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"Wir haben nur Mais und Bohnen gegessen"

nd-Solidaritätsaktion: Die Organisationen INKOTA und OIKOS helfen Gemeinden in El Salvador, die Ernährungssituation der Menschen zu verbessern

Von Willi Volks *

In El Salvador unterstützt INKOTA zusammen mit OIKOS in fünf Gemeinden mehr als 140 Frauen beim Anbau von Obst und Gemüse oder beim Aufbau kleiner Hühnerhaltungen.

Unser Pickp rumpelt über Stock und Stein unserem Ziel entgegen. Wir sind auf dem Weg zum Weiler El Chirrión am Fuße des Vulkans San Miguel im gleichnamigen Departement im Osten El Salvadors. Dass wir überhaupt vorwärts kommen, haben wir dem Allradantrieb des Pickups und dem Geschick unseres Fahrers Benjamin Alas, des Direktors unserer Partnerorganisation OIKOS Solidaridad, zu verdanken. Diese kleine Nichtregierungsorganisation, deren Name Programm ist, unterstützt seit Jahren die Bevölkerung in diesen unzugänglichen Gemeinden in ihrem täglichen Kampf gegen die Armut.

Unsere ersten Gesprächspartnerinnen sind 32 Frauen. Sie haben vor einigen Jahren begonnen, sich zu organisieren. Seit zwei Jahren ist ihr Zusammenschluss offiziell als Verein anerkannt. Warum das besonders wichtig ist, erklärt Präsidentin Evangelina Quintanilla: »Damit wir selbst Anträge auf Unterstützung stellen können.« Dabei weist sie auf Elektromasten in der Nähe als sichtbares Zeichen dafür, dass ihr Antrag auf Stromversorgung an das Bürgermeisteramt ihres Landkreises San Rafael Oriente im vergangenen Jahr erfolgreich war.

Wer wie ich aus Deutschland kommt, wo eine funktionierende Stromversorgung nichts Besonderes ist, und gleichzeitig das arme Umfeld sieht, kann sich kaum vorstellen, welchen erfolgreichen Weg diese Frauen schon genommen haben. »Wir hatten nichts und waren nichts und haben uns nicht getraut zu sprechen«, bringt es Patricia Gonzales, die Vizepräsidentin der Frauengruppe, auf den Punkt. »Heute haben wir den Mut zu sprechen und ich hätte noch nicht einmal Angst, dich zu umarmen.« Nachdem sie uns alle so zum Lachen gebracht hat, berichtet sie von den schweren Anfängen: »Wir haben nur Mais und Bohnen gegessen, mehr hatten wir nicht. Dann kam OIKOS in unser Dorf und hat uns zusammen mit INKOTA dabei unterstützt, eine kleine Hühnerhaltung aufzubauen und erste Fruchtbäume anzupflanzen. Damit konnten wir die Ernährung unserer Familien, besonders der Kinder verbessern.«

Heute reden die Frauen nicht mehr nur über eine verbesserte Ernährung, sondern vor allem über die Aufstockung ihres mehr als geringen Familieneinkommens durch den Verkauf ihrer Produkte auf dem lokalen Markt. Dafür haben sie in dem laufenden Projekt mit INKOTA Land gepachtet, auf dem sie gemeinsam Yambohnen (Jicama) anbauen. Die erste Ernte davon haben sie gerade eingefahren und verkauft. Sie haben dafür 2000 US-Dollar erhalten, was in ihren Augen ein unbeschreiblich gutes Ergebnis ist.

Was aber davon übrig bleibt, wenn sie davon das Saatgut für die neue Aussaat sowie die Pacht für das Feld und den Traktor bezahlen müssen, wissen sie noch nicht so genau. Eine Kalkulation in dieser Größenordnung haben sie noch nie gemacht. Um dies zu lernen, sitzen sie bei der Buchhalterin von OIKOS auf der Schulbank. Das fällt ihnen zum Teil sehr schwer, wie Evangelina Quintanilla einräumt: »Ich bin nur ein Jahr zur Schule gegangen und Schreiben und Rechnen fällt mir wahrlich nicht leicht.«

Klar aber ist jetzt schon, dass sie – ermutigt durch den großen gemeinschaftlichen Verkauf – den Weg der Vermarktung weiter gehen werden. Dafür haben sie bereits einen neuen Finanzierungsantrag gestellt, diesmal sogar an eine Regierungsinstitution in der Hauptstadt. Sie wollen drei Tanks zum Auffangen von Regenwasser haben, um ihr Gemüse in der Trockenzeit zu bewässern. Dann wollen sie auch »groß in dessen Verkauf einsteigen«.

Auf diese Art mit den Träumen der Frauen für ihre Zukunft vertraut gemacht, begebe ich mich mit unseren Projektpartnern auf den Weg zur nächsten Frauengruppe, denn ein Schwerpunkt der Arbeit von OIKOS ist die Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen.

Der Weg dorthin hat sich im Vergleich zu der Anfahrt nach El Chirrión sehr verändert. Statt über eine großsteinige »Buckelpiste« fahren wir jetzt durch eine staubige Schlucht. Dieser Anblick lässt kaum erahnen, dass sie sich zur Regenzeit in das Bett eines reißenden Fluss verwandelt, der es nicht mehr zulässt, die Gemeinde Santa Clara Mango, in der zwei Frauengruppen auf uns warten, auf diesem Weg zu erreichen.

In der Gemeinde angekommen, machen mir die Erzählungen der Frauen deutlich, dass die Menschen in diesen Orten doppelt gefährdet sind: durch Armut und durch die Unbilden der Natur. Um sich vor Erdrutschen, Sturzbächen und Schlammlawinen zu schützen, bauen die Familien am Hang des Vulkans Chaparrastique Steindämme, Lebendbarrieren, Antierosionsgruben und Infiltrationsgruben. Dabei helfen die Männer den Frauen beim Tragen des schweren Baumaterials, allen voran schwere Steinbrocken, die die Frauen niemals den Berg hochschleppen könnten.

Was die ersten Schritte zur Verbesserung ihrer Ernährung angeht, so wandeln die Frauen auf den Spuren ihrer »Vorbilder« in El Chirrión. Auch sie beginnen gerade damit, eine kleine Hühnerhaltung aufzubauen. Dafür haben sie unter Anleitung und mit männlicher Unterstützung einen Stall gebaut, zehn Hühner und einen Hahn erhalten und in Weiterbildungen unter anderem gelernt, wie man die Hühner gegen Krankheiten impft. Um mir zu zeigen, dass sie Letzteres sicher beherrschen, müssen gleich ein paar Hühner dran glauben: Gekonnt impfen sie die Tiere vor meinen Augen.

Diese Frauen stehen ganz am Anfang, doch ihr Enthusiasmus und die Aufbruchsstimmung lassen erahnen, dass sie auch bei der Vermarktung eines Tages erfolgreich auf den Spuren der Frauen aus El Chirrión wandeln könnten.

Einen Schritt weiter auf dem Weg zur Vermarktung sind 56 Familien der Kooperative Brisas Libertarias, die ich auf der letzten Station meiner Projektrundreise besuche. Sie, die unter den schwierigsten und bescheidensten Bedingungen aller Projektbeteiligten leben, waren die ersten, die die schweren Arbeiten des Katastrophenschutzes am Hang des Chaparrastique leisteten. Doch sie konnten sich dabei auf die Solidarität von Bewohnern anderer Gemeinden stützen. Adán Parada, der Präsident der Kooperative, drückt das so aus: »So wie die Menschen weiter oben uns durch die Installierung der Bodenschutz- und Katastrophenanlagen mit schützen, machen wir das für diejenigen, die weiter unten wohnen. Diese danken uns das, indem sie gelegentlich bei uns mitarbeiten.«

Ihre große Vorfreude auf zukünftige Einnahmen durch die Verarbeitung und Vermarktung ihrer Cashewproduktion, erhält allerdings derzeit einen herben Dämpfer. Seit kurzem haben sich Maras (bewaffnete Jugendbanden) bei ihnen angesiedelt. Dieser Trend, dass sich die Jugendkriminalität aus den Städten heraus immer mehr in den ländlichen Raum hinein ausbreitet, ist zurzeit leider in vielen Regionen El Salvadors festzustellen.

Die Kooperative Brisas Libertarias hat sich entschieden, das Gebäude für die Verarbeitung der Cashewkerne deshalb in das unmittelbare Umfeld ihrer Unterkünfte zu verlagern. Dadurch ist es jetzt weiter weg von der Stromversorgung, was die Kosten der Verlängerung für das Kabel erhöht. Kosten, die vorerst aus dem Budget des aktuellen Projekts nicht gedeckt werden können.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. Dezember 2013


Der Floh inmitten von Amerika

El Salvador hat wenig Fläche, ist dicht besiedelt und die Landwirtschaft hat mit vielen Problemen zu kämpfen

Von Michael Krämer **


Das kleinste Land Zentralamerikas wird seit 2009 von einem Präsidenten der linken FMLN regiert: Mauricio Funes. Zu seinen Erfolgen gehört die stärkere Förderung des Agrarsektors.

Als »kleinen Floh von Zentralamerika« hat Roque Dalton, der berühmteste Dichter El Salvadors, seine Heimat einmal bezeichnet. In der Tat ist El Salvador mit nur gut 21 000 Quadratkilometern das kleinste unter den Ländern Zentralamerikas – und hat mit seinen über sieben Millionen Einwohnern zugleich die höchste Bevölkerungsdichte in der Region. Fehlende Zukunftsperspektiven und eine sehr hohe Kriminalitätsrate sind wichtige Gründe für die kontinuierliche Auswanderung vor allem von jungen Menschen in andere Länder – allen voran in die USA, wo bis zu zwei Millionen gebürtige Salvadorianer leben, die allein im letzten Jahr über drei Milliarden US-Dollar an Familienmitglieder in El Salvador überwiesen haben. Diese sogenannten remesas sind die mit Abstand wichtigste Devisenquelle des Landes.

An der hohen Migration hat sich auch unter der aktuellen Regierung von Mauricio Funes nur wenig geändert. Der populäre Fernsehjournalist gewann im März 2009 als Kandidat der ehemaligen Guerillabewegung FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí) die Präsidentschaftswahlen gegen die seit 20 Jahren regierende ultrarechte Partei ARENA (Republikanisch-Nationalistische Allianz). Mit seiner äußerst gemäßigten Politik ist er manchmal auch mit der FMLN in Konflikt geraten. Diese hätte sich unter anderem weitergehende Sozialreformen gewünscht und eine Außenpolitik, die sich stärker an Venezuela und Bolivien als an den USA orientiert. Bis heute genießt Präsident Funes allerdings sehr hohe Popularitätswerte.

Derzeit befindet sich El Salvador erneut im Wahlkampf. Für die FMLN tritt zu den Präsidentschaftswahlen am 2. Februar 2014 Salvador Sánchez Cerén an. Er ist ein Urgestein der FMLN und war 1992 einer der Unterzeichner des Friedensabkommens, das den zwölfjährigen Bürgerkrieg mit über 70 000 Toten beendete. Derzeit ist er Vizepräsident des Landes. Seine wichtigsten Gegenspieler sind Norman Quijano und Antonio Saca.

Quijano, seit 2009 Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador, tritt für ARENA an. In Meinungsumfragen lag er lange Zeit in der Wählergunst vorne. Unter anderem durch seine Ankündigung, wichtige soziale Errungenschaften der aktuellen Regierung – zum Beispiel kostenlose Schuluniformen, Hefte und Stifte für alle Schulkinder des Landes – rückgängig zu machen, hat er zuletzt in der Wählergunst deutlich verloren.

Nur geringe Chancen werden Antonio Saca gegeben, der bereits einmal das Präsidentenamt innehatte. Er wurde nach einer Spaltung von ARENA Ende 2009 aus der Partei ausgeschlossen und tritt nun für das Parteienbündnis Unidad (Einheit) an.

FMLN-Kandidat Sánchez Cerén kann auf hohe Unterstützung von Wählern aus ländlichen Gebieten hoffen, die in den letzten Jahren enorm von der Regierungspolitik profitiert haben. Mit Saatgut, Krediten und technischer Unterstützung hat die aktuelle Regierung die Landwirtschaft angekurbelt, um künftig von teuren Importen unabhängiger zu werden.

INKOTA-Projektpartner OIKOS setzt ebenfalls auf eine Fortsetzung der FMLN-Regierung – denn auch in den Projektgemeinden ist der Aufschwung der letzten Jahre deutlich zu spüren.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. Dezember 2013


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