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Christlicher Linker

Ecuador: Am Sonntag wird ein neuer Präsident gewählt. Aussichtsreichster Kandidat ist der Chávez-Freund Rafael Correa

Von Timo Berger *

Lateinamerika schaut gespannt auf Ecuador. Allem Anschein nach wird sich der kontinentale Linkstrend dort fortsetzen, wenn am Sonntag ein neuer Präsident gewählt wird. Denn der Linkskandidat Rafael Correa hat beste Chancen, für seine Partei Avanza PAIS (Vorwärts LAND) zu triumphieren. Letzte Umfragen sehen den einstigen Wirtschaftsminister der scheidenden Regierung von Al­fredo Palacios mit 30 Prozent an erster Stelle.

Soziale Revolution

Sein stärkster Widersacher ist der konservative Multimillionär und reichste Mann Ecuadors, Álvaro Noboa. Der Haupterbe eines Bananenimperiums, der bereits 1998 und 2002 für das höchste Staatsamt kandidiert hatte, tritt für sein Partido Renovador, die Erneuerungspartei, an. Die letzten Prognosen, die nur im Ausland veröffentlicht werden durften, sahen ihn bei 23 Prozent. Dritter in den Umfragen ist der Sozialdemokrat León Roldós mit 19 Prozent. 40 Prozent der Befragten waren bis zuletzt unentschlossen.

Der 43jährige Correa erklärt selbstbewußt, er sei zwar »kein Marxist, aber ein christlicher Linker«, und er strebe als solcher eine »radikale Abkehr« vom herrschenden ökonomischen System an. Sein Ziel sei eine »ethische und soziale Revolution«. Wie in Bolivien will er die Verfassung reformieren. Wichtig ist ihm auch die Nähe zur indigenen Bevölkerung, bei der er einst selbst ein Jahr lang Sozialarbeit leistete und dabei die Indianersprache Quechua lernte.

Wie alle Andenstaaten ist auch Ecuador ein ethnisch und wirtschaftlich stark gespaltenes Land. Die weiße Elite lebt in den Provinzen an der Pazifikküste. Im Andenhochland leben vor allem Indigene, das wenig erschlossene Tiefland im Amazonasbecken ist kaum besiedelt. 60 Prozent der Landbevölkerung leben unterhalb des Existenzminimums. Haupteinnahmequelle ist Erdöl, es folgen Agrarprodukte. Eine bedeutende Größe stellen die Geldsendungen der ecuadorianischen Arbeitsmigranten aus dem Ausland dar. Fast ein Viertel der Bevölkerung arbeitet in den USA, Spanien oder Italien.

Bis 2002 der ehemalige Militär Lucio Gutiérrez im Bündnis mit der indigenen Bewegung Pachakutik einen sensationellen Erfolg an den Wahlurnen erzielte, hatten sich die traditionellen Parteien in Ecuador die Macht geteilt. Von Gutiérrez spricht heute niemand mehr. Kam war er gewählt, legte er die linke Rhetorik ab und wendete sich den USA und dem IWF zu. Nach Massenprotesten der Bevölkerung mußte er im vergangenen Jahr fliehen. Das Amt fiel an seinen Vertreter Alfredo Palacios.

Rafael Correa hat dagegen deutlich gemacht, daß er Ecuador auch außenpolitisch anders als seine Vorgänger positionieren will. Der erklärte Freund des venezolanischen Staatschefs Hugo Chávez kritisierte auch die Abschaffung der ecuadorianischen Währung Sucre zugunsten des Dollars. Wie Chávez gilt er als offener Kritiker des US-Präsidenten George W. Bush. Auch in der Behandlung der kolumbianischen Guerilla der Revolutionären Streitkräfte (FARC) will er nicht dem Kurs der USA und der EU folgen. Für ihn seien die Rebellen keine Terroristen, erklärte er.

Ungewiß ist, ob es Rafael Correa bereits am Sonntag auf den Präsidentensessel schaffen wird, oder ob er am 26. November in die Stichwahl gehen muß. Dies ist der Fall, wenn ein Kandidat nicht die notwendigen fünfzig Prozent plus eine Stimme oder mehr als 40 Prozent bei zehn Prozent Abstand zum Zweitplazierten erhält. Correa rief deshalb die 9,1 Millionen Wahlberechtigten am Dienstag auf einer Wahlkampfveranstaltung in der Provinz Manabí im Hinterland dazu auf, »die Reihen zu schließen«. Sein Wahlslogan jedenfalls richtete sich entschieden gegen die traditionellen Parteien: »Dale, Correa« (Schlag zu, Correa!). Correa heißt auf spanisch »Riemen«. Und den, das wird der Kandidat nicht müde zu betonen, will er die »Mafia der Parteien« spüren lassen.

»Beleidigung für Teufel«

Fest steht, daß Venezuela und Ecuadors sich im Falle eines Wahlsieges Correas annähern werden. Nachdem Ecuador im Mai dieses Jahr einseitig die Öl-Förderverträge mit dem US-Konzern Occidental Petroleum aufgekündigt hat, könnte nun die staatliche Mineralölgesellschaft Venezuelas, PdVSA, durch Joint-Ventures in das lukrative Treibstoffgeschäft einsteigen. Diese Woche trafen sich die Außenminister der beiden Länder bereits zu Vorgesprächen.

Politisch nahm Correa mehrfach Bezug auf den venezolanischen Präsidenten. Nach dessen Rede vor der UN-Vollversammlung erklärte er: »Wenn man Bush einen Teufel nennt, dann ist das eine Beleidigung für den Teufel«. Dieser möge zwar bösartig sein – aber er sei zumindest doch intelligent.

* Aus: junge Welt, 13. Oktober 2006


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