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Ecuador zieht Bilanz

Präsident Correa überlebte Putschversuch offenbar nur knapp. Suche nach Verantwortlichen

Von Benjamin Beutler *

Zehn Tote und 274 zum Teil schwer Verletzte – das ist die Bilanz des gescheiterten Putschversuchs in Ecuador am vergangenen Donnerstag. Die Zahlen teilte das Gesundheitsministerium des südamerikanischen Landes am Sonnabend mit. Allein bei der Befreiung des in einem Krankenhaus festgehaltenen Präsidenten Rafael Correa waren demnach zwei Soldaten, zwei Polizisten und ein Student ums Leben gekommen. In Guayaquil, der Oppositionshochburg 280 Kilometer südwestlich von Quito, seien fünf Zivilisten von Aufständischen getötet worden. Innenminister Gustavo Jalkh verurteilte die »absurde Gewalt dieser Handvoll Verantwortungsloser«. Bis Montag wurde in Ecuador Staatstrauer angeordnet.

Correa scheint nur knapp mit dem Leben davongekommen zu sein. »Tötet den Präsidenten«, soll im Polizeifunk zu hören gewesen sein, als der gepanzerte Geländewagen das Krankenhausgelände unter Beschuß verließ. Die Polizeirebellion wollte »die Regierung destabilisieren, aber Plan B war, mich umzubringen«, sagte Correa später dem staatlichen Rundfunk. Scharfschützen hätten einen loyalen Polizisten erschossen, der bei der Befreiungsaktion direkt neben ihm stand. »Die Kugel war für mich«, so der Präsident. Bilder der staatlichen Nachrichtenagentur ANDES zeigen einen silbernen Jeep, dessen Frontscheibe exakt auf Kopfhöhe von Fahrer und Beifahrer zwei große Einschußlöcher aufweist. Auch das Heck des Fahrzeugs wurde gezielt ins Visier genommen, weitere Gewehrschüsse trafen die Motorhaube.

35 Minuten hatte der Schußwechsel im Militärkrankenhaus von Quito gedauert. »Hier kriegt ihr uns nur tot raus, Carajo!« schrie einer der Maskierten und feuerte seine automatische Waffe auf die anrückende Spezialeinheit des Militärs, GEO, ab. Deren »Bleibt ruhig, nicht schießen!« stieß auf taube Ohren. Mitten in dem heftigen Feuergefecht sprang die Tür des Hospitals auf, in dem Correa zwölf Stunden lang festgehalten worden war. In einem Rollstuhl und umgeben von menschlichen Schutzschilden schoben Sicherheitsleute den Regierungschef in einen Geländewagen und rasten davon. Der sichtlich aufgewühlte Präsident zeigte sich wenig später auf dem Balkon des Regierungspalastes Carondelet, auf dessen Vorplatz sich Tausende Regierungsanhänger versammelt hatten. Den Tränen nahe verurteilte er den »Versuch eines Staatsstreichs« und kündigte ein hartes Vorgehen »ohne Gnade« gegen die Verantwortlichen und Drahtzieher an.

Ecuadors Staatschef beschuldigte Expräsident Lucio Gutiérrez der Konspiration. Der Militär, der sich zum Zeitpunkt der Unruhen als Wahlbeobachter in Brasilien aufhielt, saß 2003 bis 2005 im Regierungspalast. Am Inter-American Defense College in Washington bildete er sich zuletzt in »internationalen Beziehungen und Verteidigungsstrategie« weiter. »Hinter all dem steckt der ›Gutierrismo‹. Sie haben es geschafft, die Polizei zu infiltrieren, sie sind Experten in Geheimdienstfragen«, erklärte Correa. Im Fernsehen zeigte er Fotos eines Gutiérrez nahestehenden Rechtsanwalts im Gespräch mit einem führenden Funktionär der Polizeigewerkschaft, der später in einem Video bei den Polizeiprotesten in Quito zu sehen war.

* Aus: junge Welt, 4. Okt. 2010


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