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"Wir wollen ein souveränes Land sein"

Auch in Ecuador hetzen Medienkonzerne die Öffentlichkeit gegen soziale Veränderungen auf. Ein Gespräch mit Tania Narvaez Ruíz

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Tania Narvaez Ruíz war u. a. stellvertretende Abgeordnete der verfassungsgebenden Versammlung von Ecuador und Beraterin des Ministeriums für politische Zusammenarbeit. Sie ist gehört der regierenden »Alianza País« an.



Ecuador wird von der linken »Alianza País« (Allianz des Landes) regiert – ist das nicht eher ein Bündnis als eine Partei?

Es ist ein Zusammenschluß von Einzelpersonen, sozialen Vereinigungen und mehreren Parteien, die alle eine »Bürgerevolution« anstreben. Darunter verstehen wir eine friedliche Politik, die soziale Gerechtigkeit schafft. Es geht u. a. um eine neue Verfassung, den Stopp von Privatisierungen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Kampf gegen die Korruption. Präsident Rafael Correa steht an der Spitze dieses Prozesses – wir wollen endlich ein souveränes Land sein und nicht mehr ein Hinterhof der USA, der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds.

Bolivien und Venezuela schlagen einen ähnlichen Weg ein – gibt es große Unterschiede zu Ecuador?

Jedes Land hat seine Eigenarten, Wesenszüge und Regierungsformen. Alle drei Länder eint aber das Ziel, endlich das neoliberale Joch abzuwerfen, um Selbstbestimmung, Chancengleichheit und Wohlstand für ihre Menschen zu erreichen.

Die Regierungen von Bolivien und Venezuela werden von privaten Zeitungen und Fernsehsendern massiv attackiert. Ist es in Ecuador auch so?

Die Massenmedien gehören zu wirtschaftlichen Machtblöcken, die in Ecuador schon immer das Sagen hatten. Vor allem zwei Fernsehkanäle betreiben Fundamentalopposition: Teleamazonas und Ecuavisa; sie gehören je einer Familie von Großbankiers. Es wird keine Möglichkeit ausgelassen, gegen die Regierung oder ihr auch nur nahestehende Politiker zu hetzen. Das gilt auch für die Zeitungen, die diesen Familien gehören, El Comercio und Hoy. Interessanterweise unterstützen die lokalen Medien aber eher die Regierung; sie sind nicht Teil dieser Geldmafia.

Haben Sie Beispiele für diese Stimmungsmache?

Im Mai 2009 lancierte Teleamazonas die Nachricht, daß bei der Suche nach Erdgas, die gemeinsam mit dem venezolanischen Konzern PdVSA betrieben wird, die Fische vertrieben würden und die Regierung sechs Monate lang den Fischfang verbieten wolle. Die Fischer der Gegend fürchteten um ihre Lebensgrundlage. Es gab Unruhen, die Gasförderanlagen wurden besetzt, teilweise zerstört, Arbeiter bedroht und auch mißhandelt. Alles basierte auf einer Lüge.

Oder: Am Tag vor dem Verfassungsreferendum berichtete der Sender, die Regierung habe im ganzen Land geheime Computerzentren eingerichtet, um die Abstimmungsergebnisse besser fälschen zu können. Kritik an solchen Lügen wird dann als Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit angeprangert.

Die USA wollen in Kolumbien neue Militärstützpunkte einrichten. Glauben Sie, daß die nur dem Kampf gegen den Rauschgifthandel dienen?

Den wollen die USA doch gar nicht unterbinden – das Geschäft ist einfach zu lukrativ. Der angebliche Kampf gegen den Drogenhandel dient nur dazu, den Preis zu erhöhen. Die Militärbasen in Kolumbien verletzen die Souveränität Lateinamerikas, da sie die geopolitische Kontrolle dieser Region ermöglichen. Mit diesen Stützpunkten versuchen die USA, die Linksregierungen der Region unter Kontrolle zu bringen.

Ecuador hat keine eigene Währung, sondern den US-Dollar. Vor allem die Staaten des von Venezuela angeführten ALBA-Bündnisses drängen aber auf eine engere Verflechtung der lateinamerikanischen Länder. Stört die Anbindung an die US-Währung dabei?

Im Jahr 2000 wurde der Dollar als Währung eingeführt – Grund dafür war die verheerende Wirtschafts- und Währungspolitik der Rechtsregierungen und der Ausverkauf des Landes an die Banken. Das schien damals der einzige Ausweg zu sein, nachdem unsere eigene Währung, der Sucre, wertlos geworden war. Eine gemeinsame Währung ist in Planung, sie wird Teil der lateinamerikanischen Integration sein. Die vor einiger Zeit gegründete Bank des Südens (Banco del Sur) soll dabei helfen.

Interview: Albert Koestler/Maria Elisa Montesdeoca (Guayaquil, Ecuador)

* Aus: junge Welt, 27. März 2010


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