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"Ecuador leistet mit seinem Moratorium wichtige Pionierarbeit"

Jürgen Kaiser über die Signalwirkung der politischen Schuldendienstverweigerung

Jürgen Kaiser ist politischer Koordinator der Organisation »Erlassjahr«, die sich für Schuldenerleichterungen zugunsten der Entwicklungsländer einsetzt. Er war Mitglied der staatlichen Untersuchungskommission zu den Schulden Ecuadors. Ecuadors linker Präsident Rafael Correa hat einen Teil des Schuldendienstes gestoppt, obwohl das Land zahlungsfähig ist. Über diesen Präzedenzfall sprach mit Kaiser ND-Mitarbeiter Harald Neuber.*



ND-Neues Deutschland: Ecuador hat unlängst ein Moratorium seiner Zahlungen auf Staatsanleihen verkündet. Ist das legal?

Kaiser: Wie jeder Schuldner ist auch Ecuador zunächst verpflichtet, seine aufgenommenen Kredite mitsamt Zinsen zurückzuzahlen. Andererseits verlaufen Kreditgeschäfte nicht immer reibungslos. Auch bei uns in Deutschland sind Insolvenzen an der Tagesordnung. Ebenso mussten in der Vergangenheit auch Staaten Bankrott anmelden.

Wobei Ecuador seine Ausstände durchaus begleichen könnte. Die Regierung von Präsident Rafael Correa erkennt aber die Legitimität der Schulden nicht an. Ein wichtiger Unterschied.

In der Tat hat das eine neue Qualität. Die Forderung nach einer Revision der Auslandsschulden war schon während der Wahlkampagne von Rafael Correa ein wichtiges Thema. Er versprach, nicht einfach weiterzuzahlen, wie das die Staatsführungen vor ihm gemacht haben. Im vergangenen Jahr hatte er die Prüfungskommission eingesetzt, der ja auch ich angehörte. Wir haben empfohlen, eine Reihe von Zahlungen auszusetzen, weil es entweder bei der Vergabe, bei der Projektumsetzung oder bei der Umschuldung zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist.

Zum Beispiel?

Ein Beispiel sind die »Global-15-Bonds«. Diese Staatsanleihen resultieren aus der Umschuldung alter Bankforderungen aus den 1970er Jahren. Diese Bankforderungen gingen ihrerseits auf die so- genannte »Sucretización« zurück. Dabei sind in Dollar verzeichnete Auslandsschulden in die Landeswährung Sucre umgeschrieben worden. Das geschah zu einem für die privaten Banker sehr positiven Kurs. Einige dieser Umschuldungen sind zudem von Staatsvertretern unterzeichnet worden, die dazu gar nicht autorisiert waren, etwa einer Konsulin in Washington.

Nun hat es den Anschein, dass Ecuador die Vorteile aus dem Geschäft mit den Staatsanleihen gezogen hat, seine Verpflichtungen aber nicht erfüllen will. Bringt der Schritt nur Vorteile für die Regierung in Quito?

Ecuador hat zunächst nur die Zahlung einer Zinsrate auf die erwähnten »Global-15-Bonds« eingestellt. Durch die geltenden Reglements werden dadurch aber alle Globalanleihen sofort fällig. Zu diesen immensen Zahlungen ist Ecuador natürlich nicht in der Lage.

Droht Ecuador nun eine Kreditklemme?

Das behaupten die Gläubiger. Tatsächlich war Ecuador schon vor dem Moratorium so schlecht eingestuft, dass es 15 bis 20 Prozent Zinsen hätte bezahlen müssen. Nun ist das Land noch etwas schlechter eingestuft worden, reale Auswirkungen hat das aber nicht. Diese Einstufung der Kreditwürdigkeit ist ohnehin nur ein Mittel, um Entwicklungs- und Schwellenländer von mutigen Schritten abzuhalten, wie sie Ecuador nun unternimmt.

Hat der Ansatz Aussichten auf Erfolg?

Auf jeden Fall, denn die Regierung in Quito versucht nichts anderes, als Bestimmungen zum Schuldnerschutz, die im nationalen Kreditgeschäft selbstverständlich sind, international durchzusetzen. Demnach müssten Kredite anfechtbar sein, wenn sie durch Korruption beeinflusst wurden oder wenn es ein Fehlverhalten der Gläubiger gegeben hat. Es geht um Regeln, die für einen funktionierenden Finanzmarkt essenziell sind: Dass es verbindliche Verhaltensgrundsätze gibt und nicht einfach jeder an jeden Geld verleiht. Dies versucht Quito in einem recht tapferen Schritt in das internationale Finanzwesen einzuführen.

Ecuadors Auslandsschulden betreffen auch Venezuela, das für einen Teil der Ausstände Quitos gebürgt hat. Kann der Kampf gegen illegitime Schulden überhaupt als Einzelstaat sinnvoll geführt werden?

Wirtschaftlich muss das so sein, weil es einen Schuldner, das Land, und die Gläubiger gibt. Deswegen halte ich den Aufbau einer Front der verschuldeten Staaten für schwierig. Die Frage ist, ob die Verhandlungen zwischen den verschuldeten Staaten und den Gläubigern transparent gestaltet werden. Oder ob die Staaten des Nordens weiter Gläubiger und Richter in einem sind.

Bietet die neue Schuldenpolitik Ecuadors Möglichkeiten, Entwicklungs- und Schwellenstaaten von den Folgen der Weltwirtschaftskrise zu schützen?

Auf jeden Fall. Mehrere Staaten, die in den vergangenen Jahren eine weitgehende Streichung ihrer Auslandschulden erhalten haben, mussten inzwischen wieder Kredite aufnehmen. Diese Länder sind durch einen Prozess der Entschuldung gegangen. Nun wird ihnen aber keine Chance auf weitere Schuldenerleichterungen gegeben, obwohl sie wieder am Rande der Insolvenz stehen. Dass dieses Dilemma von Ecuador auf die internationale Agenda gesetzt wird, ist deswegen gut und wichtig. Die Regierung in Quito plädiert für ein Forum, in dem Schuldner und Gläubiger beraten, wie Zahlungsmöglichkeiten und -verpflichtungen künftig gestaltet werden können. An dieser Stelle leistet Ecuador eine wichtige Pionierarbeit.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Januar 2009


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