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Rote Fahnen für Salvador

Knapper Sieg für Linkskandidat Sánchez Cerén nach Stichwahl in El Salvador. Rechte Opposition droht mit Militärputsch

Von Benjamin Beutler *

In El Salvador will das Oberste Wahlgericht (TSE) den Sieger der Präsidentschaftswahl vom Sonntag erst nach Beendigung der am Montag begonnenen endgültigen Stimmenauszählung offiziell bekanntgeben. Bis dahin sollten sich weder der Kandidat der regierenden Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) noch sein Gegner von der rechtsgerichteten Republikanischen Nationalistischen Allianz (ARENA) zum Sieger der Stichwahl erklären, forderten Sprecher der Behörde. Hintergrund der Verzögerung ist der extrem knappe Ausgang der Abstimmung. Nach Abschluß der Auszählung in allen Wahllokalen lagen am Sonntag abend (Ortszeit) der FMLN-Kandidat Salvador Sánchez Cerén und sein rechter Konkurrent Norman Noel Quijano mit je 1,49 Millionen Stimmen fast gleichauf, mit einem Vorsprung von 6634 Stimmen für Sánchez Cerén.

Der bisherige Vizepräsident, der dem linken Flügel der einstigen Guerillaorganisation FMLN angehört, hat unter anderem den Beitritt des Landes zur antiimperialistischen Staatenallianz ALBA angekündigt. »Comandante Leonel« hatte Anfang der 90er Jahre für die FMLN die Friedensverträge mit ausgehandelt, die den Bürgerkrieg beendeten. 2009 wurde er nach dem Wahlsieg von Mauricio Funes Vizepräsident El Salvadors. Während dieser jedoch den Schulterschluß mit den USA suchte und damit weite Teile der Parteibasis enttäuschte, hielt Sánchez Cerén die linken Traditionen der Frente hoch und war gerngesehener Gast in Venezuela, Kuba und anderen ALBA-Staaten. Auch deshalb erreichten ihn die ersten Glückwünsche zu seiner Wahl aus Venezuela und Nicaragua. Trotz der Bitten des TSE stellte er sich am Sonntag abend seinen jubelnden Anhängern. »Wir haben in der ersten Runde gewonnen und jetzt haben wir in der zweiten Runde wieder gewonnen. Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden!« rief er der Menge zu, die rote Fahnen ihrer Organisation schwenkte.

Die rechte Opposition will ihre Niederlage nicht akzeptieren. »Wir werden keinen Betrug im Stil von Chávez oder Maduro in Venezuela erlauben, wir sind in El Salvador«, gab Rechtsaußen Quijano den schlechten Verlierer. Sofort nach Bekanntwerden des knappen Vorsprungs von Sánchez Cerén heizte Quijano die Stimmung gefährlich an. »Sie werden uns diesen Sieg nicht rauben, wenn es sein muß, werden wir mit unserem Leben um ihn kämpfen«, wetterte der Vertreter der Partei, die unter der Militärdiktatur der 80er Jahre in die Verbrechen der Todesschwadrone gegen die linke Opposition verwickelt war. Die Richter des TSE seien allesamt »der Chávez-Diktatur verbunden«, biß der Zahnchirurg und Spezialist für Schönheitsoperationen in Kalter-Krieg-Manier gegen Venezuela. Zudem drohte er kaum verhohlen mit einem Militärputsch: »Die Streitkräfte verfolgen aufmerksam den sich vollziehenden Wahlbetrug.« In »hinterhältiger Absicht« werde die Auszählung von 235 Wahlakten zurückgehalten, die ihm den Sieg sichern würde. »Ab jetzt, da uns über eine Million Mitbürger ihr Vertrauen ausgesprochen haben, sind wir auf Kriegsfuß«, rief der frühere Bürgermeister von San Salvador seinen Anhängern in der ARENA-Parteizentrale zu. Über den Internetdienst Twitter antwortete Sánchez Cerén der Opposition: »Ganz ruhig, respektiert den Willen des salvadorianischen Volkes!«

* Aus: junge Welt, Dienstag, 11. März 2014


Kurswechsel

Präsidentschaftswahl in El Salvador

Von André Scheer **


Durchbricht El Salvador nun die Hegemonie der neoliberalen und reaktionären Cliquen in Zentralamerika? Durch den sich abzeichnenden, aber noch nicht offiziell bestätigten Sieg von Salvador Sánchez Cerén könnte dem kleinen Land zwischen Nicaragua, Honduras und Guatemala ein Linksruck bevorstehen. Dabei ist eigentlich am Sonntag nur die Regierungspartei in ihrer führenden Rolle bestätigt worden. Sánchez Cerén war schon in den vergangenen fünf Jahren als Vizepräsident zweithöchster Repräsentant des Landes. Doch die unter dem jetzt scheidenden Staatschef Mauricio Funes erwartete Linkswende ist weitgehend ausgeblieben. Zwar gab es wichtige Sozialprogramme und auch eine punktuelle Kooperation mit Kuba oder Venezuela, doch in erster Linie lehnte sich El Salvador an die USA an. Verstärkt wurde das Zurückweichen vor dem Druck von rechts noch durch den Putsch in Honduras, bei dem 2009 der gewählte Präsident Manuel Zelaya gestürzt wurde.

In dieser Situation konnte in den vergangenen Jahren der Eindruck entstehen, Sánchez Cerén sei nicht nur der Stellvertreter von Funes, sondern zugleich dessen linke Opposition. Das wurde besonders an der Haltung zu der 2004 von Hugo Chávez und Fidel Castro gegründeten Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA) deutlich. Funes lehnte einen von der Parteibasis geforderten Beitritt zu diesem antiimperialistischen Bündnis, dem sich neben Venezuela und Kuba inzwischen auch Bolivien, Nicaragua, Ecuador und mehrere kleine Karibikstaaten angeschlossen haben, ab. Sánchez machte demgegenüber genau damit Wahlkampf.

Doch ein wirklicher Kurswechsel kann nur gelingen, wenn er über Symbolpolitik hinausgeht. Wie andere Länder der Region befindet sich El Salvador fest im Griff internationaler Konzerne, die etwa in der Textilindustrie vor allem Frauen zu Elendslöhnen ausbeuten. Eine souveräne Wirtschafts- und Finanzpolitik wird dadurch erschwert, daß der US-Dollar die eigentliche Landeswährung und El Salvador außerdem Mitglied der von den USA dominierten Zentralamerikanischen Freihandelszone CAFTA ist. Die Armutsrate lag 2012 nach Angaben der Weltbank bei 34,5 Prozent, immerhin etwas weniger als die 37,8 Prozent beim Amtsantritt von Funes. Erschwert wird die Lage durch eine hohe Kriminalitätsrate, vor allem durch die Zehntausende Mitglieder zählenden Banden der »Mara Salvatrucha«. Für deren Entstehen ist Washington zumindest mitverantwortlich, denn die »Mara« entstanden aus Straßengangs lateinamerikanischer Immigranten in Städten der USA, die später in ihre Geburtsländer abgeschoben wurden. Der Staatsapparat ist zudem in weiten Teilen noch immer von Seilschaften aus den Zeiten der Diktatur (1980 bis 1992) dominiert, eine strafrechtliche Verfolgung der Verbrechen von Militär und Todesschwadronen hat es bis heute nicht gegeben. Mit einem Auswechseln des Kopfes an der Spitze ist es also auch in El Salvador nicht getan. Doch der Kurswechsel kann ein erster Schritt sein.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 11. März 2014


El Salvadors Linke vor knappem Wahlsieg

Salvador Sánchez Cerén, Kandidat der Ex-Guerilla FMLN, wird vermutlich neuer Präsident El Salvadors

Von Michael Krämer ***


Bei der Präsidentenwahl in El Salvador liefern sich die Kandidaten ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Ein klarer Sieger stand zunächst nicht fest.

Es ist ein echter Wahlkrimi in El Salvador geworden. Nach Auszählung von 99,9 Prozent der Wahlurnen kam Salvador Sánchez Cerén, Kandidat der regierenden FMLN, auf 50,11 Prozent der Stimmen gegenüber 49,89 Prozent für Norman Quijano von der rechten ARENA-Partei. Obwohl das Oberste Wahlgericht am Sonntagabend beiden Parteien untersagte, sich bis zur endgültigen Auszählung am Montag zum Sieger zu erklären, reklamierten beide Kandidaten den Wahlsieg bereits für sich.

Dabei ist Salvador Sánchez Cerén kaum noch einzuholen, auch wenn er nur gut 6000 Stimmen vor Norman Quijano liegt. Denn es geht nun vor allem um die Bewertung derjenigen Stimmen, die in den einzelnen Wahllokalen von einer der beiden Parteien angefochten wurden. Doch dies sind im ganzen Land nur etwa 4000.

Salvador Sánchez Cerén forderte in der Wahlnacht den politischen Gegner auf, »den Willen des Volkes zu respektieren« und den Wahlsieg der FMLN anzuerkennen. Norman Quijano hatte sich allerdings bereits gut zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale zum Sieger erklärt. Der knappe Ausgang kam für alle Beobachter überraschend, nachdem der FMLN-Kandidat in fast allen Umfragen seinen Vorsprung von etwa zehn Prozent aus dem ersten Wahlgang vor fünf Wochen gegenüber dem ARENA-Kandidaten verteidigen oder sogar noch etwas ausbauen konnte.

Am 2. Februar hatte Sánchez Cerén knapp 49 Prozent der Stimmen erreicht, fast zehn Prozent mehr als Norman Quijano. Gut zehn Prozent waren auf den früheren Präsidenten Antonio Saca gefallen, der nach der ARENA-Niederlage 2009 aus der Partei ausgeschlossen worden war und nun mit dem Mitte-Rechts-Bündnis »Unidad« angetreten war. Saca hielt sich auch nach dem ersten Wahlgang mit Kritik an ARENA nicht zurück und erklärte die FMLN indirekt zu einer wählbaren Partei. Doch die Wähler von Unidad haben sich nun meist doch wieder für ARENA entschieden.

Das Wahlergebnis zeigt, wie gespalten das Land ist. ARENA-Kandidat Quijano sprach dem Obersten Wahlgericht kurzerhand das Recht ab, ihm den Sieg noch streitig zu machen, einem Wahlgericht, das »gekauft und korrupt« sei. Seinen Anhängern vor der ARENA-Parteizentrale rief er am Sonntagabend zu: »Wir werden kämpfen und sind bereit, auch unser Leben zu geben!« Sogar ein Eingreifen des Militärs gegen »den Wahlbetrug« brachte Quijano ins Spiel. Das ging sogar der in El Salvador äußerst einflussreichen US-Botschaft zu weit, die gegen 22 Uhr ein Kommuniqué veröffentlichte, im dem sie zur Ruhe aufrief und forderte, die Ergebnisse des Obersten Wahlgerichts zu respektieren. Vor fünf Jahren hatte die FMLN erstmals die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Damals war sie mit dem populären Fernsehmoderator Mauricio Funes angetreten, Vizepräsident wurde Salvador Sánchez Cerén. Als die FMLN diesen vor anderthalb Jahren zu ihrem Kandidaten für die Wahlen 2014 kürte, lag Sánchez Cerén in Umfragen in der Wählergunst mehr als zwanzig Prozent hinter ARENA. Als dezidiert linker Kandidat und noch dazu mit seiner langjährigen Geschichte als Chef der größten Teilorganisation der FMLN-Guerilla wurde er zu sehr mit der gewalttätigen Vergangenheit El Salvadors identifiziert. Zugleich präsentierte ARENA mit Norman Quijano einen Kandidaten, der noch Anfang 2012 mit deutlichem Vorsprung als Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador wiedergewählt worden war.

Doch gemeinsam mit dem als gemäßigt geltenden Oscar Ortíz als Vizepräsidentschaftskandidat holte die FMLN in den Umfragen immer weiter auf. Zudem machte Quijano im Wahlkampf schwere Fehler. So nannte er die Unterstützungsleistungen für Arme »Geldverschwendung«.

Die FMLN konzentrierte sich darauf, die Erfolge der aktuellen Regierung von Präsident Mauricio Funes insbesondere im Sozialbereich zu präsentieren. Das brasilianische Wahlkampfteam der FMLN verpasste Sánchez Cerén ein betont moderates Auftreten. So sprach er kaum noch vom »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« und auch Venezuela, für viele FMLN-Linke das große Vorbild, rückte im öffentlichen Diskurs der FMLN deutlich in den Hintergrund. Doch in den letzten Wochen warnte ARENA immer wieder vor venezolanischen Verhältnissen, sollte die FMLN die Wahlen gewinnen. Nach zuletzt mindestens zwanzig Toten, permanenten Demonstrationen und einer schweren Wirtschaftskrise in Venezuela könnte diese Angstmache dem ARENA-Kandidaten viele zusätzliche Stimmen gebracht haben.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. März 2014


Der Comandante am Ziel

Von Michael Krämer ****

Viele seiner Anhänger nennen ihn bis heute Leonel González. Unter diesem Pseudonym kämpfte Salvador Sánchez Cerén lange Jahre in der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) – El Salvadors Guerilla-Organisation gegen die herrschende Oligarchie im Land. Sánchez Cerén, neuntes von zwölf Kindern eines Schreiners und einer Verkäuferin, begann sehr früh, sich gegen Armut und Unterdrückung zu engagieren. Mit 21 Jahren gründete der ausgebildete Lehrer mit einigen anderen 1965 die Lehrergewerkschaft »Andes 21 de junio«. Und mit 26 Jahren gehörte er 1970 zu den Gründungsmitgliedern der Volksbefreiungskräfte (FPL), die schon bald den bewaffneten Kampf gegen das regierende Militär aufnahm und sich 1980 mit vier weiteren Organisationen zur FMLN zusammenschloss.

FPL-Chef, Mitglied der Generalkommandantur der FMLN, Unterzeichner des Friedensabkommens mit der Regierung El Salvadors, FMLN-Vorsitzender, Parlamentsabgeordneter, Fraktionsvorsitzender und schließlich seit 2009 Bildungsminister – das sind die weitere Stationen in Sánchez' politischer Karriere, die nun ihren Höhepunkt erreicht hat. Am Sonntag wurde der 69-Jährige im zweiten Wahlgang zum neuen Präsidenten El Salvadors gewählt; denkbar knapp mit etwa 6000 Stimmen Vorsprung gegenüber dem rechten Kandidaten. Noch in der Wahlnacht rief Sánchez die unterlegene ARENA-Partei auf, mit ihm »zusammenzuarbeiten, um El Salvador voranzubringen«. Das könnte allerdings ein frommer Wunsch bleiben.

Im Wahlkampf gab sich der FMLN-Kandidat betont moderat. Viel spricht dafür, dass er diesen Kurs nach dem 1. Juni, wenn er sein Amt übernimmt, beibehält. Vom Sozialismus des 21. Jahr- hunderts wird er als Präsident wohl kaum noch sprechen und stattdessen auf ein möglichst gutes Verhältnis zu den USA achten. Ob die USA dem gewählten Präsidenten verziehen haben, dass er als Leonel González auch gegen die US-Vorherrschaft im Lande kämpfte, ist allerdings ungewiss.

**** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 12. März 2014


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