Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Parlament oder Präsident

Ecuador wählt am Sonntag eine verfassunggebende Versammlung

Von Harald Neuber *

Vor der Wahl einer verfassunggebenden Versammlung in Ecuador hat Präsident Rafael Correa alles auf eine Karte gesetzt. Wenn seine Partei País am Sonntag nicht die absolute Mehrheit von 66 der 130 zu vergebenden Sitze in dem Konvent erobere, trete er von dem höchsten Staatsamt zurück, kündigte der Linksreformer an. Er spitzte damit einen seit seiner Wahl vor einem Jahr schwelenden Konflikt mit dem oppositionell dominierten Kongreß in Quito zu. Die 9,3 Millionen Wahlberechtigten des 13,5.-Millionen-Einwohner-Landes werden nun nicht nur über die Zusammensetzung des Verfassungsgremiums entscheiden. Sie wählen zwischen dem Präsidenten und dem Parlament.

Denn sollte sich der 44jährige ehemalige Wirtschaftsminister durchsetzen, würde der Kongreß aufgelöst. Ab dem 30. Oktober würde dann die verfassunggebende Versammlung in der Küstenstadt Montecristi die Geschäfte weiterführen. Die neue Verfassung stünde frühestens nach sechs Monaten in einem Referendum zur Wahl.

Unabhängig vom Ausgang wird am Sonntag ein seltsames Patt überwunden. Denn Correas Partei hatte für die Wahl vor einem Jahr keine Kandidaten für das Parlament nominiert. Von Beginn an hat Correa keinen Hehl daraus gemacht, daß er die politische Klasse des südamerikanischen Landes für korrupt hält und das demokratische System von Grund auf erneuern will. Die vergangenen acht Monate waren daher von einen ständigen Konflikt zwischen dem Präsidenten und der Legislative bestimmt. Regierungsfähig war Correa durch den Dauerkonflikt in dieser Zeit kaum.

Die Abgeordneten laufen gegen die Einsetzung einer verfassunggebenden Versammlung Sturm. Der Parlamentsvorsitzende Jorge Cevallos erklärte die vorhergesagte Auflösung der Legislative schlichtweg für illegal – obwohl die Verfassung dieses Vorgehen vorsieht. Die oppositionellen Parteien haben folglich wenig in der Hand, zumal 82 Prozent der Wahlteilnehmer in einer Volksbefragung der Einberufung des Verfassungskonvents zugestimmt haben.

Die Chancen stehen also gut für eine konstitutionelle »Neugründung« Ecuadors – wie sie mit mehr oder weniger großen Widerständen der Eliten auch in Venezuela und Bolivien vorgesehen ist. In Anlehnung an das venezolanische Konzept eines »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« will Correa auch in Ecuador die repräsentative Demokratie durch mehr direkte Bürgerbeteiligung ergänzen. Geplant ist auch eine stärkere Kontrolle ausländischer Konzerne.

Der Kritik der Opposition schenkte Correa kein Gehör. Die Parteien verträten keine Ideologie mehr, sagte er, sie seien »mafiöse Strukturen«. Ihre Aufgabe sei es, die Interessen des jeweiligen Chefs zu verteidigen. In der Bevölkerung, die in den vergangenen Jahren drei seiner Vorgänger durch Massenproteste gestürzt hat, scheint er damit anzukommen. Laut Innenminister Gustavo Larrea erwartet die Regierung »zwischen 66 und 72 Sitzen« in der verfassunggebenden Versammlung. Behält er recht, könnte Präsident Correa mit Arbeitsbeginn des Konvents Ende Oktober tatsächlich beginnen zu regieren – ein Jahr nach seiner Wahl.

* Aus: junge Welt, 29. September 2007


Zurück zur Ecuador-Seite

Zurück zur Homepage