Putschversuch in Ecuador vereitelt
Präsident Correa durch loyale Militärs aus Polizeihospital befreit
Von Miriam Lang *
«Ich werde hier als Präsident rausgehen, oder aber als Kadaver.
Meine Sicherheit ist keineswegs garantiert, ich werde
aber unter keinen Umständen verhandeln. Als ich mich habe
wählen lassen, wusste ich, worauf ich mich einlasse. Ich
wollte diesen Posten nicht, um einen Stuhl warm zu halten.»
Worte des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa, der
gestern (30. Sep.) bis in die späten Abendstunden im Polizeihospital
der Hauptstadt Quito festgehalten wurde, nachdem er von
aufständischen Polizisten tätlich angegriffen worden war.
Der Staatschef hatte vormittags versucht, den Aufstand in
der Polizeikaserne Pichincha durch einen persönlichen
Besuch zu beschwichtigen – hatte jedoch die Gemüter nur
noch mehr angeheizt, was schließlich zu den Angriffen mit
Tränengas und Fäusten führte. Am späten Nachmittag meldete
er sich mit dem zitierten Telefoninterview erstmals
öffentlich zu Wort.
Gegen 21 Uhr abends dann begann ein Gefecht zwischen
loyalen Militärs und der im Hospital verschanzten aufständischen
Nationalpolizei. Nach einer guten halben Stunde
Schusswechsel gelang es, das Staatsoberhaupt in einem
von Soldaten eskortierten Auto aus dem Hospital zu
befreien. Wenig später sprach Correa vor tausenden Anhängern
vom Balkon des Regierungspalasts: «Dies ist ein Tag
tiefer Trauer. Wie konnten sie nur wegen etwas so banalem
mit der Zukunft des Vaterlandes spielen?» fragte er in
Anspielung auf die aufständische Polizei, welche auf infame
Weise manipuliert worden sei. Correa benannte auch die
Kräfte, die seiner Ansicht nach hinter der Verschwörung
stecken: Ex-Präsident – und Militär a.D. – Lucio Gutiérrez
und seine Partei Sociedad Patriotica. Offenbar gab es im
Lauf des Gefechts mehrere Verletzte, es kam jedoch niemand
ums Leben.
Ecuador hat am gestrigen Tag (30. Sep.) die schwerste politische Krise
seit dem Amtsantritt von Präsident Correa erlebt. Auslöser
war ein Gesetz über den öffentlichen Dienst, das unter anderem
eine Reihe von Boni und Auszeichnungen für Polizei und
Militär abschafft, und vorgestern vom Parlament verabschiedet wurde – welches mit dieser Entscheidung ein Veto des Präsidenten gegen eine vorherige Version des Gesetzes ratifizierte.
Polizei verbrennt Autoreifen
Im ganzen Land kam es zu Unruhen: In der Hafenstadt Guayaquil
wurden, da die Polizei nicht mehr für Sicherheit sorgte,
zahlreiche Geschäfte und Bankautomaten geplündert. In
Cuenca protestierten Studenten gewaltsam und verlangten
ihrerseits eine Revision des Gesetzes über weiterführende
Bildung. In der Hauptstadt Quito und in Latacunga waren die
Flughäfen von der Luftwaffe besetzt und geschlossen. Die
Hauptverkehrsstraßen in den Städten wurden von der Polizei
gesperrt, die Autoreifen verbrannte.
Die gestrigen Ereignisse zeigen, wie fragil die politische und
die Sicherheitslage in Ecuador derzeit sind. Die Polizeikräfte
verweigerten ihren Vorgesetzten schlicht den Befehl, als diese
sie zur Ordnung riefen, und erklärten den Aufstand. Während
das Oberkommando der Streitkräfte seinen Rückhalt für die
verfassungsmäßige Ordnung verkündete, reagierten die Truppen
selbst nur sehr zögerlich auf den vom Präsidenten bereits
in den Mittagsstunden verhängten Ausnahmezustand, und
verließen stundenlang nicht die Kasernen. Auch sie forderten
eine Revision des besagten Gesetzes, allerdings in verhaltenerem
Ton.
Ab ein Uhr Mittags und bis zu den Abendnachrichten waren
alle Radio- und Fernsehsender des Landes gleichgeschaltet
und mussten die offizielle Version der Ereignisse übertragen.
Eine «Vorabzensur der medialen Information» ist bei Ausrufung
des Ausnahmezustands zwar in Artikel 165 der neuen
ecuadorianischen Verfassung vorgesehen, die Maßnahme
führte aber dennoch zu Protesten. Eine Gruppe von oppositionellen
Demonstranten stürmte am frühen Abend den
staatlichen Fernsehsender Ecuador TV und verlangte unter
Berufung auf die Meinungsfreiheit, ihre Sicht der Dinge darlegen
zu können.
Während die meisten Staatsorgane, Intellektuelle und die
indigenen Organisationen CONAIE und ECUARUNARI den
Putschversuch zurückwiesen und die Verfassung von 2008
verteidigten, nutzten andere linke Kräfte die Gelegenheit,
ihrem Zorn auf die Regierungspolitik Ausdruck zu verleihen
und den Rücktritt des Präsidenten zu fordern: Gewerkschaften,
die CONAIE-nahe Partei Pachakutik und die maoistische
MPD machten Correas Politik für seine Lage verantwortlich
und forderten andere gesellschaftliche Kräfte dazu auf,
gemeinsam mit den von dem Gesetz betroffenen Beamten
eine Einheitsfront gegen die Regierung zu bilden.
Sowohl Kritik als auch Solidarität
In der Tat hat sich Rafael Correa mit seinem autoritären Führungsstil
und seiner geringen Dialogbereitschaft bei weitem
nicht nur im rechten Lager Feinde gemacht. In den letzten
Monaten hat seine Regierung eine Reihe Anti-Bergbau-Aktivisten
und indigene Anführer des Terrorismus angeklagt, die
Arbeiter des öffentlichen Diensts unterliegen einem generellen
Streikverbot, und die Erdölgewerkschaften klagen ihn an,
den wichtigsten Staatsbetrieb Petroecuador systematisch zu
schwächen, indem er große Ölfelder an «befreundete»
Staatsunternehmen wie beispielsweise die venezolanische
PDVSA konzessioniere. Kritiker bezichtigen den Präsidenten,
die Verfassung selbst schon mehrmals gebrochen zu haben,
beispielsweise mit dem Bergbaugesetz vom vergangenen
Jahr.
Es muss sich nun zeigen, ob Rafael Correa aus den gestrigen
Ereignissen seine Lehren zieht und für die Durchsetzung seiner
Reformen künftig eher Dialog und Einigung sucht.
Gestern Vormittag sah es jedenfalls noch nicht so aus: Medienberichten
zufolge war es seine Absicht gewesen, in einer
Pressekonferenz für kommenden Montag die Auflösung des
Parlaments anzukündigen – welches seit Monaten große
Schwierigkeiten hat, die 2008 verabschiedete Verfassung in
Gesetze zu gießen. Die Fraktion der Regierungspartei Alianza
País hat keine Mehrheit, der Präsident hat gegen die meisten
verabschiedeten Gesetze ein Veto eingelegt, und auch ansonsten
mischt sich die Exekutive recht häufig in die Arbeit der
Legislative ein. Die Parlamentsauflösung würde zwar Neuwahlen
nach sich ziehen, die zumindest im Parlament einen
ungewissen Ausgang hätten – und auch Correa selbst müsste
sich wieder den Wählern stellen – doch in der Zwischenzeit
könnte er, wie im ersten Jahr seiner Amtszeit, wieder per
Dekret regieren. Und diese Zwischenzeit würde einige
Monate dauern, da sich aufgrund der neuen Verfassung alle
Parteien vor den nächsten Wahlen erst neu registrieren lassen
müssten. Eine Option, die vielleicht so manche Reform
schneller auf den Weg bringen würde, die jedoch mit noch
mehr Macht für die Exekutive die Demokratie im Land sicherlich
nicht festigen würde.
Aus dem Ausland bekam die Regierung Correa gestern starken
Rückhalt. Nicht nur die OAS und die Mitglieder der Union
südamerikanischer Staaten, UNASUR, sprachen sich für die
verfassungsmäßige Ordnung in Ecuador aus. Auch Kolumbiens
neuer Präsident Manuel Santos, der erst vor kurzem die
Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder verbessert
hatte, versicherte Correa seines vollen Rückhalts – ebenso
wie der konservative Piñera aus Chile und Alán García aus
dem benachbarten Peru. Boliviens Präsident Evo Morales rief
seine Präsidentenkollegen gar auf, umgehend nach Ecuador
zu reisen, um das Leben von Rafael Correa zu retten.
Miriam Lang leitet das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung
in der Andenregion. Es wurde im Juni 2010 in Quito/Ecuador
eröffnet und koordiniert die Arbeit in Ecuador, Bolivien,
Venezuela und Kolumbien.
Aus: Standpunkte International, 23/2010; hrsg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung
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