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Einschüchterungstaktik

Gewerkschaftlich aktive Beschäftigte in Textilbetrieben in El Salvador werden bedroht, Tarifabschlüsse verhindert: "Eher wird eine Fabrik dichtgemacht."

Von Edgardo Ayala, IPS *

Sogenannte Maquila-Fertigungsbetriebe, die in El Salvador für multinationale Konzerne Kleidungsstücke produzieren, werden beschuldigt, kriminelle Banden auf gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter anzusetzen. Als Maquila werden Montagestätten bezeichnet, in denen Einzelteile für den Export zusammengesetzt werden. Wie Näherinnen, die anonym bleiben wollen, gegenüber der Nachrichtenagentur IPS und internationalen Organisationen berichteten, haben die Drohungen und das allgemeine Klima der Gewalt in dem Sektor seit 2012 drastisch zugenommen.

»Ich wurde telefonisch aufgefordert, aus der Gewerkschaft auszutreten und keinen Ärger mehr zu machen«, sagte eine Beschäftigte der koreanischen Firma »LD El Salvador«, die in der Freihandelszone San Marcos südlich der Hauptstadt San Salvador angesiedelt ist. Der Anrufer drohte der Arbeiterin damit, dass sie ermordet und ihre Leiche an einem Baum vor der Fabrik aufgehängt werde, sollte sie die Warnung in den Wind schlagen. Die Näherin, Mitglied der Sindicato de la Industrial Textil Salvadoreña (SITS – Textilarbeitergewerkschaft), gehört zu den 780 Beschäftigten des Maquila-Unternehmens, das etwa für die Firmen Náutica und Walmart arbeitet. »LD-Manager haben Bandenmitglieder angeworben, um sicherzustellen, dass die Drohungen die gewerkschaftlich organisierten Mitglieder direkt auf dem Firmengelände erreichen«, erzählte die Beschäftigte. Die Einschüchterungstaktik hat sich als erfolgreich herausgestellt. »Nur noch 60 meiner 155 direkten Kolleginnen sind in der Gewerkschaft geblieben.«

In allen 17 Freihandelszonen des Landes gibt es solche Maquila-Textilfabriken. Die Hersteller profitieren vor Ort zudem von Steuervorteilen. Die Kunden sind international bekannte Marken wie Nike, Puma und Adidas. Im vergangenen Jahr waren in der Branche etwa 74.000 Menschen tätig, die meisten von ihnen Frauen. Sie stellen etwa zwölf Prozent der insgesamt 636.000 Beschäftigten im Privatsektor. Der Mindestlohn für täglich bis zu zwölf Stunden harter Arbeit liegt bei umgerechnet 210 US-Dollar im Monat. Eine Arbeiterin berichtete, dass sie in zehn Stunden 1.110 Paar Hemdärmel zusammennäht.

Kurz bevor eine andere Gewerkschaft in der Textilfabrik Gama den ersten Tarifabschluss in der Maquila-Industrie erreichen konnte, wurde das Unternehmen plötzlich im Juni 2011 geschlossen. Mehr als 270 Arbeiterinnen standen ohne Job da. »Eher wird eine Fabrik dichtgemacht, als dass eine Tarifregelung in Kraft tritt«, kritisierte ein Mitglied der Textilarbeitergewerkschaft Sitrasacosi. Auf Druck der »International Union League for Brand Responsability« (Internationales Gewerkschaftsbündnis für Verantwortung der Marken; jW) habe Gama schließlich im Dezember 2012 Abfindungen an die Entlassenen gezahlt. Der global agierenden Organisation gehören Beschäftigte multinationaler Textilien-, Bekleidungs- und Schuhhersteller an.

Seit Beginn des Maquila-Booms in den 1990er Jahren werden den Fabriken ein unmenschlicher Umgang mit ihren Beschäftigten und Verletzungen des Arbeitsrechts vorgeworfen. »Mit am häufigsten wird gegen das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, verstoßen«, erklärte der Sekretär des salvadorianischen Gewerkschaftsdachverbands Federación Sindical de El Salvador, Reynaldo Ortiz. Ein Bericht des »Center for Global Workers’ Rights« (Zentrum für weltweite Arbeitsrechte; jW) an der PennState University und des »Worker Rights Consortium« (WRC, Konsortium für Beschäftigtenrechte; jW) – beide sind in den USA angesiedelt – dokumentiert die gezielte Einschüchterung von Maquila-Beschäftigten durch bezahlte Gangster. Von den Morddrohungen gehe eine starke abschreckende Wirkung aus, zumal immer wieder Gewerkschaftsaktivisten ermordet werden und die salvadorianische Gesellschaft unter der hohen Bandenkriminalität leide, heißt es in dem Report »Unholy Alliances« (Unheilige Verbindungen; jW).

In einer Maquila-Fabrik von F&D, einem ebenfalls in der Freihandelszone von San Marcos tätigen Unternehmen aus Taiwan, sollen zwei F&D-Manager in Begleitung von Bandenmitgliedern gezielt auf gewerkschaftlich organisierte Arbeiter gezeigt haben. Bei einem Gewerkschaftstreffen im November 2013 seien Gang-Mitglieder zusammen mit Firmenmanagern erschienen, berichtete eine Beschäftigte. Ein Teilnehmer, Carlos Sánchez, sei im Januar vergangenen Jahres unter ungeklärten Umständen getötet worden. Der Fall sei von der Generalstaatsanwalt nicht weiterverfolgt worden. Sprecher der Unternehmen F&D und LD sowie Vertreter des Arbeitsministeriums waren für Stellungnahmen bisher nicht erreichbar.

Das 6,3 Millionen Menschen zählende Land gehört zu den Staaten mit der weltweit höchsten Gewaltrate. 2014 wurden 3.912 Morde in El Salvador registriert. Das entspricht 63 Morden pro 100.000 Einwohnern. In Lateinamerika liegt der Durchschnitt bei 29 und weltweit bei 6,2 pro 100.000.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 14. April 2015


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