Teil zwei«, wie es der Rostocker Betriebsratschef Harald Ruschel nennt, diesmal gut ausgeht, können die 2500 Beschäftigten nur hoffen. Eine Alternative gibt es offenbar nicht; niemand wollte die Werften als Ganzes übernehmen. Auch die Wismarer Betriebsrätin Ines Scheel hofft, dass der Neue »kein zweiter Burlakow« ist. Immerhin scheint Jussufow über die Verbindungen in Moskau, mit denen sein Vorgänger kokettierte, tatsächlich zu verfügen. Die Gewerkschaft wünscht sich eine »strategische Partnerschaft« auf Regierungsebene – und möglichst eine Staatsbeteiligung. Ein Bekenntnis von Merkel und Medwedew, so Ruschel, würde die Belegschaft beruhigen. Beide Politiker signalisierten aber lediglich Unterstützung für eine Übernahme durch Jussufow, der laut Merkel ein »sehr seriöses Interesse« hat.

Selbst im günstigsten Fall aber würden hunderte Arbeitsplätze verloren gehen. Nach allem, was bekannt ist, will Jussufow mit zunächst 600 Beschäftigten anfangen, bis zu 1600 Stellen sollen es mittelfristig werden.

** Aus: Neues Deutschland, 15. August 2009


Dänemarks letzte Großwerft macht dicht

Schiffbauindustrie kommt gegen den Preisdruck asiatischer Anbieter nicht mehr an

Von Andreas Knudsen, Kopenhagen ***

In unserem Nachbarland Dänemark sieht die Situation in der Schiffbauindustrie noch düsterer aus. Hier soll die letzte verbliebene Großwerft geschlossen werden.

Auf den ersten Blick ist es ein Paradoxon, dass eine Werft mit gefüllten Auftragsbüchern ihre Beschäftigten zusammenruft, um darüber zu informieren, dass im Herbst 2012 der letzte von ihnen das Licht ausmachen wird. Doch in den letzten zwei Jahren hat es keinerlei neue Bestellungen gegeben – auch nicht vom ehemals größten Kunden Mærsk Line, der wie die Lindøwerft zum A.P.Møller-Kon- zern gehört. Wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise gilt es als ausgeschlossen, dass Reedereien in den kommenden Monaten Aufträge erteilen werden. Und die Verluste haben so viel Geld verschlungen, dass der Mutterkonzern nicht mehr bereit ist, diese auszugleichen. Trotz umfangreicher Sparmaßnahmen und Investitionen in neue Technologien schrieb die Werft seit 2004 rote Zahlen.

Nun ist die Schließung beschlossene Sache. Im Takt der Abarbeitung der letzten Aufträge, die zwölf Handelsschiffe und drei Fregatten für die dänische Marine umfassen, soll der Mitarbeiterstab reduziert werden. Insgesamt verschwinden rund 2500 Jobs auf der Werft und etwa 10 000 Arbeitsplätze in der Zuliefererindustrie sind betroffen.

Die Lindøwerft bei Odense wurde 1918 von Arnold Peter Møller gegründet. 1959 wurde ihr Standort nach Lindø verlegt, um genug Platz für den Bau von Supertankern und Containerriesen in ständig wachsender Größe zu bekommen. Der jüngste Weltrekord der Werft stammt aus dem Jahr 2006, als die 400 Meter lange »Emma Mærsk« mit einer Ladefähigkeit von 13 000 Containern die Helling verließ.

Der Vorteil der dänischen Schiffbauer war über viele Jahre, dass sie ihren Wettbewerbern technologisch eine Nasenlänge voraus waren und Neuheiten als erste auf dem Markt anboten. Doch dem Preisdruck der ostasiatischen Werften, die dank hoher staatlicher Subventionen und niedrigerer Lohnkosten weit billiger produzieren können, konnte man auf Dauer nicht standhalten. Viele der betroffenen Lindøwerft-Arbeiter fragen sich sicherlich, warum die EU ihren Kampf gegen die Wettbewerbsverzerrungen aufgegeben hat, so dass das Land seine einstmals führende Schiffsbauindustrie verliert. Hoffnung auf staatliche Rettungsmaßnahmen, wie sie der Banksektor im Milliardenumfang bekam, machen sich die Werftarbeiter nicht.

Indes verliert die maritime Zuliefererindustrie Dänemarks zwar einen Großkunden, doch sie hat sich längst auf die neuen Realitäten eingestellt und richtet das Hauptaugenmerk auf Asien. In vielen Nischen sind dänische Unternehmen weiterhin weltweit führend und operieren global. Verstreut über Dänemark gibt es zudem weiterhin einige kleinere Werften, die sich vorzugsweise mit Reparaturarbeiten und dem Neubau kleiner Fischereifahrzeuge beschäftigen sowie nur wenigen Fachkräften eine neue Chance bieten können. Deren Hoffnungen liegen in der Neuansiedlung anderer Industrien auf dem riesigen Werftgelände. Der Windradproduzent Skykon hat bereits für einige Produktionshallen Interesse angemeldet und könnte eine Welle von Neugründungen auslösen.

Doch dies ist zunächst Zukunftsmusik. Erfahrungen von Massenentlassungen in dänischen Industrieunternehmen aus den letzten Jahren zeigen, dass gut ausgebildete Fachkräfte relativ schnell neue Arbeit finden. Ungelernte blieben dagegen häufig selbst in Hochkonjunkturzeiten auf der Strecke.

*** Aus: Neues Deutschland, 15. August 2009

Politik und Geschäft ****

Seit 2004 vereint Igor Jussufow das Amt des Sonderbeauftragten des russischen Präsidenten für die internationale Energiezusammenarbeit mit der Stelle eines Sonderbotschafters des Außenministeriums und dem Posten des Verwaltungsratsmitglieds beim Energieriesen Gazprom. Politik mit Geschäft zu kombinieren, hat der heute 53-Jährige seit langem gelernt.

Jussufow begann seine Karriere als Ingenieur beim Energieversorger Mosenergo. Nach seinem Abschluss in der Akademie des Außenhandels sammelte er praktische Erfahrungen in der Handelsvertretung der UdSSR auf Kuba. Anfang der 90er Jahre arbeitete er mit der Vereinigung »Wiedergeburt« von Alexander Ruzkoi zusammen. Später nahm der aus Dagestan stammende Jussufow an den Duma-Wahlen teil. 1997 wurde er stellvertretender Industrieminister. Seine Zuständigkeit umfasste die Bereiche Gold und Diamanten - gleichzeitig saß er im Verwaltungsrat des Goldminenbetreibers Lensoloto. Präsident Wladimir Putin ernannte ihn vier Jahre später zum Energieminister - ein Amt, das er bis 2004 bekleidete. 2006 erhielt er den Orden »Für die Verdienste vor dem Vaterland« für seine außenpolitische Tätigkeit.

Jussufow trat schon 2008 als Vermittler bei der Übernahme der Anteilsmehrheit an den Werften in Wismar und Warnemünde durch die russische Investmentgesellschaft FLC West auf. Jetzt verhandelt er zusammen mit seinem Sohn Witalij, der ebenfalls bei Gazprom arbeitet, selbst über den Kauf der Wadan-Werften. Laut der Tageszeitung »Kommersant« erklärte Gazprom, der geplante Kauf der Werften sei das persönliche Projekt von Jussufow. Seltsam aber, dass dann der russische Präsident und die Bundeskanzlerin bei ihrem Treffen in Sotschi darüber verhandelten.

Maria Ryzhova

**** Aus: Neues Deutschland, 15. August 2009


Nischen mit Aussicht auf Gewinne *****

Was lockt russische Investoren an die deutsche Ostseeküste? Natürlich die Hoffnung auf gute Geschäfte. Die ließen sich hier schon zu sozialistischen Zeiten trefflich abschließen. Die DDRSchiffbauindustrie war zu einem Gutteil an den Bedürfnissen des »großen Bruders« orientiert. Die großen Werften bauten Frachter, in Wolgast wurden neben der DDR-Volksmarine die sowjetischen Waffenbrüder versorgt, Stralsund lieferte Fischereifahrzeuge. Wer sich heute in russischen Häfen umschaut, trifft noch Produkte »Made in GDR«. Experten rechnen damit, dass für 300 Einheiten auf Reparaturaufträge warten. Rund 700 ehemals in der DDR gebaute Kähne müssen ersetzt werden.

Doch das ist nur eine Seite eines möglicherweise einträglichen Geschäfts. Nachdem Russland nach dem Ende der Jelzin-Ära nun langsam wieder in tieferes ökonomische Fahrwasser kommt, braucht man dringend moderne Neubauten. Beispielsweise Eismehrfrachter. Dafür sind die Werften in Warnemünde und Wismar - wie sie in den vergangenen Jahren bewiesen - bestens geeignet. 169 Meter lang, 26 Meter breit und mit einer doppelt ausgelegten Brücke versehen, von der aus das Schiff je nach Stärke des Eisgangs vorwärts oder rückwärts gesteuert werden kann - so etwas kommt in der Qualität bislang nur von ostdeutschen Werften.

Doch Schiffe sind nicht alles, was man in einer Werft produzieren kann. Das Geschäft mit Plattformen wächst. Man kann sie für die Stromerzeugung verwenden - wobei in Russland noch immer der Gedanke an schwimmende Atomkraftwerke vor der Windenergievariante rangiert -, man kann sie als Bohrinsel einsetzen, um Erdgas und Erdöl zu fordern. Der Wettlauf um die Reserven im Nordmeer hat gerade erst begonnen und Russland und Gazprom sind nicht gewillt, nur zweiter Sieger zu sein.

René Heilig

***** Aus: Neues Deutschland, 15. August 2009




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