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"Eine Abwahl von ARENA wäre gut für die Menschenrechte in El Salvador"

David Morales über einen möglichen Machtwechsel in dem mittelamerikanischen Land

In El Salvador stehen 2009 wichtige Wahlen an: am 18. Januar Parlaments- und Kommunalwahlen, im März Präsidentschaftswahlen. Die ehemalige Guerilla Front für die Nationale Befreiung Farabundo Martí (FMLN) hat Chancen, die rechtsextreme ARENA an der Macht abzulösen. Über die kommenden Wahlen und die schwierige Menschenrechtslage sprach mit David Morales von der Menschenrechtsorganisation FESPAD für ND (Neues Deutschland) Michael Krämer.



ND: Herr Morales, was sind Ihre Prognosen für die Parlaments- und Kommunalwahlen sowie die Präsidentschaftswahlen in El Salvador?

Morales: Die aktuellen Umfragen sagen deutliche Verluste für die regierende ARENA-Partei voraus. Mauricio Funes, der Kandidat der oppositionellen FMLN, hat gute Chancen, nächster Präsident des Landes zu werden.

Wie bewerten Sie als Menschenrechtsanwalt diese Aussicht?

ARENA stellt seit 20 Jahren die Präsidenten des Landes. Alle haben sie auf vielfältige Weise die Menschenrechte missachtet. Nach dem Ende des Bürgerkriegs 1992 hatten wir große Hoffnung auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage. Die alten, für unzählige Menschenrechtsverbrechen verantwortlichen Polizeikräfte wurden aufgelöst, das Militär verkleinert und eine neue Zivile Nationalpolizei (PNC) aufgebaut. Doch sehr bald schon hat die ARENA-Regierung den Grundgedanken einer zivilen Polizei, die die Menschenrechte respektiert, verändert. Heute ist die PNC für eine Vielzahl schwerer Verbrechen verantwortlich, bis hin zu Folter und Mord.

Würde sich die Situation unter einem neuen ARENA-Präsidenten nicht verbessern?

Der Präsidentschaftskandidat von ARENA, Rodrigo Avila, trägt als jahrelanger Chef der PNC und als Vizeminister für öffentliche Sicherheit des derzeitigen Präsidenten Antonio Saca für den schlimmen Zustand der PNC Mitverantwortung. Mit Avila als Präsident würde sich die Menschenrechtslage in El Salvador sicherlich nicht verbessern. Er bezeichnet sich selbst als großen Bewunderer von Roberto D'Aubuisson, dem Mörder des Erzbischofs Oscar Arnulfo Romero und Gründer der ARENA-Partei. Dies sagt einiges über das Verhältnis von ARENA zu den Menschenrechten aus: D'Aubuis- son, der für unzählige politische Morde verantwortlich ist, wird bis heute in der Partei fast abgöttisch verehrt. In diesem Sinne wäre eine Abwahl von ARENA sicherlich sehr gut für das Land.

Und wie steht die FMLN zum Schutz der Menschenrechte?

Das Thema Menschenrechte spielt eine wichtige Rolle im Wahlprogramm der FMLN. Zum Beispiel hat die FMLN angekündigt, einige wichtige Menschenrechtsabkommen, wie die Anti-Folterkonvention, zu ratifizieren. Da gab es bei ARENA seit vielen Jahren Stillstand. Auch sonst sind Verbesserungen zu erwarten. Schließlich stand die FMLN in den letzten Jahren in Menschenrechtsfragen den Positionen der Zivilgesellschaft sehr nahe und hat auch mehrmals Gesetzesinitiativen ins Parlament eingebracht, die von Menschenrechtsorganisationen ausgearbeitet worden waren.

Mauricio Funes hat aber vor Kurzem angekündigt, dass er das Amnestiegesetz von 1993, das die Straffreiheit für alle Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkriegs garantiert, nicht aufheben will, falls er Präsident werden sollte.

Diese Ankündigung war in der Tat eine große Enttäuschung für uns alle, die wir seit Jahren versuchen, die Verantwortlichen schwerster Menschenrechtsverletzungen vor Gericht zu bringen. Ethisch ist die Aussage natürlich völlig inakzeptabel, ich gehe allerdings davon aus, dass sie vor allem dem Wahlkampf geschuldet ist: Funes will das Militär nicht gegen sich aufbringen. Die FMLN selbst hat bereits erklärt, dass sie diese Position nicht teilt. Und: Nicht der Präsident, sondern das Parlament entscheidet schlussendlich über eine Aufhebung des Amnestiegesetzes. Hier ist also noch längst nicht entschieden, wie es weitergeht.

Was sind die dringendsten Aufgaben für einen neuen Präsidenten, um die Menschenrechtslage in Ihrem Land zu verbessern?

Eine große Herausforderung für einen neuen Präsidenten ist es, die Straffreiheit im Land zu beenden. Dies gilt für die Menschenrechtsverletzungen des Bürgerkriegs genauso wie für das aktuelle Geschehen in El Salvador. Heute werden 96 Prozent aller Morde nicht aufgeklärt, gleich ob es sich um gewöhnliche Kriminalität oder um politische Verbrechen handelt. In den letzten Jahren hat sich die Menschenrechtslage in allen Bereichen verschlechtert. In den letzten zwei Jahren gab es in El Salvador circa 30 politische Morde, vor allem an Aktivisten sozialer Bewegungen, aber auch an lokalen FMLN-Politikern. Das ist ein unhaltbarer Zustand.

Warum ist die Menschenrechtssituation denn so schlecht?

Die Grundlage der Politik der inneren Sicherheit stammt noch aus Kriegszeiten. Es gibt einen »inneren Feind«, den es zu bekämpfen gilt. Die Folge: Die Polizei kann tun was sie will, ihre Menschenrechtsverletzungen werden nicht geahndet, die Justiz greift nicht ein. Und wer gegen die Politik der Regierung protestiert, wird kriminalisiert. So wurde vor zwei Jahren ein »Antiterrorgesetz« verabschiedet, durch das selbst ein harmloser Straßenprotest als terroristisch eingestuft werden kann. Dafür sorgt das Justizsystem, der Bereich, wo es in den letzten Jahren die vielleicht schlimmsten Rückschritte gegeben hat. ARENA hat die Staatsanwaltschaft und zahlreiche Richter unter ihre Kontrolle gebracht. Dabei war eine Reform des Justizsystems eine der zentralen Forderungen im Bericht der Wahrheitskommission von 1993. Auch hier haben die Menschenrechtsorganisationen einige Hoffnung in eine neue Regierung. Eine Reform des Justizsystems gehört zu den Zielen der FMLN.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Januar 2009


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