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Ecuador: "Sie macht gemeinsame Sache mit der Opposition"

Gewerkschaftsspitze kritisiert Entwurf für Arbeitsgesetz. Heftige Zusammenstöße bei Demonstrationen. Ein Gespräch mit Carlos Marx Carrasco *


Carlos Marx Carrasco ist seit März 2014 Arbeitsminister von Ecuador.


Am 1. Mai haben Sie in Ecuador den Entwurf für ein neues Arbeitsgesetz vorgelegt, zu dem es von Gewerkschaftsseite scharfe Kritik gab. Was ist dran an den Vorwürfen, es würde Arbeiterrechte zurücknehmen und die Unternehmer stärken?

Es wird z. B. behauptet, die Regierung wolle die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften einschränken, Tarifverträge abschaffen und das Streikrecht beschneiden. Im Gegenteil: Unser Entwurf hat das Ziel, die Arbeit über das Kapital zu stellen! Ein Teil der Gewerkschaftsführung, vor allem im Dachverband FUT, kritisiert Maßnahmen, die in der aktuellen Version des Entwurfs gar nicht mehr enthalten sind.

Leider macht dieser Teil der Gewerkschaftsspitze gemeinsame Sache mit der konservativen Opposition. Auf zwei Demonstrationen zu diesem Thema ist es zu Zusammenstößen gekommen. Angesichts dessen hat Präsident Rafael Correa erklärt, dass er im Moment lediglich einige Reformen des Arbeitsgesetzes ins Parlament einbringen wird.

Welche Rolle spielt die Opposition in der Diskussion um das Arbeitsgesetz?

Sie missbraucht einen Teil der Gewerkschaftsführung, um Unruhe zu stiften und sie für sich auszunutzen. Sie setzt alles daran, die Regierung zu destabilisieren. Sie will die Wirklichkeit verschleiern, damit die Gesellschaft nicht sieht, welche großen Fortschritte wir schon gemacht haben. Sie will die politische Macht übernehmen und benutzt dafür auch Arbeiter, die – vielleicht aus Naivität – in die Falle gehen. Und sie glaubt, unschlagbar zu sein, wenn sie mit Vertretern der Arbeiterschaft zusammenarbeitet.

Sind die Reformen, von denen Correa sprach, bereits bekannt?

Nicht im einzelnen, die wichtigsten Punkte allerdings schon. Dazu gehört, dass Entlassungen aus diskriminierenden Gründen für nichtig erklärt werden, etwa wegen einer Schwangerschaft. Ein anderes Thema ist die Abschaffung von befristeten Verträgen – alle sollen künftig unbefristet sein. Das sind zwei Punkte, die sogar noch über die Vorschläge der FUT hinausgehen.

Was fordern die Gewerkschaften? Wollen sie überhaupt ein neues Arbeitsgesetz?

Sie haben ihre Meinung geändert und behaupten jetzt, sie hätten nie gesagt, dass sie das Gesetz nicht wollten. Das erscheint mir erst einmal positiv. Sie müssen aber erst die Gewalt einstellen. Für den 19. November ist eine Diskussionsrunde angesetzt, an der sich die FUT beteiligen wird. Die Gewerkschaften sollten ihre Strategie ändern: nicht alles von vornherein ablehnen, sondern konstruktive Vorschläge einbringen. So würde das ganze Land profitieren.

Sie haben mehrfach von der Gewerkschaftsführung gesprochen. Gibt es bei der Beurteilung des Arbeitsgesetzes eine Diskrepanz zur Basis, zu den Arbeitern?

Es gibt große Unterschiede zwischen den Ansichten der Führung und den Arbeitern. Schließlich hat keine Regierung vorher so viel für die Arbeiter getan wie die jetzige. Wir haben zum Beispiel das »Outsourcing« abgeschafft, eine gerechte Bezahlung festgelegt, würdige Bedingungen für Hausangestellte geschaffen. Wir haben an der Abschaffung der Kinderarbeit gearbeitet. Und seit 2007 hat sich der Mindestlohn verdoppelt.

Wie wurde die Diskussion um das Gesetz organisiert?

Die Grundzüge der Arbeitsgesetzgebung sind bereits in der Verfassung festgeschrieben. Dieser Inhalt muss auf das konkrete Gesetz übertragen werden. Das alte stammt aus dem Jahre 1938 – seitdem hat sich aber so viel verändert, dass es nicht mehr ausreicht.

Wir haben das Projekt in seinem gesamten Umfang im Mai der Öffentlichkeit vorgestellt. Zuvor hatten wir drei Jahre lang über die einzelnen Punkte diskutiert und dabei soweit wie möglich die verschiedensten Teile der Gesellschaft einbezogen. Über Workshops und Arbeitsgruppen haben wir etwa fünf Millionen Menschen erreicht, mit Gewerkschaftsdachverbänden gesprochen, mit Arbeitern und Arbeitslosen. Wir waren in Universitäten und haben Richter einbezogen, die im Arbeitsrecht bewandert sind. Außerdem haben wir in den Medien kontinuierlich darüber berichtet, was wir machen.

Interview: Lena Kreymann



* Aus: junge Welt, Dienstag, 4. November 2014


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