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"Kurz vor einem Völkermord"

Eskalation des Machtkampfes in Côte d'Ivoire befürchtet / Gbagbo will nicht einlenken *

Angesichts des anhaltenden Machtkampfs in Côte d'Ivoire wächst die Angst vor einem Bürgerkrieg.

Sein Land stehe »kurz vor einem Völkermord«, sagte der neue ivorische UN-Botschafter Youssoufou Bamba in New York. Anhänger des eigenmächtig im Amt verbliebenen Präsidenten Laurent Gbagbo drohten mit dem Sturm auf das Hauptquartier des international anerkannten Wahlsiegers Alassane Ouattara. Bamba ist der erste von Ouattara ernannte Botschafter, der die Arbeit aufgenommen hat.

Ouattara sei »wirklich besorgt« über die Angriffe auf seine Anhänger, sagte Bamba. Es seien Menschen getötet worden, nur »weil sie demonstrieren wollten, sich Gehör verschaffen, den Willen des Volkes verteidigen«. Der Botschafter hob hervor, dass der Schutz der Zivilbevölkerung eine Kernaufgabe der UN-Mission in Côte d'Ivoire (UNOCI) sei »und wir erwarten von den Vereinten Nationen, dass sie ihre Mission erfüllen«.

Ban sagte Ouattaras Regierung die »volle Kooperation« der UNO zu. Die internationale Gemeinschaft sieht in Ouattara den rechtmäßigen Sieger der Präsidentschaftswahl von Ende November.

Bislang deutet jedoch nichts auf ein Einlenken Gbagbos hin: Er hat die Armee hinter sich, Ouattara und sein Kabinett hingegen müssen sich in einem von UN-Blauhelmsoldaten bewachten Hotel in Abidjan verschanzen. Anhänger Gbagbos drohten am Mittwoch mit dem Sturm auf das Hotel. Am Neujahrstag werde die »Jugend von Côte d'Ivoire« das Gebäude »mit bloßen Händen befreien«, kündigte Jugend- und Arbeitsminister Charles Blé Goudé vor einer jubelnden Menge an.

UNOCI-Chef Alain Le Roy warf den von Gbagbo kontrollierten Staatsmedien vor, zum Hass auf die 9100 Blauhelmsoldaten im Land anzustacheln. Gbagbo hatte die UN-Soldaten aufgefordert, Côte d'Ivoire zu verlassen, weil sie aus seiner Sicht gemeinsame Sache mit Ouattara machen. Am Dienstag hatten Anhänger Gbagbos einen UN-Konvoi angegriffen und einen Blauhelmsoldaten mit einer Machete verletzt.

Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen im Zuge des Machtkampfes in Côte d'Ivoire waren nach UN-Angaben zwischen dem 16. und 21. Dezember mindestens 173 Menschen getötet worden. Aus Angst vor einem Bürgerkrieg flüchteten etwa 19 000 Ivorer ins benachbarte Liberia.

Eine Vermittlungsmission der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS war am Dienstag gescheitert. Den Staatschefs von Sierra Leone, Benin und Kap Verde gelang es nicht, Gbagbo zum Machtverzicht zu bewegen. Dennoch setzt die ECOWAS weiter auf Verhandlungen. Von dem von ihr angedrohten Militäreinsatz in Côte d'Ivoire sehe die Staatengemeinschaft vorerst ab, erklärte ein kapverdischer Regierungsvertreter. Der nigerianische Präsident und amtierende ECOWAS-Vorsitzende Goodluck Jonathan sagte, die Gespräche würden fortgesetzt.

Die 27 EU-Staaten einigten sich nach Angaben des französischen Außenministeriums darauf, künftig nur Botschafter aus Côte d'Ivoire zu akzeptieren, die von Ouattara ernannt wurden. Außerdem weitete die EU Einreiseverbote für Gbagbo-Vertraute aus, die Sanktionen sollen Anfang Januar in Kraft treten. Das kanadische Außenministerium teilte mit, dass es den von Gbagbo ernannten Botschafter nicht mehr anerkenne.

Das deutsche Auswärtige Amt hat sich besorgt über die Entwicklung in Côte d'Ivoire geäußert. »Das Scheitern der bisherigen Vermittlungsbemühungen ist angesichts des enormen Gewalt- und Eskalationspotenzials der Situation sehr bedauerlich«, erklärte der Sprecher des Außenministeriums, Andreas Peschke, am Donnerstag in Berlin. Die Entwicklung in der westafrikanischen Republik werde mit »großer Sorge« verfolgt.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Dezember 2010


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