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"Wer ist der Dummkopf, der das gesagt hat?"

Das Verhältnis zwischen Ecuadors Präsident Correa und den Indígenas ist wechselhaft

Von Gerhard Dilger, Quito *

Seit den 90er Jahren sind die Indígenas die kämpferischte und einflussreichste soziale Bewegung in Ecuador. Das Verhältnis zum seit Anfang 2007 amtierenden linksorientierten Präsidenten Rafael Correa ist wechselhaft – nun wird wieder mit- statt übereinander geredet.

Martialische Szenerie in Quitos kolonialer Altstadt: Um den Präsidentenpalast sind Dutzende Polizisten in Kampfmontur aufmarschiert, als ein bunter Demonstrationszug auf dem Unabhängigkeitsplatz eintrifft. Über 2000 Indígenas aus verschiedenen Teilen Ecuadors sind in die Hauptstadt gekommen. Viele tragen Holzspeere, Stirnbänder oder Federschmuck. Manche haben Kriegsbemalung aufgelegt. Trotzige Sprechchöre schallen über den Platz.

Innen kommt es zu einem bemerkenswerten Treffen. Zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt Anfang 2007 empfängt Staatschef Rafael Correa Anfang Oktober 130 Vertreter der Indígena-Organisationen zu einem offenen Schlagabtausch. Der Sinneswandel des egozentrischen Linkskatholiken kam nicht ganz freiwillig: Ende September hatte der Dachverband CONAIE zu landesweiten Protesten aufgerufen, Correa qualifizierte die Demonstrationen mehrfach als »fremdgesteuert« ab.

Tod eines Indígenas im Schrotkugelhagel

Dann kam es bei einer Straßensperre in der Amazonasprovinz Morona Santiago zu einem blutigen Gefecht zwischen Demonstranten und Polizisten. Unter noch ungeklärten Umständen starb der Lehrer Bosco Wizuma vom Volk der Shuar durch Schrotkugeln. Im Fernsehen gab sich der Präsident betroffen und machte den Weg zum direkten Dialog frei.

Gut 14 Millionen Menschen wohnen in Ecuador, rund ein Drittel davon sind Indígenas. Seit den 90er Jahren stellen sie den kämpferischsten Teil der Sozialbewegungen und trugen maßgeblich zum Sturz zweier Präsidenten bei, auch ein Freihandelsabkommen mit den USA verhinderten sie. Doch die CONAIE wurde durch eine siebenmonatige Regierungsbeteiligung 2003 geschwächt, in der Indígena-Partei Pachakutik blühten Korruption und Vetternwirtschaft. Die Quittung kam bei den Wahlen 2006: CONAIE-Chef Luis Macas erhielt nur zwei Prozent .

Wohl auch deswegen meinte der strahlende Wahlsieger Correa, die Indígena-Organisationen links liegen lassen zu können. Die neue Verfassung, die vor einem Jahr angenommen wurde, folgt zwar der indigen inspirierten Vision vom sumak kawsay, dem »guten Leben«, was die Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsweise impliziert. Doch in der Schlussphase ließ Correa gezielt Schlupflöcher einbauen, die erlaubten, eine recht konventionelle Wirtschaftspolitik fortzusetzen, die auf die weitere Förderung von Erdöl, mineralischen Bodenschätzen und auf die Einführung von Agrotreibstoffen setzt. Anfang 2009 peitschte er ohne Debatte ein Bergbaugesetz durch, das klar im Widerspruch zum Geist der Verfassung steht. Durch Proteste ließ er sich nicht beeindrucken, und im April wurde er mit 52 Prozent im ersten Wahlgang wiedergewählt.

Und nun das Wassergesetz: Mario Yaucén Remachi aus der Andenprovinz Chimborazo stört vor allem, dass die traditionellen Wasserräte entmachtet werden sollen, die bisher auf lokaler Ebene die Wasserversorgung regeln. Zudem verbrauchten schon jetzt wenige Großgrundbesitzer und Bananenfarmer einen Großteil des Wassers in der Landwirtschaft, sagt er, nötig sei also eine »Entprivatisierung«.

In Ecuador gibt es an die 10 000 lokale Trinkwasser- und Bewässerungssysteme, die von der Bevölkerung selbst mit Hacke und Schaufel angelegt wurden. Nach dem Regierungsentwurf ist künftig eine zentralstaatliche Kontrollinstanz vorgesehen. Außerdem werden die Wasserreserven durch große Minenprojekte bedroht, durch die das Grundwasser verseucht und große Wassermengen geschluckt werden.

Streit um das neue Wassergesetz

Nicht Privatisierung, sondern eine effektive staatliche Kontrolle sei die Zielrichtung des Gesetzes, erklärt unterdessen der Präsident vor der Runde der skeptischen Indigenen. »Wir müssen unsere Ressourcen verantwortungsvoll nutzen«, sagt er im Hinblick auf Bergbau- und Erdölprojekte, die ebenfalls auf heftigen Widerstand stoßen. Auch beim Bau von Wasserkraftwerken gehe die Regierung ohne Rücksicht auf Anwohner und Umwelt vor, kritisiert Alfonso Morquecho aus der südlichen Provinz Cañar, der zusammen mit 120 Gleichgesinnten angereist ist, um den Unterhändlern den Rücken zu stärken.

Wie die meisten Demonstranten wirft Morquecho dem Präsidenten, der die Ureinwohner wiederholt als »infantil« oder »verrückt« bezeichnet hatte, fehlenden Respekt vor. Die prominente Aktivistin Blanca Chancoso meint: »Wie kann sich jemand selbst als Revolutionär bezeichnen, der dauernd sein eigenes Volk beschimpft?«

Auch während der hitzigen Sitzung im Palast wird Correa mit Zitaten aus seinen samstäglichen Rundfunksendungen konfrontiert, etwa mit dem Satz, dass die Indígenas nur zwei Prozent der Bevölkerung seien. »Wer ist der Dummkopf, der das gesagt hat?« fragt er aufgebracht. »Sie selbst, Herr Präsident«, kommt die Antwort zurück. Gelächter.

Vier Stunden nach Gesprächsbeginn entspannt sich die Stimmung auf dem Platz. Drinnen hat man sich auf eine Fortsetzung des Dialogs in diversen Arbeitsgruppen geeinigt, etwa über die zweisprachige Erziehung. Auch über die umstrittenen Bergbau- und Wassergesetze soll nun verhandelt werden – ein echtes Novum.

Der rotgrüne Ökonom und Exminister Alberto Acosta freut sich darüber, dass sich Correa zum ersten Mal zu einem Gespräch gezwungen sah, bei dem nicht er die Bedingungen diktierte: »Es ist eine Riesenchance für die Regierung. Doch ob Correa und sein Führungszirkel tatsächlich einen konzilianteren Kurs einschlagen, ist noch völlig offen.«

Bei den Indígenas sitzt die Grundskepsis gegenüber Correa tief. Humberto Cholango, einer der einflussreichsten Sprecher, gibt sich verhalten optimistisch: »Es war ein gespannter Dialog. Wie die Regierung sind wir ja an einem Wandel in Ecuador interessiert, aber ganz wohl fühlen wir uns noch nicht. Unser Kampf geht weiter.«

Auch die Teilnehmer eines Treffens von Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen, Indígenas und Basisaktivisten, zu dem das Oilwatch-Netzwerk nach Quito geladen hat, geben sich keinen Illusionen über einen »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« hin. Zu übermächtig scheint die Fixierung sämtlicher Linksregierungen Lateinamerikas auf eine krude kapitalistische Wirtschaftsweise, die – in Fortschreibung kolonialer Arbeitsteilung – die Länder des Südens auf ihre Rolle als Rohstoff- und Energielieferant festschreibt. Der größte Unterschied zu ihren neoliberalen Vorgängerregierungen liegt in der in unterschiedlichem Grad gestärkten Rolle, die sie dem Staatsapparat in der Wirtschafts-, aber auch in der Sozialpolitik zuschreiben.

Gefangen in der Ausbeutungslogik

Selbst Bolivien, dessen indigener Präsident Evo Morales immer wieder schöne Reden über die Notwendigkeit eines globalen Umsteuerns hält, ist in dieser Logik gefangen: Im Juni begann das bolivianisch-venezolanische Staatskonsortium Petroandina im Territorium der Mosetene-Indianer mit der seismischen Exploration. Ohne jede Absprache mit den Einheimischen werde mit Dynamitladungen nach Erdöl gesucht, wie der Priester Daniel Gagasi aus der Gemeinschaft Simay eindringlich schildert: »Es gibt keinen Frieden mehr, die Tiere verschwinden, man hat unsere Nachbarn eingekauft und gegen uns aufgehetzt.«

In Peru hält der rechte Staatschef Alan García auch nach dem Massaker an den Amazonasindianern bei Bagua im vergangenen Juni an seiner Strategie des Ausverkaufs fest, erläutert der Indígena Zebelio Kayap. Bereits 72 Prozent des peruanischen Amazonasgebiets seien in den letzten Jahren über Konzessionen für die Erdölförderung freigegeben worden. Ein Horrorszenario, das die ecuadorianischen Indígenas mit aller Macht verhindern wollen.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Oktober 2009


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