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Etappensieg für Ecuadors Präsidenten

Knappe Mehrheit im Kongress macht Weg für eine verfassunggebende Versammlung frei

Von Tommy Ramm, Bogotá *

Nach wochenlangen Straßenprotesten gab der ecuadorianische Kongress am Dienstag grünes Licht für ein Referendum zu einer verfassunggebenden Versammlung, die das Land politisch reformieren soll. Für Präsident Rafael Correa ein wichtiger Sieg, der ihm aber politische Zugeständnisse abverlangte.

Der Termin steht fest: Am 15. April wird in Ecuador eine Volksabstimmung über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung stattfinden. Damit reagierte das Oberste Wahlgericht postwendend auf die Entscheidung des Kongresses, des ecuadorianischen Ein-Kammer- Parlaments, den Weg für ein derartiges Referendum freizumachen.

Die Abgeordneten des 100 Sitze umfassenden Parlaments standen unter zweifachem Druck. Anfang Februar wurde der Kongress durch aufgebrachte Demonstranten besetzt. Die Sitzungen mussten daraufhin unter Polizeischutz stattfinden. Der linksgerichtete Präsident Rafael Correa hatte zudem gedroht, auch ohne die Zustimmung des Kongresses eine verfassunggebende Versammlung durchzusetzen.

Correa rückte von seiner Drohung schnell ab, da dieser Zug als nicht verfassungskonform eingeschätzt wurde, und bevorzugte schließlich den Stimmenfang im oppositionell dominierten Kongress. Mit Erfolg: Die oppositionelle Partei der Patriotischen Gesellschaft (PSP) des früheren Präsidenten Lucio Gutiérrez, die bei den Kongresswahlen im Oktober letzten Jahres überraschend 24 Sitze gewonnen hatte, stimmte neben einigen christdemokratischen Abgeordneten und mehreren kleinen Linksparteien für das Projekt, wodurch Correa die erforderliche einfache Mehrheit erreichte. Vor der Stimmabgabe verließen die restlichen oppositionellen Abgeordneten aus Protest den Kongress. Insgesamt sprachen sich 54 der nur 57 anwesenden Abgeordneten für eine Volksabstimmung aus. Diese soll den Weg zur Verabschiedung einer neuen Verfassung frei machen, die sich der im Dezember gewählte Rafael Correa als oberstes politisches Ziel gesetzt hat.

Der Sieg kostete Correa jedoch politische Zugeständnisse. Noch vor knapp zwei Jahren unterstützte Correa tatkräftig den Sturz von Lucio Gutiérrez, der als ehemaliger Oberst das Land für kurze Zeit regiert und die in ihn gesetzten Hoffnungen auf sozialen Wandel enttäuscht hatte. Nun hat er Gutiérrez wieder zurück auf die politische Bühne katapultiert, nachdem beide inoffiziell politische Abkommen abgeschlossen haben sollen. Ministerpräsident Gustavo Larrea und die PSP-Spitze hätten demnach ausgehandelt, dass Gutiérrez trotz eines Verbots jeglicher politischer Betätigung durch das Oberste Wahlgericht an den bevorstehenden Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung teilnehmen darf. Correa erklärte zwar, dass es keine Absprachen mit der PSP gegeben habe und die Teilnahme von Gutiérrez aussichtslos sei. Der Erfolg bei der Abstimmung spricht allerdings eine andere Sprache. Wenige Tage zuvor unterstützte die Regierung die Ernennung eines PSP-Mitglieds zum Präsidenten des Obersten Wahlgerichts, was die Chancen auf die Annullierung des Betätigungsverbots für Gutiérrez sicherlich begünstigt.

Während Lucio Gutiérrez danach strebt, durch die verfassunggebende Versammlung seinen eigenen politischen Neubeginn zu fördern, hofft Correa auf eine Auflösung des oppositionsbestimmten Kongresses, um das Machtverhältnis zu seinen Gunsten verschieben zu können. Zwar gaben die Abgeordneten am Dienstag grünes Licht für eine Versammlung mit allen Vollmachten samt Volksabstimmung, doch sollen die Ergebnisse der Kongress- und Präsidentschaftswahlen des vergangenen Jahres respektiert werden. Das bedeutet, dass die verfassungsgebende Versammlung weder Correa absetzen noch den Kongress auflösen kann.

Correa will mit einer neuen Verfassung die heute geltende aus dem Jahr 1997 ablösen, die wirtschaftlich einen neoliberalen Kurs fördert und eine Politisierung der staatlichen Strukturen erlaubt. Postenschacher, Korruption und Reformstarre waren die Folgen, die in den letzten Jahren mehrfach zu tiefen politischen Krisen in Ecuador geführt haben. Neben einer angepeilten Nationalisierung der umfangreichen Energieressourcen fordern soziale Bewegungen eine umfassende Agrarreform, um die große Armut im Land zu bekämpfen. Präsident Correa hat sich zu ihrem Fürsprecher gemacht. Einen Schritt ist er mit dem Referendum nun weiter, doch noch viele gilt es zu gehen.

Aus: Neues Deutschland, 15. Februar 2007


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