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Soziale Proteste in Ecuador

Führen Verhandlungen zu einer Neuverteilung der Erdöl-Gewinne?

Im folgenden dokumentieren wir zwei aktuelle Berichte über die sozialen Auseinandersetzungen in Ecuador sowie [im Kasten] ein paar authentische Erklärungen aus der Protestbewegung.



Sozialer Protest

Blockade der Erdölförderung in Ecuador

Seit mehr als einer Woche legen offenbar tausende Menschen im ecuadorianischen Amazonasgebiet die Erdölföderung und die Transportwege lahm. Sie protestieren damit gegen eine ihrer Ansicht nach ungerechte Verteilung der Gewinne und gegen die Schäden für Menschen und Natur. Das Militär soll brutal gegen die Demonstranten, die zum Teil von den Provinzbehörden unterstützt werden, vorgegangen sein. Verteidigungsminister Solón Espinosa ist am Freitag zurückgetreten, nachdem er den Ausnahmezustand verhängt hatte. Sein Nachfolger, Ex-General Jarrin schließt offenbar Schusswaffengebrauch gegen Demonstranten nicht aus. Derweil reagieren die Ölmärkte mit immer neuen Höchstständen beim Ölpreis.

In den Provinzen Sucumbíos und Orellana im Amazonasgebiet von Ecuador kommt es seit Tagen zu Protesten. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Regionen fordern eine Verbesserung der Infrastruktur und eine Beteiligung an den Gewinnen aus der Ausbeutung des Rohstoffreichtums des Landes.

In einem von dem linken Mediennetzwerk "indymedia" übersetzten Kommuniqué der Demonstranten vom Freitag heißt es: "Der Kampf im Amazonasgebiet ist gegen die Erdölkonzerne, für die Absage aller Verträge mit der Oxy (Occidental Petroleum), Encana, Petrobras (...). Die jährlichen Gewinne von 1200 Millionen US-Dollar, die die Oxy macht, sollten hier im Land investiert werden, in Gesundheit, Bildung und Arbeit (...)." [Siehe Kasten mit weiteren Erklärungen.]

Einem Bericht von "Indymedia Ecuador" zufolge soll am Freitag der Bürgermeister von Lago Agrio, der die Proteste unterstützt habe, von Soldaten festgenommen und verschleppt worden sein. Sein jetziger Aufenthaltsort sei unbekannt.

Das "Handelsblatt" bezeichnet die Proteste als "gewaltsame Streiks". Eine bei Indymedia veröffentlichte "Erklärung des Zusammenschlusses der Völker von Sucumbios und des Amazonischen Netzwerkes für das Leben" vom Mittwoch spricht hingegen von einem brutalem Vorgehen von Militär und Polizei. Zudem habe nach "harten Auseinandersetzungen" die Bevölkerung einen Soldaten festgenommen, "der am Nachmittag mit 69 Festgenommenen ausgetauscht wurde."

Indymedia bringt auch die Westdeutsche Landesbank (WestLB), die zum Teil dem Land Nordrhein-Westfalen gehört, mit den Unruhen in Verbindung. Die WestLB hatte mit einem Kredit in Höhe von 1 Milliarden Dollar ein Erdölprojekte unterstützt, das von entwicklungspolitischen Organisationen in Deutschland immer wieder kritisiert wird.

In den letzten Jahren wurden bereits mehrere Regierungen durch soziale, indigene Bewegungen - meist unter Führung des Nationalen Rates der indigenen Völker Ecuadors (CONAIE) - gestürzt. "Ist Präsident Alfredo Palacio der nächste?", fragt vor diesem Hintergrund Martin Link im "Neuen Deutschland". Die sozialen Bewegungen im Andenstaat seien zwar noch nicht stark genug, aus ihren eigenen Reihen eine Regierung zu stellen. "Zum Stürzen missliebiger Präsidenten sind sie indes durchaus in der Lage."

Mit der Blockade der Ölförderung träfen sie das Rückgrat der Wirtschaft: die Ölindustrie stehe für ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts und einen Großteil der Devisenerlöse. "Lange wird Palacio eine Blockade politisch nicht durchhalten können."

Die Weltbank ist offenbar ein anderer einflußreicher Akteur beim Kräftmessen in Ecuador. Der Versuch des einstigen Finanzministers Rafael Correa, mit Erdölerlösen Sozialprogramme zu finanzieren, habe die Weltbank mit einer Kreditsperre quittiert. Correas sei daraufhin zurückgetreten.

Aus: Internetzeitung ngo-online, 22. August 2005 (www.ngo-online.de


Communiqué, Freitag, 19.8.05

FreundInnen!
Die Medien verschweigen dem Land, was in den amazonischem Provinzen passiert, und versuchen, die öffentliche Meinung zu verwirren.
Zur Zeit gibt es in Lago Agrio mehr als 50 Gefangene in den Kasernen der Armee, die Repression ist brutal. Hier in El Coca werden alle Journalisten verfolgt und man versucht, sie festzunehmen. Die Vertreter der Provinzregierung sind weiterhin zusammen mit der Bevölkerung bei der Blockade des Flughafens. Die Armee in Lkws und mit Hubschraubern versucht, die Menschen einzuschüchtern... Der deklarierte Notstand verbietet es uns zu DENKEN und unsere Meinung zu äußern, unglaublich...
Der Kampf im Amazonasgebietist gegen die Erdölkonzerne, für die Absage aller Verträge mit der Oxy (Occidental Petroleum), Encana, Petrobras... Die jährlichen Gewinne von 1200 Millionen US-Dollar, die die Oxy macht, sollten hier im Land investiert werden, in Gesundheit, Bildung und Arbeit...
Wir wehren uns, die Brutalität der Armee ist beeindruckend, aber die Menschen sind standhaft, mit ihrer eigenen Würde und bereit zu sterben, wenn es soweit kommt. Wir bitten euch, diesen Kampf hier im Land und auf der Welt zu unterstützen. Es wird für uns immer schwieriger, euch zu informieren, die Repressionsorgane verfolgen uns, wir haben kaum noch Empfang für Fernsehen und Radio, die Lebensmittel werden knapp und es gibt kein Benzin mehr, wir befürchten den Ausbruch von Epidemien und Krankheiten. Die Regierung beginnt einen Kampf bis aufs Messer mit uns wegen des ?Verbrechens?, uns gegen die multinationalen Ölkonzerne zur Wehr zu setzen... Ihr seid unsere Hoffnung, diesen Kampf zu gewinnen.
Danke.
Pressekomitee von Orellana, Freitag, 19.8.05

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ERKLÄRUNG des Zusammenschlusses der Völker von Sucumbios und des Amazonischen Netzwerkes für das Leben Lago Agrio, 17.8.05

Der Streik der beiden Provinzen Sucumbios und Orellana wurde von mehr und mehr Menschen unterstützt und hat am zweiten Tag des Kampfes einen großen Sieg errungen: Durch die Besetzung von zwei Pumpstationen gelang es, die SOTE [wichtigste von zwei Pipelines, die das Erdöl zur Küste transportieren] komplett lahmzulegen und damit auch die Ölförderung dieses Tages.
Die Auseinandersetzungen mit der Armee und der Polizei waren sehr brutal und hinterließen eine Menge Verwundete, Festgenommene, Frauen und Kinder, die durch den gewissenlosen Einsatz von Tränengas dem Ersticken nahe waren. Nach harten Auseinandersetzungen nahm die Bevölkerung einen Soldaten und einen Polizisten fest, der am Nachmittag mit 69 Festgenommenen ausgetauscht wurde.

Tausende Menschen in den zwei Provinzen blockieren sämtliche Verbindungsstraßen, die beiden Flughäfen der Region sowie mind. 10 Bohrlöcher und Erdölförderstationen ? damit ist die gesamte Erdölförderung und alle Transportwege lahmgelegt, trotz der enormen Verschiebung von Soldaten in die Region: 3500 Soldaten wurden als Verstärkung der schon übertriebenen Militärpräsenz (wegen Plan Colombia u.a.) dazugezogen, ebenso etwa 1500 Polizisten, aber unser vergessenes und ausgegrenztes Volk hat eine überraschend mutig und entschlossen geantwortet.
Eine der notwendigen Bedingungen, um einen Dialog mit der Regierung zu beginnen, ist die Absetzung des jetzigen Provinzoberhauptes, neben den Hauptpunkten unserer Kampfplattform der zwei Provinzen:
  1. Hinfälligkeit der Verträge zwischen dem ecuadorianischen Staat und der Ölkonzernen Oxy und Encana.
  2. Revision aller Verträge mit Ölkonzernen, um bessere Bedingungen für das Land zu erreichen.
  3. Erfüllung aller schon unterschriebenen Abkommen zwischen dem ?Zusammenschluss der zwei Provinzen? und der Regierung
Die Ölkonzerne bekommen 95% der Gewinne, während unsere Familien nichts zu essen haben! Hier vergiften uns die Ölkonzerne von unten und die Besprühungen von oben! [Besprühungen weiter Landstriche mit Pflanzengiften im Rahmen des Plan Colombia, angeblich um Cocafelder zu vernichten ? Anm.d.Übers.] Wir bleiben hier! Wir akzeptieren nicht den Weg der Migration in die USA, nach Spanien oder Italien, oder auf hoher See zu sterben auf der Fluht aus einem Land, dass uns verhungern lässt.
Wir wollen ein Ecuador für alle aufbauen. Wir wollen einfach nur Arbeitsplätze und würdige Lebensbedingungen!
Das vereinte Amazonien kämpft für das Leben!

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Presseerklärung von Acción Ecológica (Quito) vom 16.8.05

Seit den frühen Morgenstunden des Sonntag (14. August), streiken die Provinzpolitiker und Bewohner der Provinzen Sucumbios und Orellana im ecuadorianischen Amazonasgebiet. Die Bauern und Indigenen der beiden Provinzen mit der größten Ölförderung (400 000 barrel pro Tag), sind aufgestanden, um den Präsidenten Alfredo Palacio zu zwingen, die Verträge mit den nordamerikanischen Firmen Occidental Petroleum (Oxy) und EnCana für ungültig zu erklären und die Verträge mit allen anderen Ölmultis zu revidieren.

Hier ein paar Zahlen zur Situation der Bevölkerung in der Region (nach einer Studie von UPPSAE 1993):
  • Die Unterernährung von Kindern in Gemeinden mit Erdölförderung betrug 43%, während sie in Gemeinden ohne Förderung bei 21,5 % lag.
  • In der Gemeinden mit Erdölförderung gab es dreimal mehr Hautkrankheiten und doppelt so viele Fälle von Anämie, Tuberkulose, Infektionen der Harnwege u.a.
  • Die Frauen, die in der Nähe von Förderanlagen lebten, hatten 147 % mehr Fehlgeburten.
  • Die allgemeine Sterblichkeit war doppelt so groß wie in erdölfreien Gemeinden, aufgrund von Gewalt, Unfällen und Krebs.
In einer anderen Studie von San Sebastian (2000), hatten von 500 Befragten 82,4% schon einmal Krankheiten aufgrund der Verschmutzung: 96% davon Hautkrankheiten, 75% Atemprobleme, 64% Verdauungsprobleme und 42% Probleme mit den Augen.

Der Hauptgrund der Verschmutzung ist das Erdöl selbst (neben giftigen Gasen, die bei der Verbrennung von Resten entstehen, u.a. Jedes Jahr laufen durch undichte Pipelines etc durchschnittlich 5 Millionen Liter Rohöl in die Flüsse [innerhalb von acht Jahren entspräche das der Menge, die beim Tankerunglück der Exxon Valdez vor Alaska ins Meer floss].

Quelle: http://de.indymedia.org



Waffenstillstand in Ecuadors Ölzone

Verhandlungen über Neuverteilung der Einnahmen geplant

Von Tommy Ramm, Bogotá*


Eine Eskalation des seit einer Woche in Ecuadors erdölreichen Amazonasprovinzen schwelenden Konflikts ist vorerst abgewendet, da die Protestierenden einem Waffenstillstand zugestimmt haben. In den nächsten Tagen soll zudem eine Delegation zu Gesprächen mit der Regierung in die Hauptstadt Quito reisen.

Mehr als 60 Verletzte und zwölf Verhaftungen, so die Bilanz am Wochenende nach sieben Protesttagen in den ecuadorianischen Amazonasprovinzen Orellana und Sucumbios. Nimmt man jedoch die Ankündigungen des neu eingesetzten Verteidigungsministers Oswaldo Jarrin beim Wort, hätten die Proteste auch in ein Blutbad münden können. »Die Normen internationalen Rechts erlauben, das Feuer in eigener Verteidigung zu eröffnen«, so Jarrin bei seiner Amtseinführung am Freitag. Er ließ damit keine Zweifel aufkommen, dass er mit harter Hand gegen die Aufständischen in der wichtigsten Erdölregion des Landes vorgehen will. Doch soweit muss es nicht kommen. Am Sonntag haben die Protestierenden einem Waffenstillstand mit der Regierung zugestimmt. Medienberichten zufolge bereitet sich zudem eine Delegation darauf vor, in den kommenden Tagen zu Gesprächen mit der Regierung in die ecuadorianische Hauptstadt Quite zu reisen. Einzelheiten wurden indes noch nicht bekannt.

In Orellana und Sucumbios begannen am 14. August Proteste Einheimischer, die zunächst mehr Arbeitsplätze und Investitionen in der regionalen Infrastruktur vom Staat und von den privaten Erdölfirmen forderten. Obwohl die Region rund 40 Prozent der Finanzen des staatlichen Haushalts durch die Erdölproduktion erwirtschaftet, leben dort 85 Prozent der Bevölkerung in Armut. Doch nur wenige Tage später radikalisierten sich die Demonstrationen, nachdem die Regierung und einige Medien deren Anführer beschuldigten, im Auftrage des im April gestürzten Ex-Präsidenten Lucio Gutierrez zu handeln und so versuchen zu wollen, das Land in ein Chaos zu stürzen. »Hinter den Protesten stehen Gutierrez und seine Anhänger«, wetterte Arbeitsminister Galo Chiriboga. Gegen fast alle Bürgermeister und Verwalter der beiden Regionen, die die Proteste öffentlich unterstützen und entweder der indigenen Pachakutik-Partei oder der linksorientierten MDP angehören, wurden Haftbefehle ausgesetzt.

Nach der Festnahme des Bürgermeisters von Nueva Loja, Maximo Abad, rief dessen Kollegin Anita Rivas aus der Provinzhauptstadt Francisco de Orellana die Rebellion ihrer Bewohner aus. Diese würden auf die Armee in den Straßen warten, so Rivas. »Wenn sie uns verhaften wollen, müssen sie alle verhaften. Wenn sie uns töten wollen, müssen sie alle töten. So ist die Rebellion.«

Die ecuadorianische Regierung hatte am Mittwoch den Ausnahmezustand in der Amazonasregion ausgerufen, der jedoch ohne Wirkung blieb. Nach Anschlägen und Sabotageaktionen auf Pipelines, welche die Erdölproduktion drastisch einschränkte, verlangte Präsident Alfredo Palacios den Rücktritt des bis zum Freitag amtierenden Verteidigungsministers Solon Espinosa, der nicht in der Lage gewesen sei, die Sicherheit in der Region zu gewährleisten. Dieser hatte sich geweigert, mit Gewalt gegen die Demonstranten vorzugehen.

»Alles ist zum Teufel gegangen«, soll sich Palacio wütend gegenüber Medienvertretern geäußert haben. Damit bezog er sich auf die Einnahmeausfälle durch die paralysierte Erdölproduktion. Auf geschätzte 570 Millionen US-Dollar belaufen sich bereits die Verluste, die überwiegend in die Zahlung der Auslandsschulden des kleinen südamerikanischen Landes gehen. Die Regierung sah sich am Freitag gezwungen, Venezuela um Hilfe zu bitten. Demnach soll Caracas die Lieferausfälle kompensieren, bis die Produktion im eigenen Land wieder angelaufen ist. »Wir werden Ecuador helfen«, sagte Präsident Hugo Chávez. »Und sie müssen dafür keinen Cent bezahlen.« Indes erklärte der Gouverneur der Provinz Pastaza, Jaime Guevara, seine Solidarität mit den aufständischen Regionen. Er schloss nicht aus, dass seine Provinz ebenfalls in den Streik tritt, sollte die Regierung die Forderungen nicht erfüllen. Es bleibt also trotz bevorstehender Gespräche abzuwarten, ob es zu einer schnellen und vor allem friedliche Einigung kommt.

* Aus: Neues Deutschland, 23. August 2005


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