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Ecuadors Vorschlag an Industriestaaten

Das Land bittet um finanziellen Ausgleich für Verzicht auf Ölförderung im Nationalpark

Der ehemalige Außenminister Ecuadors, Francisco Carrión Mena, ist seit Anfang des Jahres Beauftragter des Präsidenten Rafael Correa für das Projekt ITT-Yasuní, das sich für einen Verzicht auf die Förderung von Erdöl in einem Biosphärenreservat des Amazonasgebiets einsetzt. Mit dem Ecuadorianer sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Harald Neuber.



ND: Herr Carrión, die unlängst reformierte Verfassung Ecuadors erkennt zum ersten Mal ein »Recht der Natur« an. Was können wir uns darunter vorstellen?

Mena: Es geht darum, dass der Natur ebenso Rechte eingeräumt werden wie jedem anderen juristischen Subjekt. Mit der Aufnahme dieser Idee in die Verfassung sorgen wir dafür, dass diese Rechte respektiert werden. In Ecuador hat dieser Gedanke starken Rückhalt gefunden, weil wir einen sehr engen Bezug zur Natur haben.

Sie stehen seit Jahresbeginn dem Projekt ITT-Yasuní vor, das sich für einen Verzicht auf die Ausbeutung beträchtlicher Erdöllagerstätten im Biosphärenreservat Yasuní im ecuadorianischen Amazonasgebiet einsetzt. Auch dabei geht es wohl um die Rechte der Natur?
Das Ziel unserer Initiative ist es, einen großen Teil des Erdöls im Boden zu belassen und nicht zu fördern. Wir sprechen dabei von rund 20 Prozent der nachgewiesenen Erdölreserven unseres Landes, also rund 920 Millionen Barrel. Diese liegen unter dem Yasuní-Nationalpark, der eine unvergleichlich große Artenvielfalt beheimatet.

Welche Folgen hätte eine Erdölförderung für die Region?

Neben der Umweltzerstörung würde sie auch soziale Folgen nach sich ziehen. In dem Gebiet leben indigene Gemeinschaften in selbst gewählter Isolation. Ihre selbstbestimmte Entscheidung, keinen Kontakt zu Außenstehenden aufzunehmen, hat uns ebenfalls zu der Initiative ITT-Yasuní veranlasst.

Was schlägt Ihre Initiative konkret vor?

Unser Vorschlag an die internationale Gemeinschaft ist eine Entschädigung in Höhe von 50 Prozent der bei Förderung und Verkauf des Erdöls zu erwartenden Erlöse. Es geht um geschätzte 350 Millionen US-Dollar pro Jahr für eine Frist von zehn Jahren. Aber das Geld ist nicht entscheidend. Viel wichtiger ist es, die Idee zur Debatte zu stellen, nach der ein armes Land mit sozialen Problemen sich bewusst dafür entscheidet, Erdöl nicht zu fördern, um schlimme Folgen zu vermeiden. Nun erwarten wir eine Antwort, vor allem von den Industriestaaten. Wir wollen gemeinsam zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den Energieressourcen finden.

Wie lautet Ihre Zwischenbilanz nach fast einem Jahr?

Wir haben intensive Gespräche mit Regierungen und mit unabhängigen Organisationen geführt. Nun geht es um konkrete Schritte: Wer investiert in diese Idee? Das meiste Geld erhoffen wir uns aus dem Handel mit Emissionsrechten. Unsere Regierung stellt Emissionszertifikate aus, die von ausländischen Energieunternehmen, etwa aus Europa, erworben werden können, um die von ihnen verursachte Umweltverschmutzung zu kompensieren. Das uns damit zur Verfügung gestellte Kapital würden wir übrigens nicht anrühren. Lediglich die Zinserlöse würden zur Entwicklung von Umweltschutzprojekten verwendet, die vorher bestimmt werden. Zur Diskussion steht auch eine internationale Verwaltung der Gelder.

Im Juni dieses Jahres wurde Ihr Vorschlag sogar vom Deutschen Bundestag behandelt. Welche Reaktionen haben Sie darüber hinaus erhalten?

Natürlich haben viele zunächst überrascht reagiert. Dann gab es aber zunehmend begeisterte Kommentare darüber, dass ein Land mit nach wie vor großen sozialen Problemen eben nicht auf eine unbegrenzte Ausbeutung der Ressourcen setzt, sondern nach anderen Wegen sucht. Deutschland ist sicherlich einer der Staaten, aus dem wir die größte Unterstützung bekommen haben.

Haben Industriestaaten denn anders reagiert als Ihre Nachbarn in Südamerika?

Unser Vorschlag richtet sich vor allem an die Industriestaaten, weil sie am meisten Erdöl verbrauchen und die Umwelt dadurch am stärksten verschmutzen. Die Reaktionen, auch in Deutschland, waren sehr gut. Zuspruch kam auch aus Spanien und Norwegen. In Italien, Großbritannien und Frankreich laufen die Debatten noch. Auch internationale Organisationen reagierten interessiert. Nach der Überraschung und der Euphorie müssen wir nun aber konkrete Schritte zur Umsetzung finden. Daran arbeiten wir und dafür werben wir.

Sie sprechen viel von den Verbraucherländern. Aber wie haben die Erdölstaaten, wie etwa Venezuela, reagiert, die im Gegensatz zu Ihnen auf einen Ausbau der Förderung setzen?

Eine der ersten Reaktionen kam von der Organisation erdölxexportierender Staaten, der OPEC. Auf ihrem letzten Gipfeltreffen hatte sie ein Arbeitsprojekt unter dem Motto »Energie und Umwelt« initiiert. Unsere Initiative als OPEC-Mitglied ist ein erster konkreter Vorschlag in diese Richtung. Die Herausforderung besteht für uns alle darin, die Energieversorgung aufrechtzuerhalten und die Umwelt gleichzeitig zu schützen. Länder wie Venezuela haben auf unseren Vorschlag mit Interesse reagiert. Unser wichtigstes Anliegen ist aber, in einen Dialog mit den Industriestaaten zu treten, da sie für den höchstens Energieverbrauch verantwortlich sind. Sie tragen damit auch die größte Verantwortung, wenn durch eine mögliche Erdölförderung das Biosphärenreservat zerstört und die Mnschenrechte der indigenen Völker in der Region verletzt werden würden.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Dezember 2008


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