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Indigene Rechte gehören gestärkt

Mónica Chuji über den Prozess der Verfassunggebenden Versammlung in Ecuador

Mónica Chuji, 33, war von Januar bis Mai 2007 in Ecuador Kommunikationsministerin im Kabinett von Rafael Correa und Regierungssprecherin. Sie legte ihre Ämter nieder, um auf der Regierungsliste Alianza País für die Verfassunggebende Versammlung zu kandidieren, wo sie seit Anfang Dezember 2007 Vorsitzende der Arbeitsgruppe Nr. 5 zum Thema »natürliche Ressourcen und Biodiversität« ist. Mónica Chuji ist Kichwa aus der Amazonasregion Ecuadors und Mitglied der Indigenendachorganisation CONAIE. Mit ihr sprach Leonie Fuhrmann.



Neues Deutschland: Ihre Arbeitsgruppe (AG) in der Verfassunggebenden Versammlung (VV) kümmert sich um das Thema »natürliche Ressourcen und Biodiversität«. Dabei soll die Stimme der ecuadorianischen Bevölkerung einbezogen werden. Von welchen sozialen Gruppen hat Ihre AG denn bisher Vorschläge und Forderungen vorgetragen bekommen?

Mónica Chuji: Zu unserer AG sind vor allem unzählige Bergbaugesellschaften gekommen. Weniger stark vertreten waren andere organisierte Sektoren der Zivilgesellschaft, und das macht uns ein bisschen Sorgen. Sehr schwach waren bisher die Bauern- und die indigenen Organisationen vertreten, die Afros und die Jugend. Wir würden es diesen sozialen Gruppen gern einfacher machen, ihre Sicht der Dinge vorzustellen.

Kann denn die massive Präsenz von Konzernen am Versammlungsort in Montecristi zu einer Schräglage in der neuen Verfassung führen?

Das glaube ich nicht. Die indigene Bewegung, die sozialen Organisationen und die Bewegung der Afros haben in den letzten zehn Jahren einen Grundstein gelegt, indem sie bestimmte strukturelle Veränderungen gefordert haben. Viele von uns kommen selbst aus den sozialen Bewegungen, und ich glaube kaum, dass wir eine Verfassung machen werden, die auf die Bergbaukonzerne oder die Holzfirmen zugeschnitten ist, nur weil sie ständig Präsenz markieren. Aber diese Abwesenheit bedeutet für mich, dass uns Unterstützung und soziale Mobilisierung fehlen. Es geht vielmehr darum, dass die neue Verfassung mit dem extraktivistischen Entwicklungsmodell brechen will, das auf die ungezügelte Ausbeutung der Rohstoffe setzt. Das ist eine uralte Forderung der sozialen Bewegungen. Unser Bemühen zielt auf eine ganzheitliche Sicht der Dinge, die ein harmonisches Zusammenleben mit der Natur ermöglicht.

Präsident Correa hat in seiner Regierungserklärung gesagt, er wolle ein neues Bergbaugesetz, das den Staat mehr beteiligt und die Gemeinden.

Der Präsident kann wie jeder andere Bürger auch seine Vorschläge für die neue Verfassung äußern, aber wir sind von der Bevölkerung gewählt und unser hauptsächlicher Gesprächspartner ist das ecuadorianische Volk. Das Verständnis von Entwicklung, für das wir uns in der neuen Verfassung entscheiden werden, wird bestimmen, ob wir das extraktivistische Modell weiterführen oder ob wir alternative Formen des Zusammenlebens und der Entwicklung denken können.

Worauf würde denn ein alternatives Entwicklungsmodell basieren?

Eine mögliche Alternative ist der Tourismus, ein geplanter organisierter Tourismus, wo die Indigenen selbst ihre Entwicklungsdynamik in die Hand nehmen. Dafür muss der Staat ihnen natürlich die nötigen Mittel zur Verfügung stellen. Eine zweite Alternative ist die diversifizierte Landwirtschaft – ich meine nicht Biokraftstoffe, für die man zwanzig- oder fünfzigtausend Hektar abholzen müsste, sondern eine Diversifizierung der auf den Binnenmarkt gerichteten Produktion. Man könnte auch auf den Ausbau der Dienstleistungen setzen, Forschungszentren und so weiter. Um zu einem differenzierten Konzept von Entwicklung zu gelangen, muss man das eigene Denken öffnen.

Kürzlich haben sich sowohl die amazonischen Indigenen als auch die Indigenen-Dachorganisation CONAIE versammelt, um ihre Prioritäten festzulegen. Was war das Ergebnis?

Die CONAIE hat vor kurzem ihren Dritten Kongress abgehalten und ihren Präsidenten neu gewählt. In den 90er Jahren, als sie sich als wichtiger politischer Faktor positionierte, hat die CONAIE Themen aufgeworfen, die die klassischen Politiker nie auch nur bedacht hatten, zum Beispiel die Anerkennung der kollektiven Rechte. Eins der wichtigsten Anliegen all dieser Jahre war die Erklärung der Plurinationalität, das heißt, dass das ganze politische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale System von dieser plurinationalen Perspektive her konzipiert werden muss. Das ist im Grunde nichts anderes als die Selbstbestimmung einer uralten Nation, deren kommunitäre Organisationsformen und Institutionen der Staat anerkennen muss. 1998 hat die CONAIE zwar erreicht, dass Ecuador sich in der damaligen Verfassung zu einem plurikulturellen und multiethnischen Land erklärte, aber das implizierte noch nicht die Anerkennung der kollektiven Rechte.

Verstehen die Indigenen sich als eine Nation?

Wir sind eine Nation, weil wir die Charakteristika einer Nation erfüllen und seit tausenden von Jahren in diesem Land leben, das heute Ecuador heißt. In der VV muss jemand diese Themen aufgreifen. Wir haben insgesamt fünf indigene Abgeordnete in der VV, ein paar von Pachakutik, und ich bin so gut wie die einzige der Regierungsfraktion, die die CONAIE-Linie vertritt. Wir arbeiten organisiert zusammen und vertreten diese großen Forderungen der indigenen Bewegung.

Die Anerkennung der Plurinationalität und der Territorien schließt aus der Perspektive der Indigenen die Kontrolle über den Unterboden und die Selbstbestimmung über dort angesiedelte Entwicklungsprojekte ein. Besteht Ihrer Ansicht nach ein Grundwiderspruch zu der Regierung Correa, die beabsichtigt, möglichst viele Ressourcen auszubeuten, um ihre Sozialpolitik zu finanzieren, und der indigenen Bewegung, die versucht, Urwald und Biodiversität zu erhalten?

Das muss man von Grund auf analysieren. Wenn das Recht auf Leben im liberalen Recht ein Grundrecht ist, dann ist das Recht auf ein Territorium im Fall der Indigenen ebenfalls ein Grundrecht, da ansonsten ihr Recht auf Leben nicht gewährleistet wäre. Weil ohne ein Territorium, in dem sich das soziale, kulturelle, politische Leben entwickeln kann, für die Indigenen kein Leben möglich ist. Andererseits befinden sich in diesen indigenen Territorien große Reichtümer, Erdöl, Gold, Biodiversität, Wasser etc. Traditionell haben die Verfassungen diese Reichtümer immer als öffentliche Güter eingestuft, was durchaus problematisiert werden sollte. Man muss zu einer Einigung kommen in der Frage, wem die Schätze des Unterbodens gehören. Wir Indigenen haben immer die Einheit in der Vielfalt vertreten, ein unteilbares Ecuador, das heißt, es geht nicht um einen eigenständigen Staat. Andererseits sollten die Ressourcen des Unterbodens denen zustehen, die in den entsprechenden Gebieten wohnen. Wenn also in einem indigenen Territorium Erdöl gefunden wird, darf der Staat nicht einfach dort einreiten und das Öl fördern, weil das Öl ihm gehört. Da muss ein Prozess der Befragung und des Einverständnisses der Bewohner vorausgehen und die Gewinne müssen gerecht verteilt werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Staat zunächst das Recht der indigenen Nation über ihr Territorium anerkennt, sowie die Möglichkeit, über alles zu entscheiden, was in diesem Territorium gefunden wird.

* Aus: Neues Deutschland, 18. März 2008


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