Kein "Cambio" durch Linke in El Salvador
Präsident Funes verliert das Vertrauen der Bevölkerung, der Teilerfolge nicht ausreichen
Von Tom Beier *
Es war fraglos ein »historischer« Machtwechsel in El Salvador vor zwei Jahren. Der Kandidat der
Partei der linken Guerilla FMLN, Mauricio Funes, übernahm das Präsidentenamt und die Ultrarechte,
die das Land zwanzig Jahre lang regiert hatte, nahm dies hin. Inzwischen ist Funes Popularität stark
gesunken.
Er ist ausgeblieben: der erwartete »cambio«, der grundlegende Wandel in El Salvador. Die
Anfangseuphorie, die dem ersten linken Präsidenten in der Landesgeschichte, Mauricio Funes, nach
den ersten 100 Tagen noch hohe Zustimmungswerte von über 80 Prozent bescherte, ist längst
verflogen. Gut zwei Jahre nach seinem Amtsantritt im Juni 2009 ist die Zustimmung zu seiner
Amtsführung im Keller, auch wenn sich Funes verständnisvoll zeigt und etwa den wegen der
ausgebliebenen Gehaltserhöhung enttäuschten Lehrern entgegnete: »Ich habe kein Geld«. Fast
schon trotzig fügte er hinzu: »Aber trotz alledem hat El Salvador sich verändert.«
In der Tat hat die Regierung ihre sozialpolitischen Anstrengungen der Anfangsphase weitergeführt.
Bis zu 800 Millionen US-Dollar werden bis Ende 2011 in Sozialprogramme geflossen sein, die
hauptsächlich ländlichen Familien, Kindern und alleinerziehenden Frauen zugute kommen. Diese
Initiativen tragen erste Früchte. So ist die Mais- und Bohnenernte in 2011 die größte in der
Geschichte El Salvadors. Ein weiteres Novum: Ein Schulförderprogramm mit einem Volumen von
104 Millionen US-Dollar stellt erstmals flächendeckend kostenlos Lernmaterialien für Grundschüler
zur Verfügung.
Aber die großen Probleme des Landes, die die öffentliche Meinung beherrschen, scheint Funes
nicht in den Griff zu bekommen. Die Kriminalität ist nicht zurückgegangen. Noch immer hat El
Salvador eine der höchsten Mordraten der Welt. Bereits im September liegt die Zahl der Toten über
der von 2009, das als gewalttätigstes der letzten zehn Jahre galt. Allein 97 Schüler wurden nach
Angaben der Polizei zwischen Januar und Ende Juli ermordet. Der größte Teil geht auf das Konto
von Jugendbanden, die – so musste der stellvertretende Bildungsminister Eduardo Badía Serra
einräumen – Einfluss auf die Schulen erlangt haben. Korruption und Drogenhandel sind weitere
Gewaltquellen. Der Einsatz des historisch vorbelasteten Militärs kam in seiner Partei FMLN und den
sozialen Bewegungen nicht gut an. Es ist dieselbe Politik der harten Hand, die bereits seine
konservativen Amtsvorgänger betrieben.
Nach Meinung von Experten sei das Problem komplexer und vor allem auf die extremen sozialen
Ungleichheiten im Land zurückzuführen. Da aber für die unmittelbare Verbrechensbekämpfung
Unsummen ausgegeben werden, fehlt das Geld für weitere Sozialinvestitionen.
Die extensive Ausgabenpolitik lässt zudem die Staatsverschuldung steigen. Das Niveau liegt bereits
über dem der letzten vier konservativ-reaktionären Regierungen. Die Schuldenkrise der USA schlägt
wegen der Dollarisierung El Salvadors und der Geldtransfers der nach Nordamerika geflüchteten
Familienangehörigen direkt auf das kleine Land durch. Wirtschaftsinstitute sagen bereits eine Krise
ähnlich wie in Griechenland voraus, sollte das Land sein Budget nicht in den Griff bekommen. Eine Inflationsrate von über fünf Prozent und eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums verschärfen
die Situation. Und so sagen trotz der sozialen Programme 83 Prozent der Salvadorianer, dass ihre
Lebenshaltungskosten in den beiden letzten Jahren deutlich gestiegen sind. Wirtschaftspolitisch
setzt Funes seinen unternehmerfreundlichen Kurs fort. Ein Gesetz, das den Bewohnern die hohen
Festnetz-Telefongebühren von monatlich fast zehn US-Dollar vom Hals schaffen sollte, lehnte er ab.
Man dürfe ausländische Unternehmen nicht verschrecken. Die salvadorianische Telecom gehört
zum Firmenimperium des mexikanischen Milliardärs Carlos Slim. »Für den Präsidenten sind die
Interessen der transnationalen Konzerne wichtiger als die der Mehrheit der Bevölkerung«, so die
Präsidentin einer Sozialarbeitervereinigung.
Außenpolitisch traf Funes jüngst eine überraschende Entscheidung: Die Entsendung von 22
Soldaten nach Afghanistan. Im Wahlkampf hatte er sich noch für den Abzug der Truppen aus dem
Irak stark gemacht. El Salvador war das einzige lateinamerikanische Land, das die »Koalition der
Willigen« unterstützte. Damals regierte die rechtsextreme ARENA-Regierung.
Innenpolitisch am meisten diskutiert wurde das »Dekret 743«. Es sollte die Befugnisse des
salvadorianischen Verfassungsgerichts einschränken, das zuletzt einige historische Urteile
gesprochen hatte. Dadurch wurde die Verfolgung von Verbrechen hochrangiger Militärs während
des Bürgerkriegs möglich. Unter dem Beifall von Teilen der Rechten stimmte Funes dem Dekret
zunächst zu. Erst später wurde es aufgehoben. So wächst die Distanz zwischen Partei und
Präsident. Und die Bevölkerung ist ernüchtert.
* Aus: Neues Deutschland, 19. September 2011
Zurück zur El-Salvador-Seite
Zurück zur Homepage