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Reise mit Zielen in Südamerika

Ein Exil Edward Snowdens in Ecuador käme der Regierung Correa gelegen

Weltweite Suche nach "Whistleblower" / Ein Exil Edward Snowdens in Ecuador käme der Regierung Correa gelegen / Heike Hänsel: "Schutz und Solidarität" Von Harald Neuber *

Kuba, Ecuador und Venezuela: Die mögliche Fluchtroute des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden führt über die Karibik und Südamerika.

Wahrscheinlich ist derzeit, dass der 30-jährige IT-Spezialist im südamerikanischen Ecuador Zuflucht findet. Dessen Außenminister Ricardo Patiño verteidigte zu Wochenbeginn die grundsätzlich positive Haltung seiner Regierung zu einem Asylantrag.

Die lateinamerikanischen und karibischen Staaten sehen in dem Fall eine willkommene Revanche. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gab es kaum einen rechten Diktator, gescheiterten Putschisten oder militanten Gegner linksgerichteter Regierungen aus der Region, der nicht von den USA aufgenommen worden wäre. Nun drehen diese Staaten den Spieß um: Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño gab während eines Vietnam-Besuchs am Sonntag über den Kurznachrichtendienst Twitter bekannt, dass seine Regierung ein Asylantrag Snowdens erreicht habe.

Snowden wäre der zweite Aktivist, der von Ecuador aufgenommen würde. Vor einem Jahr bereits hatte sich der australische Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange in die ecuadorianische Botschaft in London geflüchtet. Dort sitzt er bis heute fest, weil die britischen Behörden ihm die Ausreise verweigern. Vor wenigen Tagen erst hatten Ecuador und Großbritannien eine Expertenkommission eingesetzt, um das diplomatische Problem um den Fall Assange zu lösen.

Am Montag nun nahm Patiño ausführlicher zu dem Antrag Snowdens Stellung. Bei einer Pressekonferenz in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi verteidigte der Diplomat erneut die Bereitschaft seines Landes, den 30-jährigen Whistleblower aufzunehmen. Snowden habe sich in einem Brief an Präsident Correa gewandt und seinen Asylantrag mit der zu erwartenden politischen Verfolgung in den USA begründet, so Patiño. Negative Konsequenzen im Verhältnis mit Washington erwarte man nicht, fügte er selbstbewusst an. Jedwede Entscheidung müsse sich »auf Respekt und die Souveränität beider Staaten sowie auf die Prinzipien des Völkerrechts stützen«.

Natürlich aber hat der Streit zwischen den USA und lateinamerikanischen Staaten um den Flüchtling Snowden auch eine starke politische Komponente. Die Aufnahme des US-kubanischen Terroristen Luis Posada Carriles, der unbehelligt in Miami, Florida, lebt, belastet das Verhältnis Washingtons zu Kuba und Venezuela seit Jahren. Im Fall Ecuadors schützen die US-Behörden den 2000 gestürzten Präsidenten Jamil Mahuad (1998-2000), der in seinem Heimatland wegen Korruption und Menschenrechtsverbrechen vor Gericht gestellt werden soll.

In westlichen Medien wird indes Ecuador als wahrscheinliches Zielland Snowdens kritisch hinterfragt. Die Regierung Correa befindet sich seit Jahren im Dauerclinch mit privaten Medienkonzernen, die sich ebenso wie in Venezuela und Bolivien mehr als politische Akteure denn als unabhängige Medien verstehen. Als das rechtsgerichtete Kampfblatt »El Universo« den Staatschef 2010 nach einem gescheiterten Putschversuch gegen dessen Regierung des mehrfachen Mordes beschuldigte, holte die Regierung zum juristischen Gegenschlag aus. Sie erwirkte empfindliche Strafen gegen die Verantwortlichen. Der Fall wird bis heute als Beleg für die vermeintliche Unterdrückung der Pressefreiheit in Ecuador angeführt. Dass sich Assange und Snowden ausgerechnet dieses Land als Exil ausgesucht haben, dürfte der Regierung vor dem Hintergrund dieser Debatte gelegen kommen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 25. Juni 2013

Schutz und Solidarität

Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, erklärte am Montag in einer Presseerklärung anläßlich der Jagd der US-Regierung auf den Enthüller Edward Snowden:

Whistleblower wie Edward Snowden, Julian Assange und Bradley Manning brauchen internationalen Schutz und unsere Solidarität. Statt diejenigen zu verfolgen, die wertvolle Informationen über Rechtsbrüche ihrer Regierungen öffentlich machen, sollten die Rechtsbrüche und Kriegsverbrechen im Rahmen der Überwachungs- und Kriegspolitik der USA verfolgt werden. Edward Snowden hat die umfassendste und weitreichendste Überwachung der Privatsphäre von Millionen Menschen in der Geschichte aufgedeckt, Bradley Manning hat Kriegsverbrechen seiner Regierung im Irak bekanntgemacht – dafür gebührt ihnen Unterstützung, nicht strafrechtliche Verfolgung, während die Verantwortlichen Blair und Bush für völkerrechtswidrige Interventionskriege ungeschoren davonkommen. Die Bundesregierung sollte sich ein Beispiel an dem mutigen Schritt Ecuadors für die Freiheit und das politische Asyl für Whistleblowers nehmen. Darüber hinaus erwartet Die Linke rechtliche Initiativen der Bundesregierung zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger vor der illegalen Überwachung durch britische und amerikanische Geheimdienste.



Herr Snowden, bitte zu Gate ...

Statt des Gesuchten flogen 30 Journalisten nach Havanna

Von Irina Wolkowa, Moskau **


Montag 14.45 Uhr Ortszeit (12.45 Uhr MESZ) hob die Linienmaschine der Aeroflot nach Havanna vom Moskauer Flughafen Scheremetjewo ab. Journalisten kamen an Bord, nicht aber Herr Edward Snowden.

Snowden hatte Sonntag in Hongkong eine Aeroflot-Maschine nach Moskau bestiegen. Hunderte Journalisten erwarteten ihn am frühen Abend im Ankunftsterminal von Scheremetjewo. Immerhin hatten mehrere Duma-Abgeordnete sich bereits für Asyl ausgesprochen, sich dabei jedoch gegen Unterstellungen verwahrt, es handle sich um einen Racheakt im Stil des Kalten Krieges. Ein etwaiger Asylantrag Snowdens werde geprüft, sagte später der Sprecher von Präsident Wladimir Putin.

Doch noch bevor das Flugzeug mit dem potenziellen Bittsteller seinen endgültigen Standplatz erreicht hatte, stand dort schon ein Fahrzeug der Botschaft Ecuadors in Russland. Snowden hatte die südamerikanische Republik, in deren Londoner Botschaft schon Wikileaks-Gründer Julian Assange einen sicheren Hafen fand, um Asyl gebeten.

Die USA hatten am 14. Juni gegen Snowden Anklage erhoben, US-Außenminister John Kerry hatte Russland wie China mit »Konsequenzen« für das bilaterale Verhältnis wegen der Causa Snowden gedroht. Washington, so zitierte die Nachrichtenagentur RIA Nowosti auch die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, erwarte, dass die russische Regierung »alle möglichen Varianten in Betracht zieht, damit Snowden seiner Heimat übergeben wird«. Ob eine offizielle Anfrage vorliegt, ließen russische Medien unklar.

Und selbst wenn: Russland habe keine Veranlassung, den Transitpassagier Snowden festzunehmen, erklärten die Rechtschutzorgane auf Anfrage der Nachrichtenagentur Interfax. Snowden habe den Transitbereich von Scheremetjewo, der als exterritorial gilt, bisher nicht verlassen, er könne sich dort unbegrenzt aufhalten, sagte eine Flughafensprecherin. Im Transitbereich befindet sich auch das Hotel, in dem Snowden nächtigte.

Doch offenbar hätte er auch bei einer Einreise nach Russland kein Fracksausen bekommen müssen: Snowden habe auf russischem Gebiet keine Verbrechen begangen, von Interpol liege bisher auch kein Ersuchen vor, ihn festzunehmen, hieß es bei den Rechtschutzorganen in Moskau weiter.

Russland könne ihn ausliefern, müsse aber nicht, sagte auch Wladimir Lukin, der Beauftragte für Menschenrechte beim russischen Präsidenten, der Nachrichtenagentur Interfax. Beide Staaten hätten kein Abkommen zur Auslieferung von Verbrechern und Verdächtigen. Washington, orakelte daher die amtliche Nachrichtenagentur ITAR-Tass, könne während Snowdens Flug nach Kuba zu »ungewöhnlichen Maßnahmen« greifen: Die Strecke läge zum Teil im Zuständigkeitsbereich US-amerikanischer Fluglotsen. Man wird sehen. Heute startet erneut eine Aeroflot-Maschine nach Havanna.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 25. Juni 2013


Snowden offline

Verschwunden in Moskau: Weltweite Suche nach »Whistleblower«. Flug nach Havanna ging ohne früheren US-Geheimdienstmitarbeiter ab. Ecuador prüft Asylantrag

Von André Scheer ***


Sie hatten auf die absolute Topstory gehofft, ein Exklusivinterview mit dem »Whistleblower« Edward Snowden. Zahlreiche Journalisten internationaler Presseagenturen hatten sich am Montag kurzfristig in den am Mittag aus Moskau nach Havanna startenden Direktflug der russischen Airline Aeroflot eingebucht. Leider mußten sie beim Start feststellen, daß entgegen ihren Vermutungen Snowden doch nicht an Bord war. Zu spät, vor den verhinderten Berichterstattern lagen gut zwölf Stunden Flug in die kubanische Hauptstadt. Runterspülen konnten sie ihren Ärger nicht, seit 2010 verkauft Aeroflot auf Flügen nach Havanna keinen Alkohol mehr.

Von dem früheren Angestellten der US-Geheimdienste CIA und NSA hingegen fehlte am Montag jede Spur, während Quito, Moskau und Peking den USA auf der Nase herumtanzten. Snowden hatte seinen ersten Zufluchtsort Hongkong am Sonntag mit einer Linienmaschine der Aeroflot verlassen. Das bestätigte Peking fünf Stunden nach dem Start des Flugzeugs, als dieses den chinesischen Luftraum verlassen hatte. Aeroflot ihrerseits bestätigte nach der Landung in Moskau, daß ein Passagier dieses Namens an Bord gewesen sei. Mehr war offiziell nicht zu erfahren.

Am Nachmittag meldete sich der Mitbegründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange, telefonisch aus der ecuadorianischen Botschaft in London zu Wort. Er wisse, wo sich Snowden und die diesen begleitende Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrrison aufhielten, beiden gehe es gut und sie seien in Sicherheit. Snowden habe von Ecuador einen Flüchtlingspaß erhalten. Assange vermied jedoch Aussagen darüber, in welchem Land sich dieser aufhalte. Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño hingegen hatte zuvor bei einer Pressekonferenz in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi bestätigt, daß sich Snowden in Rußland aufhalte. Quito stehe in »diplomatischem und respektvollem Kontakt« mit den russischen Behörden und habe diese darüber informiert, daß man dessen Asylantrag prüfe. »In diesem Fall stellen wir das Prinzip der Menschenrechte über andere Erwägungen. Die USA sollten den Bürgern der Welt lieber Erklärungen über die Spionagevorwürfe des Herrn Snowden geben«, wies der Außenminister Drohungen aus Washington zurück. Zudem verlas er ein Schreiben Snowdens an den ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa mit der Bitte um Asyl, weil er in den USA als »Verräter« vorverurteilt worden sei. »Mein Fall ähnelt dem des Soldaten Bradley Manning«, heißt es in dem Schreiben. Ihm drohten lebenslange Haft oder das Todesurteil.

US-Außenminister John Kerry warnte derweil, es wäre »sehr beunruhigend«, falls China und Rußland »wissentlich gesetzliche Standards ignoriert« und Snowden nicht aufgehalten hätten. Beide Länder seien verpflichtet, den Gesuchten an Washington auszuliefern. Alles andere werde Auswirkungen auf die Beziehungen zu beiden Ländern haben, drohte Washing­tons Chefdiplomat.

Edward Snowden war am 9. Juni an die Öffentlichkeit getreten, nachdem er zuvor dem britischen Guardian und der US-amerikanischen Washington Post geheime Dokumente zugespielt hatte, die eine millionenfache Überwachung der Internet- und Telefonkommunikation durch die US-Geheimdienste belegten. Am Wochenende legte er nach und beschuldigte den britischen Geheimdienst GCHQ, den gesamten Datenverkehr zwischen Europa und Amerika zu kontrollieren (jW berichtete).

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 25. Juni 2013


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