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Deutsch-Russischer Gesprächsfaden darf nicht abreißen

Petersburger Dialog diskutierte in Leipzig Lehren der Geschichte – Regierungskonsultationen waren abgesagt worden

Von Hubert Thielicke, Leipzig *

Der Petersburger Dialog wurde im Jahr 2001 ins Leben gerufen, um die Verständigung zwischen den Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands zu fördern. Am Mittwoch tagte das Forum in Leipzig.

In der Ostukraine hält der Aufstand an. Die Kiewer Machthaber drohen, unterstützt von den USA, mit einer Verschärfung der »Anti-Terror-Operation«. Russland kritisiert das als Verletzung der Genfer Erklärung. Insgesamt ein schwieriges Umfeld für den Petersburger Dialog.

Angesichts der Ukraine-Krise hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel die deutsch-russischen Regierungskonsultationen abgesagt, die üblicherweise parallel zum Dialog des zivilgesellschaftlichen Forums stattfinden. Sprachlosigkeit sei aber nicht die Antwort auf die derzeitigen Probleme, meinten die Organisatoren. Und so gab es immerhin eine auf den Nachmittag verkürzte Sitzung des deutsch-russischen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs. Mehr als 200 Vertreter von Politik und Zivilgesellschaft aus beiden Staaten nahmen daran teil.

Gerade heute müsse alles dafür getan werden, um den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen, sagte Lothar de Maizière, Vorsitzender des deutschen Lenkungsausschusses. Der Petersburger Dialog werde nicht schweigen, er sei gelebte Zusammenarbeit. Bei aller Bedeutung der Politik – die Zivilgesellschaft müsse ihrer Verantwortung nachkommen.

De Maizières russischer Kovorsitzender Viktor Subkow, ehemaliger russischer Ministerpräsident, sprach sich dafür aus, die derzeitigen Probleme in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen offen zu diskutieren. Den Gesprächen mit Deutschland maß er besondere Bedeutung zu, denn mit keinem anderen Land Europas habe Russland Beziehungen von derart hohem Niveau.

Aus Anlass des 100. Jahrestages des Beginns des Ersten Weltkrieges hielten die Professoren Herfried Münkler (Humboldt-Universität zu Berlin) und Oleg Plenkow (Staatliche Universität St. Petersburg) die Festvorträge über »Zivilgesellschaft und Friedensbemühungen von 1914 bis heute«.

Leider blieb danach zu wenig Zeit für eine eingehende Diskussion der sich daraus für die Gegenwart ergebenden Schlussfolgerungen. Gernot Erler, Koordinator des Auswärtigen Amtes für die gesellschaftspolitische Zusammenarbeit mit Russland, betonte, das dichte Geflecht der deutsch-russischen Beziehungen dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden. Es bestehe die Gefahr, dass zerstört werde, was über Jahrzehnte aufgebaut wurde. Die russische Seite habe noch nicht alle bisher eröffneten Chancen wahrgenommen. Immerhin biete die Genfer Erklärung vom 17. April einen Fahrplan zur Lösung der Ukraine-Krise. Erlers Appell zur Deeskalation fand breite Unterstützung.

Der Leipziger Veranstaltung kam wohl in erster Linie symbolischer Wert zu. Aber allein die Tatsache, dass sie stattfand, ist nicht zu unterschätzen. Deutlich wurde das Interesse beider Seiten, im Gespräch zu bleiben und zur Verständigung beizutragen. Das erscheint umso wichtiger, da gerade vor dem Leipziger Treffen einige Politiker und Medien massiv gegen derartige deutsch-russische Aktivitäten Stimmung machten.

So apostrophierte die »Welt« den Forschungsdirektor des Deutsch-Russischen Forums, Alexander Rahr, als »Putin-Erklärer« und »Lobbyist des Kremls«. Auch andere Mitglieder des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs wie Lothar de Maizière und André Brie werden angegriffen. Dabei geht es aber wohl um mehr als um Personen. Offenbar passt manchen Medienmachern, aber auch den von der »Welt« zitierten Politikern wie Elmar Brok, Andreas Schockenhoff oder Marieluise Beck die ganze Richtung nicht. Den vom Deutsch-Russischen Forum geforderten realistischen Dialog mit Russland und die engen Wirtschaftsbeziehungen halten sie für falsch. Nicht zuletzt das verdeutlicht, dass gerade in der gegenwärtigen außenpolitischen Krise an Gesprächsformaten wie dem Petersburger Dialog festgehalten werden muss.

* Aus: neues deutschland, Freitag 25. April 2014

Ach wissen Sie ...

Lothar de Maizière, Vorsitzender des Lenkungsausschusses des "Petersberger Dialogs", im Interview der Hessischen Allgemeinen:
Antwort auf die Frage, wer für die Zuspitzung in der Ukraine verantwortlich sei:
Zuerst ist die Europäische Union zu nennen, allen voran Kommissionspräsident Barroso, der die Ukraine vor die Wahl gestellt hat: EU oder Russland. Das war ökonomisch unsinnig, zivilgesellschaftlich rückwärts gewandt und es war unhistorisch.
Und Putin?
Er hat natürlich das seine dazu beigetragen, indem er der Regierung in Kiew 15 Milliarden Dollar geboten hat. (...) Aber ich bleibe dabei: Der erste Fehler ist von der EU ausgegangen. (...)
Frage: Es scheint Putins Ziel zu sein, die Ukraine zu destabilisieren ...
Ach wissen Sie ... Bei den Verhandlungen in Genf hörte sich das anders an. Dass man sich jetzt gegenseitig Vorwürfe macht, das Abkommen nicht umzusetzen, ist genausowenig zielführend wie der plötzliche Besuch des US-Vizepräsidenten in Kiew vertrauensbildend ist.
Auf die Frage, was der Westen jetzt tun solle:
Er sollte zumindest auf die ukrainische Übergangsregierung einwirken, wie vereinbart Maidan-Truppen zu entwaffnen, zur Verfassung von 2004 zurückzukehren und zu überlegen, ob man mit Naziparteien eine Regierung führen will. (...)
Aus: Hessische Allgemeine-HNA, 23. April 2014 ("Die Ost-Ukraine tickt anders").




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