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Obama machtlos im Fall Snowden

Ekuador kündigte einseitig Zollabkommen mit den USA wegen »Erpressung« im Fall Snowden

Von John Dyer, Boston *

US-Kongressmitglieder drohten Ekuador mit wirtschaftlichen Konsequenzen, sollte das Land Edward Snowden Asyl anbieten. Darauf kündigte Quito selbst das Zollabkommen.

Die US-amerikanische Regierung stößt im Tauziehen um die Auslieferung des Geheimdienstinformanten Edward Snowden an die Grenzen ihrer Macht. Gegenüber dem kleinen Andenstaat Ekuador, wo sich der »Whistleblower« um Asyl bemüht, schlug man harte Töne an, drohte mit Entzug von Wirtschaftshilfe.

Ekuador konterte gestern und verzichtete selbst demonstrativ »unilateral und unwiderruflich auf Zollvergünstigungen«. Die Handelserleichterungen hätten sich »zu einem neuen Erpressungsinstrument« entwickelt, erklärte Informationsminister Fernando Alvarado laut Berichten aus Quito. Ekuador akzeptiere weder Druck noch Drohungen.

Der demokratische Senator Robert Menendez aus New Jersey hatte sich unverhüllt für Wirtschaftssanktionen ausgesprochen. Der Vorsitzende des einflussreichen Auswärtigen Ausschusses sagte, er könnte die Erneuerung des Wirtschaftspaktes mit dem Andenstaat blockieren, wenn Ekuador Snowdens Asylgesuch nicht ablehne.

Der Vertrag soll dazu dienen, die ekuadorianischen Exporte in die USA anzukurbeln und den Bauern dort Anreize zu geben, kein Kokain für den illegalen Export zu produzieren. »Unsere Regierung wird Länder nicht für schlechtes Benehmen belohnen«, erklärte Senator Menendez.

Ekuadors Außenminister Ricardo Patiño, derzeit auf einer Asienreise, versicherte, der Asylantrag Snowdens werde ernst genommen und aufmerksam geprüft. Im Fall der Asylgewährung für den Wikileaks-Gründer Julian Assange hatte die Prüfung mehrere Monate gedauert.

Gegenüber Russland bemüht sich Außenminister John Kerry um moderate Töne, verlegt sich auf Bitten und Appelle, um gemeinsame Projekte wie die Syrien-Politik nicht zu gefährden. »Wir suchen keine Konfrontation«, sagte Kerry. »Wir geben niemandem einen Befehl. Wir bitten einfach in einem sehr normalen Verfahren um die Überstellung von Jemandem.«

Keine der Strategien scheint zu verfangen. Die Kritik an Präsident Barack Obama nimmt zu. Konservative ärgert die offenkundige Machtlosigkeit Obamas. »Vor dem Typ hat doch keiner Angst«, sagt Eliot Cohen, einst außenpolitischer Berater von Präsident George W. Bush. »Niemand sieht echte Konsequenzen, wenn man ihm in die Quere kommt. Das ist eine scheußliche Lage für den Präsidenten der Vereinigten Staaten.«

Unparteiische außenpolitische Experten wie Micah Zenko vom angesehenen Council on Foreign Relations (Rat für auswärtige Beziehungen) in Washington sehen ein grundsätzliches Problem aller US-Präsidenten. Die Öffentlichkeit wäre erstaunt, wenn sie wüsste, wie schwierig solche diplomatischen Verhandlungen seien.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 28. Juni 2013


Mehr Kritik an massiver Überwachung

US-Medienexperte Norman Solomon über Auswirkungen der Enthüllungen Edward Snowdens **

Norman Solomon ist US-amerikanischer Journalist, Medienkritiker und Antikriegs-Aktivist. Er ist Mitbegründer der Organisation RootsAction.org, von der die Petition »Mr. President, Hands Off Edward Snowden« (Herr Präsident: Hände weg von Edward Snowden) verfasst und verbreitet wird. Mit ihm sprach für »nd« Harald Neuber.

Herr Solomon, der Fall des US-Geheimdienstenthüllers Edward Snowden erregt weltweit Aufmerksamkeit. Wie wird sein Handeln in den USA gesehen?

Am Mittwoch hat die Nachrichtenagentur Reuters eine Meinungsumfrage veröffentlicht. Darin hieß es: »Die Amerikaner sehen in Edward Snowden nach wie vor eher einen Patrioten als einen Verräter.« Zugleich heißt es darin, dass der Rückhalt für ihn in den USA im Laufe der vergangenen Woche abgenommen hat. Mehr als ein Viertel der Befragten sagten, dass Snowden die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen sollte. Das sind immerhin drei Prozent mehr als in der Vorwoche. Gut ein Drittel meinen, er sollte nicht verfolgt werden. Letzte Woche waren das noch 40 Prozent.

Zeigen sich hier erste Effekte einer Medienkampagne der Regierung?

Sehen Sie, die ersten Reaktionen der US-amerikanischen Öffentlichkeit waren tatsächlich weitgehend positiv. Seine Enthüllungen haben viele US-Amerikaner wütend gemacht oder zumindest beunruhigt. Seitdem haben führende Regierungsvertreter Snowden mit Anschuldigungen überhäuft, ihn als »Verräter« oder »Vaterlandsverräter« diffamiert. US-Medien, vor allem die über das Kabelnetz verbreiteten privaten TV-Kanäle, haben dies mit einer ziemlich einseitigen Negativ-Berichterstattung unterstützt.

Dennoch ist die Unterstützung für Snowden nach wie vor groß, wenn man bedenkt, dass er der Spionage angeklagt ist.

Daher auch die harschen Worte führender US-Politiker und Senatoren gegen China und Russland?

Zunächst richtete sich die Wut Washingtons allein gegen Snowden und seine mutige Enthüllung des Überwachungsstaates, den die Obama-Regierung mit der Komplizenschaft des Kongresses errichtet hat. China und Russland kamen erst ins Visier, als sie der Aufforderung zur Auslieferung nicht nachgekommen sind. Das ist ein Kampf. Ich musste dieser Tage öfter an ein Wort von Albert Camus denken: »Von nun an wird der einzig ehrbare Weg darin bestehen, alles mit der Annahme auf eine Karte zu setzen, dass Worte mächtiger als Waffen sind.«

Die politische und mediale Diskussion ist auf die Person Edward Snowden konzentriert, nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Inwieweit lenkt das vom eigentlichen Thema seiner Enthüllungen ab: der Überwachung durch Geheimdienste?

Ich denke, dass die Berichterstattung mehrere Phasen durchläuft. In den ersten Tagen nach der Veröffentlichung haben sich die Berichterstattung und damit auch der öffentliche Unmut durchaus gegen die US-Überwachungsprogramme gerichtet. Der Fokus auf Snowden ist bedauerlich, aber verständlich. Langfristig betrachtet, wird es in den USA, in Deutschland und anderen Ecken der Welt darum gehen, den USA in unmissverständlicher Weise klarzumachen, dass die massive Überwachung nicht akzeptabel ist und dass diese Politik geändert werden muss.

Sie gehören zu den Initiatoren einer Petition mit dem Titel »Hände weg von Edward Snowden«. Inwieweit lässt sich die Regierung von Präsident Barack Obama davon beeindrucken?

Natürlich bleiben solche Maßnahmen nicht ohne Wirkung auf die Politik der Obama-Regierung. Die derzeitigen Reaktionen und die erwähnte Kampagne gegen Edward Snowden lassen aber darauf schließen, dass Obama und andere führende Politiker diese öffentliche Meinung zu umschiffen versuchen. Es ist ein Kräftemessen. Deswegen haben wir unter anderem die Internetseite SupportEdwardSnowden.org eingerichtet.

Dennoch: Wo bleibt die Debatte über die geheimdienstliche Überwachung in den USA?

In diesem Monat gab es mehr kritische Reflexionen über dieses Thema in den US-Medien als in jedem anderen Monat in der jüngeren Vergangenheit. Ob das eine langfristige Auswirkung hat, vermag ich jetzt noch nicht zu sagen.

Wie andere Aktivisten haben auch Sie darauf hingewiesen, dass die derzeitige Verfolgung Edward Snowdens durch die US-Führung darauf angelegt ist, ein Klima der Angst für politisch Aktive und Journalisten zu schaffen. Wären Watergate-Informant Mark Felt oder die Enthüllungsjournalisten Bob Woodward und Carl Bernstein heute auch auf der Flucht?

Das heutige Ausmaß der Regierungsüberwachung und die offene Ausübung von politischem Druck hätten in den siebziger Jahren sicherlich eine sehr abschreckende Wirkung gehabt. Damals waren die Einschüchterungsversuche plumper und weniger systematisch.

Die Ironie der Geschichte ist aber, dass Watergate-Journalist und Pulitzer-Preisträger Woodward heute ein Nutznießer »offizieller Leaks« ist. Ihm werden also von der Obama-Regierung selbst geheime Informationen zugespielt, die die Regierung in einem guten Licht erscheinen lassen. So gesehen ist Woodward heute selbst Teil des lenkenden Überwachungsstaates. Whistleblower wie Edward Snowden oder Bradley Manning aber werden verfolgt.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 28. Juni 2013


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