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Machtkampf vor Entscheidung, 03.04.2011

Truppen Ouattaras gewinnen in der Côte d'Ivoire die Oberhand *

Der Machtkampf in der Côte d'Ivoire steht vor der Entscheidung. Dem Wahlgewinner Ouattara dürfte der Sieg nicht mehr zu nehmen sein. Aber noch klammert sich Präsident Gbagbo an die Macht.

Im Kampf um die Präsidentschaft der Côte d'Ivoire scheint sich Wahlsieger Alassane Ouattara durchzusetzen. Seine Truppen rückten am Freitag in Abidjan trotz Widerstands weiter zum Präsidentenpalast vor, berichtete BBC. Der abgewählte Präsident des westafrikanischen Landes, Laurent Gbagbo, will allerdings nicht aufgeben, sagte Sprecher Abdon Georges Bayeto der BBC. »Der Präsident wird nicht zurücktreten.«

Unklar war am Freitag (1. Apr.) der Aufenthaltsort Gbagbos. Er scheine in der Nacht den Präsidentenpalast verlassen zu haben, berichtete die Zeitung »Le Monde« online. Eine Flucht ins Ausland wäre nur schwer möglich, da Ouattara die Grenzen hat schließen lassen. Die UN-Truppen haben den Flughafen Abidjans unter Kontrolle.

In den vergangenen Tagen haben die Kräfte Ouattaras fast das ganze Land bis auf einige Hochburgen Gbagbos eingenommen. Ein namentlich nicht genannter Offizier sagte der Nachrichtenagentur dpa in Abidjan: »Die Polizei und etwa 50 000 Soldaten haben ihre Posten aufgegeben ... Für Gbagbo kämpfen nur noch etwa 2000 Mann aus Republikanischer Garde und bewaffneten Studenten«. Auch ein Sprecher der UN-Truppen UNOCI sprach von rund 50 000 Soldaten und Offizieren, die zu Ouattaras Truppen übergelaufen seien oder die Waffen niedergelegt hätten.

Gbagbo weigert sich, die Macht dem vom Ausland anerkannten Wahlsieger Ouattara zu übergeben. Er geht dabei seit Monaten mit Waffengewalt gegen seine Widersacher vor und attackiert auch die UN-Soldaten im Land. Eine schwedische UN-Mitarbeiterin wurde bei den Kämpfen getötet. Sie war am Donnerstag vermutlich versehentlich zwischen die Fronten geraten. Nach UN-Schätzungen haben die Kämpfe zwischen den Anhängern von Gbagbo und Ouattara bisher etwa 500 Todesopfer gefordert. Rund eine Million Menschen seien auf der Flucht.

Ouattara forderte die Armee in einer Fernsehansprache auf, die Waffen niederzulegen und einen Bürgerkrieg zu vermeiden. Die Republikanischen Truppen hätten Abidjan erreicht, ein weiteres Blutvergießen sei sinnlos. »Ich rufe Sie auf, sich ihrem Land zur Verfügung zu stellen und zur Legalität zurück zu kehren«, sagte Ouattara im Sender TCI. Die französische Botschaft in Abidjan rief alle Franzosen auf, möglichst nicht das Haus zu verlassen. Hunderte Ausländer flüchteten französischen Medienberichten zufolge auf das Gelände französischer Truppen in Abidjan. Das schnelle Vorrücken der Ouattara-Truppen, die am Mittwoch auch die politische Hauptstadt Yamoussoukro unter ihre Kontrolle gebracht hatten, hatte viele überrascht.

Ouattaras Sprecher Patrick Achi sagte dem Fernsehsender CNN, es werde nur noch »Stunden, vielleicht Tage« dauern, bis Gbagbo stürzen werde. Die Armee wolle nicht für Gbagbo kämpfen.

Seit dem spätem Donnerstagabend (31. März) sendete der staatliche Fernsehsender kein aktuelles Programm mehr, sondern strahlte nur noch Dokumentarsendungen aus.

Wegen der Kämpfe in Côte d'Ivoire sind Ausfuhren über See, Land und Luft gestoppt worden. Das Land ist einer der wichtigsten Kakaoexporteure. Schokoladenhersteller befürchten Engpässe. Dadurch könnte die Herstellung teurer werden, es drohen höhere Preise. Bei dem weltweit größten Schokoladenhersteller Barry Callebaut werde weiter in den afrikanischen Fabriken produziert, teilte der Konzern mit. Allerdings könne das Schweizer Unternehmen seit dem Exportverbot durch Gbagbo keine Ware ausführen.

* Aus: Neues Deutschland, 2. April 2011


Schlacht um Côte d’Ivoire

Von Gerd Schumann **

Rauchschwaden über Abidjan: Die Schlacht um die politische Macht in Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) stand am Freitag (1. Apr.) vor der Entscheidung. Die Truppen des vom Westen unterstützten Präsidentschaftsaspiranten Alassane Ouattara hatten in der Nacht zuvor die Drei-Millionen-Metropole am Gold von Guinea erreicht und sollen mittlerweile 80 Prozent des Landes kontrollieren. Verschiedenen Quellen zufolge wurden sie logistisch, mit Waffen und Militärberatern der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich unterstützt. BBC zitierte einen Augenzeugen, der den Einsatz »einiger UN-Hubschrauber« beobachtete: »Doch die meisten stellten die Franzosen.«

Am Freitag abend (1. Apr.) hielt die Belagerung des Präsidentensitzes in Abidjan an. Der amtierende Staatschef Laurent Gbagbo werde dort von Spezialtruppen und der Republikanischen Garde verteidigt, hieß es. Gbagbo, der Côte d’Ivoire seit elf Jahren regiert, war am Donnerstag abend von seinem Rivalen ultimativ aufgefordert worden, sofort zurückzutreten. »Andernfalls werden wir ihn leider dort holen, wo er sich befindet«, drohte Guillaume Soro, Ouattaras »Premierminister«.

Gbagbos Europa-Vertreter Toussaint Alain sagte in Paris, der Präsident sei »auf ivorischem Territorium« und werde »bis zum Ende kämpfen«. Ouattaras Offensive sei ein »Staatsstreich«, der »von einer internationalen Koalition« um afrikanische Staaten sowie Frankreich und USA unterstützt werde. Outtara zur Seite stünden »Söldner und Soldaten aus Burkina Faso, sowie aus Mali und Nigeria«, zitiert die Agentur AFP Alain.

Unterdessen wuchs von Stunde zu Stunde die Wahrscheinlichkeit, daß die über 10000 in Côte d’Ivoire stationierten Blauhelme der UNOCI sowie die etwa 900 französischen Legionäre offen in die Kämpfe eingreifen. Sie hatten bereits in den vergangenen Monaten unter anderem das Golf-Hotel Abidjan, Ouattaras Hauptquartier, abgeschirmt. Die Rebellentruppen, die ihre militärische Offensive am Montag starteten, durften unbehelligt von der UNOCI die Grenzlinie zwischen Nord und Süd passieren. Am Mittwoch schließlich forderte der UN-Sicherheitsrat in einer Dringlichkeitssitzung auf Antrag Frankreichs und Nigerias noch einmal den Rücktritt Gbagbos und stärkte den vorrückenden Bewaffneten den Rücken.

Nunmehr verbreitet diese bunt zusammengewürfelte Truppe aus der Nordarmee FN (Forces Nouvelles) und Ouattara-Unterstützern aus dem Süden, die sich seit einigen Tagen FRCI (Republikanische Streiktkräfte) nennt, Angst und Schrecken. Die Vereinten Nationen warnten die Rebellen »eindringlich« vor »schweren Menschenrechtsverstößen«. Ihnen werden Plünderungen, Erpressungen, Entführungen, willkürliche Festnahmen und Mißhandlungen von Zivilisten vornehmlich im Westen des Landes vorgeworfen, so ein Sprecher der UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay am Freitag in Genf. Aus Abidjan lägen zudem Berichte über »mehrere getötete Zivilisten« vor.

Während ein allgemeines Chaos das Geschehen zunehmend prägt, während die Massenfluchten anhalten und ein lang andauernder Bürgerkrieg droht, jubiliert die Börse. Es herrsche ein »fundamentales Marktvertrauen« für die politische Richtung einer nunmehr zu erwartenden Regierung unter Ouattara, meldete die Wirtschafts­agentur Bloomberg. Côte d’Ivoire ist der größte Kakaoproduzent der Welt.

** Aus: junge Welt, 2. April 2011


Unrühmlicher Abgang

Von Martin Ling ***

Gbagbo ist Vergangenheit.« Diese Aussage belegt, dass sich Alassane Ouattara seiner Sache sicher ist – der Übernahme der Präsidentschaft in Côte d'Ivoire. Auch wenn die Kämpfe in der Wirtschaftsmetropole Abidjan rund um den Präsidentenpalast noch toben, ist das Ende der Herrschaft von Laurent Gbagbo besiegelt. Daran ändern auch die über seinen Sprecher verkündeten Durchhalteparolen nichts mehr, wonach Gbagbo »bis zum Ende kämpfen« wird. Offen ist lediglich noch, ob es ein Ende mit Schrecken oder ein Schrecken ohne Ende wird und sich die Schlacht um Abidjan über lange Zeit mit einem hohen Blutzoll hinzieht.

Gbagbo hat keinen Trumpf mehr in der Hand, den er ausspielen könnte. Die internationale Gemeinschaft, ob die Staaten in Afrika oder darüber hinaus, haben sich allesamt nach den Wahlen vor vier Monaten auf die Seite Ouattaras gestellt und seinen Wahlsieg anerkannt, den Gbagbo bis heute mit Verweis auf Betrug seitens seines Kontrahenten bestreitet. Der UNO-Sicherheitsrat hat die Rücktrittsforderung mit seiner Resolution 1975 bekräftigt und zudem Sanktionen verhängt, die Gbagbo an die Wand drücken.

Dennoch scheint sich Gbagbo bis zum Schluss in seinem Machtwahn treu zu bleiben: Schon vor den von ihm seit 2005 sechs Mal verschobenen Wahlen kündigte er an: »Ich bin an der Macht und da bleibe ich.« Und daran hielt er seitdem fest. Sämtliche Vermittlermissionen afrikanischer Staaten scheiterten an seiner Unnachgiebigkeit. Den goldenen Handschlag lehnte er ebenso ab wie Exilangebote. Nun bleibt ihm nur noch der unrühmliche Abgang – je schneller, desto besser für das Land.

*** Aus: Neues Deutschland, 2. April 2011 (Kommentar)


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