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Unabhängigkeit bedeutet nicht Freiheit

Eritreas Regime knechtet seine Bevölkerung

In "Forum Weltkirche" (126. Jg. Heft 1, Januar/Februar, 7 - 12) hat Hans-Peter Hecking, der Leiter des Missio-Afrikareferates, soeben einen Artikel veröffentlicht über die Lage in Eritrea. Der Artikel wird demnächst auch auf der Homepage von Missio erscheinen (www.missio.de). Wir dokumentieren den Beitrag nachfolgend im Wortlaut und beanken uns beim Autor für die freundliche Erlaubnis der "Zweitverwertung" des Manuskripts.



Von Hans-Peter Hecking

Eritrea, der jüngste Staat auf afrikanischem Boden, wird im kommenden Jahr den fünfzehnten Jahrestag seiner staatlichen Souveränität begehen. Doch Feierstimmung wird bei der Mehrheit der rund vier Millionen Einwohner, die neun unterschiedlichen Ethnien angehören, kaum aufkommen. Zu groß ist die Not in dem diktatorisch regierten Einparteienstaat von nur knapp einem Drittel der Größe Deutschlands.

Die wichtigste Weichenstellung auf dem Weg zur staatlichen Unabhängigkeit des Landes, in dem 1941 eine 50 Jahre dauernde italienische Kolonialherrschaft zu Ende ging, war der militärische Sieg der eritreischen Befreiungsbewegung am 24. Mai 1991 über die äthiopische Armee, der das Ende eines dreißigjährigen Befreiungskrieges gegen den „großen Nachbarn“ am Horn von Afrika bedeutete. Der bewaffnete Widerstand in dem Land am Roten Meer, das – eine politische Notlösung - 1952 per UN-Beschluss als autonomer Teil der äthiopischen Föderation zuerkannt worden war, hatte begonnen, als sich Äthiopien zunehmend mehr als Besatzungsmacht aufspielte, geltende Autonomierechte Eritreas durch eine Politik der „Äthiopisierung“ brach und das Land schließlich 1962 widerrechtlich annektierte.

Der Preis war hoch, den Eritrea für den Sieg über die äthiopische Herrschaft zunächst unter Führung Kaiser Haile Selassies und, nach dessen Sturz 1974, des kommunistischen Derg-Regimes von Mengistu Haile Mariam zahlen musste. Die Hälfte der ohnehin mangelhaften Infrastruktur des jungen Landes war zerstört. Mehr noch als die materiellen Einbußen erschwerten die menschlichen Verluste, die der Krieg gefordert hatte, den Aufbau eines funktionierenden Staats- und Gesellschaftswesens. Die Zahl der Toten und Verwundeten ging in die Tausende. Einer ganzen Generation von jungen Männern und Frauen, die sich dem bewaffneten Kampf gegen Äthiopien verschrieben hatten, mangelte es an einer ordentlichen Schul- und Berufsausbildung, die der junge Staat dringend für den Wiederaufbau gebraucht hätte. Es fehlen dem Land auch heute noch jene gut ausgebildeten Bürgerinnen und Bürger, die während drei Kriegsjahrzehnten vor den Kampfhandlungen flüchteten oder aus Furcht vor der Rache der alten und neuen Machthaber Zuflucht im Ausland suchten. Schätzungen gehen von mehr als einer halben Million Flüchtlingen aus, die damals das Land der Kriegswirren wegen verließen und bis heute nicht aus den USA und Europa, Sudan oder Saudi-Arabien zurückgekehrt sind.

Mit der Unabhängigkeit in die Diktatur

Seit Beginn seiner Eigenstaatlichkeit 1993, die durch einen Volksentscheid unter UN-Aufsicht herbeigeführt wurde, ist Isaias Afewerki Staatspräsident und zugleich Regierungschef der Republik Eritrea. Der ehemalige Freiheitskämpfer mit militärischer Ausbildung in der Volksrepublik China hatte sich einen Namen als strategischer Kopf im Unabhängigkeitskrieg gemacht. Im Kampf gegen das verhasste Mengistu-Regime war es Isaias Afewerki sogar gelungen, seine Befreiungsorganisation „Eritrean People’s Liberation Front“ (EPLF) mit der TPLF, der Freiheitsbewegung „Tigray People's Liberation Front“, auf äthiopischer Seite zu verbünden. Das Zweckbündnis mit dem TPLF-Führer Meles Zenawi zerbrach bald nach dem Sieg über den gemeinsamen Feind und der ehemalige Kombattant, der seit 1995 als Premierminister in Äthiopien regiert, ist längst zum Intimfeind Nr. 1 des eritreischen Staatschefs geworden.

Isaias Afewerki errichtete mit Unterstützung der einzigen in Eritrea zugelassenen Partei „Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit“ (PFDJ), die nach der Gründung des Staates aus der EPLF hervorging, eine brutale Diktatur, die grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien missachtet und fundamentale Bürger- und Menschenrechte verletzt. Die 1997 ratifizierte neue Verfassung wurde niemals verabschiedet, Wahlen auf unbestimmte Zeit verschoben.

Das Recht auf freie Religionsausübung existiert in Eritrea nicht. Vor allem Angehörige protestantischer Freikirchen und pfingstkirchlicher Sekten werden durch den Staat verfolgt. Regelmäßig wird über Zwangsschließungen freikirchlicher Versammlungshäuser berichtet. Nach geltendem Gesetz sind als anerkannte Religionsgemeinschaften neben dem Islam, dem wie dem Christentum ungefähr 50 Prozent der Bevölkerung angehören, nur drei christliche Konfessionen zugelassen: die ab dem frühen 4. Jahrhundert in der Region beheimatete orthodoxe Tewahedo-Kirche, die sich seit der Selbstständigkeit Eritreas zunehmend mehr von der in orthodoxen Tewahedo-Kirche in Äthiopien entfernt, sowie die protestantische und die katholische Kirche.

Die Bewegungs- und Reisefreiheit wird durch den eritreischen Staat in hohem Maße beeinträchtigt. Auslandsreisen für Bürgerinnen und Bürger unter 40 Jahren, etwa für junge Priester, die zu weiterführenden Studien ins Ausland sollen, werden kaum noch genehmigt. Ausländische Besucher, selbst Mitarbeiter von Botschaften in Asmara, müssen für Fahrten in Gebiete außerhalb der Hauptstadt eine spezielle Reiseerlaubnis bei den zuständigen eritreischen Regierungsstellen beantragen.

Seine Meinung öffentlich zu äußern, ist in Eritrea gefährlich. Katholische Mitarbeiter beispielsweise legen aus Furcht vor staatlichen Repressalien Wert darauf, dass ihre Namen in Interviews und Berichten über ihr Heimatland nicht genannt werden. Die Freiheit der Presse und das Recht auf freie politische Meinungsäußerung wurden in den zurückliegenden Jahren eines schwelenden Grenzkonflikts mit Äthiopien noch mehr beschnitten. Eritrea ist mittlerweile das einzige schwarzafrikanische Land ohne freie Presse- und Medienlandschaft. Es gibt weder private Rundfunk- noch Fernsehsender. Auch Texte zur Veröffentlichung in diözesanen Mitteilungsblättern müssen vorher durch die staatliche Zensur. Nach Berichten des in den USA ansässigen „Committee to Protect Journalists“ (CPJ) vom vergangenen September sitzen seit 2001, als alle unabhängigen Zeitungen wegen „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ geschlossen wurden, noch immer 13 Journalisten ohne Prozess in Geheimgefängnissen ein. Damit sei Eritrea, so CPJ, „der viertgrößte Kerkermeister für Journalisten weltweit hinter China, Kuba und Äthiopien“. Auslöser des Vorgehens gegen die freie Presse vor mehr als fünf Jahren war ihre Berichterstattung über die massive Einschüchterung politischer Opposition, als Isaias Afewerki hochrangige Mitglieder seiner eigenen Partei und Regierung, die sich nach dem Grenzkrieg für demokratische Reformen stark gemacht hatten, inhaftieren ließ und des Landesverrats beschuldigte. Die Politiker, darunter der ehemalige Außenminister, sitzen bis heute ohne Gerichtsverfahren und ohne jeden Kontakt zur Außenwelt in Geheimgefängnissen. Amnesty International berichtet von Tausenden von Regierungsgegnern und Dissidenten in Isolationshaft.

Der hohe Preis eines Grenzkonfliktes

Die verheerende gesellschaftliche Lage Eritreas, das ohnehin bereits zu den ärmsten Ländern der Welt gehörte, hat sich im Zuge des zweijährigen blutigen Grenzkrieges mit Äthiopien, den Isaias Afewerki 1998, nur fünf Jahre nach dem Erreichen der staatlichen Unabhängigkeit, anzettelte, noch verschärft. Die Kampfhandlungen forderten auf beiden Seiten mehr als 100.000 Tote. Rund 1,3 Millionen Menschen wurden beiderseits der Grenze zur Flucht gezwungen. Die Zahl derjenigen, die direkt oder indirekt schwere Verwundungen an Leib und Seele davontrugen, gehen in die Zehntausende.

Seit dem Friedensvertrag von Algier im Dezember 2000 herrscht ein brüchiger Friede an der geschlossenen 1.000 Kilometer langen Grenze zwischen beiden Ländern, der derzeit noch immer von 2.300 UN-Soldaten gesichert werden muss. Die von einer unabhängigen Grenzkommission im April 2002 festgesetzte Demarkationslinie wird von Äthiopien nach wie vor nicht vollständig akzeptiert. Die äthiopische Seite boykottiert seit Jahren den Fortgang der Verhandlungen unter Beteiligung internationaler Vermittler zur Regelung der Grenze in den Tigray-Bergen. Und Eritrea lässt nicht ab von andauernden militärischen Grenzprovokationen sogar gegen die UN-Friedenstruppe, die eine 25 Kilometer Pufferzone auf eritreischer Seite besetzt.

Die wegen der kirchengeschichtlichen Verflechtungen der beiden Länder nach wie vor in einer Konferenz zusammengeschlossen katholischen Bischöfe von Eritrea und Äthiopien müssen sich der geschlossenen Grenze wegen außerhalb ihrer Heimatländer zu ihren jährlichen Plenarversammlungen treffen. In gemeinsamen Erklärungen ermahnten sie zum wiederholten Male ihre Regierungen, den Konflikt zu überwinden, dem friedlichen Miteinander und der Versöhnung ihrer Völker Vorrang zu geben und zitierten dabei die Worte Papst Johannes Paul II.: „Wenn wir nicht in Eintracht zusammengehen, dann gehen wir getrennt in den Untergang.“

Militarisierung und verfehlte Wirtschaftspolitik

Die Militarisierung der eritreischen Gesellschaft hat seit dem jüngsten Waffengang mit Äthiopien in erschreckendem Maße zugenommen. Der 1994 gesetzlich angeordnete anderthalb Jahre dauernde „nationale Dienst“, wie die sechsmonatige militärische Ausbildung und der sich anschließende Arbeitsdienst in staatlichen Bau- und Ernteprojekten für alle 18- bis 40-Jährigen offiziell genannt wird, wurde per Regierungserlass auf unbestimmte Zeit verlängert. Das hat zur Konsequenz, dass seit 1998 kaum noch jemand aus der Armee entlassen wurde. Die durch die Armee gebundenen jungen Arbeitskräfte fehlen vor allem im Handwerk und in der Landwirtschaft. Der Mangel an jungen Handwerkern auf privaten Baustellen ist augenfällig und kann nur unzureichend durch ältere Arbeiter kaschiert werden. Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit etwa 50 Prozent der landwirtschaftlichen Erwerbskräfte durch die Militärzeit gebunden sind. Deshalb gingen die Erträge der bäuerlichen Kleinstbetriebe, die für mehr als 80 Prozent der Bevölkerung die karge Existenzgrundlage bieten, in den vergangenen Jahren nicht nur durch ausbleibende Regenzeiten und die zentral gelenkte Wirtschaftspolitik der Regierung erneut zurück, sondern vor allem durch die ausbleibende Entlassung der Wehrpflichtigen, die mehrheitlich Bauern sind, aus den Streitkräften.

Die gesamte Wirtschaft wird inzwischen über staatliche Betriebe gelenkt, die den freien Warenverkehr unterbinden und die Preise für Güter wie Stahl und Zement im importabhängigen Bausektor in schier unbezahlbare Höhen treiben. Die Energieknappheit ist mittlerweile chronisch. Vor allem außerhalb der Hauptstadt sind die Zapfsäulen an den wenigen Tankstellen häufig außer Betrieb. Ordensleute informierten jüngst darüber, dass die Regierung inzwischen Dieselkraftstoff rationiert. Die ihnen zugeteilten 30 Liter monatlich, so beklagten sie, reichen für die Fahrten in die entlegenen Gemeinden zur Erledigung der pastoralen und sozialen Aufgaben bei weitem nicht aus. Die notwendigen staatlichen Devisen für den teuren Energieimport fehlen. Das ist auch der Grund dafür, warum das einzige, mit Erdöl getriebene Elektrizitätswerk des Landes bei Massawa am Roten Meer kontinuierlich zu wenig Strom erzeugt, um das rudimentäre Elektrizitätsnetz des Landes ausreichend zu versorgen. So sind selbst in der Hauptstadt allabendlich ganze Stadtviertel ohne Strom und die wenigen ausländischen und einheimischen Gäste müssen sogar in den wenigen größeren Hotels bei „Candlelight“ ihr Abendessen einnehmen.

Sawa – ein Synonym für Hoffnungslosigkeit

In dem Land, das selbst in den „guten Jahren“ zwischen den beiden Kriegen mit Äthiopien seine Bevölkerung kaum ernähren konnte, verschärft sich die soziale Lage zusehends. Dazu trägt auch bei, dass statt eine Demobilisierung der Streitkräfte einzuleiten, die Rekrutierungsmaßnahmen seit dem Ende des Grenzkrieges mit Äthiopien noch zugenommen haben. „Diese unsinnigen Maßnahmen sind verheerend für unsere Volkswirtschaft, und für alle, die zum Dienst eingezogen werden, ist damit eine unvorstellbare Perspektivlosigkeit verbunden, denn jeder fragt sich: Wann komme ich wieder nach Hause, um die Felder zu bestellen, die meine Familie ernähren“, beschreibt ein kirchlicher Mitarbeiter die Ausweglosigkeit der Wehrpflichtigen.

Ein verfassungsmäßiges Recht auf Wehrdienstverweigerung gibt es in Eritrea nicht. Wer sich dem Militärdienst entzieht, wird mit Gefängnisstrafen bedroht. Zeugen Jehovas etwa, die den Wehrdienst aus religiösen Gründen verweigern, sitzen seit Jahren, wie von Menschenrechtsorganisationen berichtet wird, ohne Kontaktmöglichkeit zur Außenwelt in Haft. Es wird über Folterungen von inhaftierten Wehrdienstverweigerern und Deserteuren in inoffiziellen und vielfach unterirdisch angelegten Gefängnissen berichtet. Verhaftete Frauen müssen Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe über sich ergehen lassen. Inhaftierte, so hört man, werden in viel zu enge, überhitzte Metallcontainer gesperrt. Eine besonders perfide Methode der Folter ist es, wie berichtet wird, Gefangene an Händen und Füßen auf dem Rücken gefesselt und mit dem Gesicht auf der Erde tagelang nackt oder kaum bekleidet der brütenden Sonne und der nächtlichen Kälte auszusetzen.

Die staatliche Einflussnahme auf die Schuljugend habe sich, so berichten Mitarbeiter der katholischen Kirche, in den letzten Jahren noch verschärft, seitdem alle für die letzte Klasse der Oberstufe in das zentrale militärische Ausbildungslager nach Sawa beordert werden, wo sie auch die Abiturprüfung ablegen. „Sawa ist für unsere Jugendlichen zum Synonym für Hoffnungslosigkeit geworden“, erklärt ein Priester aus Eritrea. In den Schulen, wo das Militär regelmäßig Rekrutierungsrazzien durchführt, fehlten mittlerweile ein Großteil der älteren Schüler und Schülerinnen. Sie sind „in Sawa“ oder aus Furcht vor dem Militärlager untergetaucht. Die Rektorin einer Dorfschule informierte, dass sogar nur älter aussehende Schüler ab 15 Jahren dem Unterricht fernbleiben, nachdem sie erlebten, wie Gleichaltrige von der Schulbank weg in das militärische Ausbildungslager nach Sawa gebracht wurden. Wer es schafft, setzt sich in eines der benachbarten afrikanischen Länder ab, wo die Zahl der jugendlichen Flüchtlinge aus Eritrea mittlerweile in die Tausende geht. Manchen von ihnen gelingt es, nach qualvollen Strapazen quer durch den Kontinent und unter Lebensgefahr als Boatpeople das rettende Ufer in Spanien oder Italien zu erreichen.

Eltern, die Rekruteuren keine Auskunft über den Verbleib ihrer untergetauchten Kinder geben können oder wollen, werden peinlichen Verhören unterzogen oder gar auf unbestimmte Zeit in Lagerhaft genommen, um mit Foltermethoden den Aufenthaltsort der Kinder zu erpressen. Ein Priester berichtete, dass er sogar die hochschwangere Mutter eines geflüchteten Wehrpflichtigen ausgehungert, ohne ausreichend Wasser und nur spärlich bekleidet als Gefangene in einem der Untersuchungslager angetroffen habe.

Das gestörte Verhältnis zwischen Staat und Kirche

Der zunehmende Rekrutierungsdruck und die ausbleibende Demobilisierung haben unter anderem erhebliche negative Auswirkungen auf das kirchliche Leben. In den Gemeinden macht sich inzwischen das Fehlen junger Katechistinnen und Katechisten schmerzlich bemerkbar. Auch Priester, Ordensleute und Seminaristen sind von der Militärpflicht nicht ausgenommen. Mehrmals bereits haben die Bischöfe der drei katholischen Bistümer („Eparchien“) des Landes, die dem äthiopisch-orthodoxen Ge’ez-Ritus folgen, deshalb in Petitionen die Regierung ersucht, Priester und Seminaristen vom Militärdienst freizustellen, denn sie fürchten um die Glaubwürdigkeit der Kirche, wenn Kleriker Dienst an der Waffe tun, statt sich um die Seelsorge und um dringend notwendige Aufgaben in Bildung und im sozialen Bereich zu kümmern. Die Regierung hielt es bisher nicht für nötig, die Bittschriften der Bischöfe auch nur zu beantworten. Öffentliche Rückendeckung in ihrem Begehren erhielten die Bischöfe durch Papst Benedikt XVI. In seiner Rede am 1. Dezember 2005 anlässlich der Akkreditierung des neuen Botschafters der Republik Eritrea beim Hl. Stuhl, Petros Tseggai Asghedom, verlangte er, das „Recht“ der Priester und Ordensleute „auf Befreiung vom Militärdienst zu achten: Sie können“, so der Papst, „Eritrea besser dienen, wenn sie frei sind, ihrer christlichen und ihrer jeweiligen persönlichen Berufung zu folgen.“

Das Verhältnis zwischen Staat und katholischer Kirche ist seit 2001 erheblich gestört, als sich die eritreischen Bischöfe zum zehnten Jahrestag des Unabhängigkeitssieges in einem sehr couragierten Pastoralbrief unter dem Titel „God Loves This Country“ („Gott liebt dieses Land“) an die Nation und ihre politischen Führer wandten. In ihrem Schreiben würdigen die drei Oberhirten, die nicht mehr als nur 120.000 Katholiken in Eritrea vorstehen, zunächst die Aufbauleistungen ihres Volkes nach all den Kriegszerstörungen und Dürrekatastrophen, um sodann mit sehr nachdrücklichen Worten für den Aufbau einer gerechten und pluralen Gesellschaft einzutreten, in der die Menschenrechte und die Würde der menschlichen Person geschützt und soziale Gerechtigkeit sowie ganzheitliche Entwicklung für jedermann ermöglicht werden. Dabei benennen sie explizit das Recht auf Religionsfreiheit, das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit und sie fordern die Vorbereitung von demokratischen Wahlen, die Verabschiedung einer gerechten Verfassung, die Beseitigung korrupter Strukturen und die Bekämpfung der Inflation. In einem eigenen Kapitel widmen sie sich der Gleichheit und der Würde der Frau in Familie und Gesellschaft. Als eine besondere gesellschaftliche Herausforderung rufen die Bischöfe schließlich zu einem angemessenen und entschlossenen gemeinsamen Kampf gegen HIV/AIDS in Eritrea auf, wo sich die Krankheit durch die Tabubrüche in Kriegszeiten und nach wie vor weithin übliche Praxis der Genitalbeschneidung rasant verbreitet.

Seit der Veröffentlichung dieses Hirtenwortes, das von den drei inzwischen verstorbenen bzw. emeritierten Bischöfen von Asmara, Keren und Barentu vor fast sechs Jahren herausgegeben wurde, verzichtete die Staatsführung bis heute auf persönliche Begegnungen und offiziellen Dialog auch mit ihren Nachfolgern.

Umso mehr fühlen diese sich durch den Papst ermutigt, der dem Vertreter ihres Volkes beim Heiligen Stuhl im Dezember 2005 in Erinnerung rief:„Auch wenn sie nur einen geringen Teil der Bevölkerung Eritrea darstellen, können die Katholiken durch ihr christliches Zeugnis und ihren Einsatz zur Förderung des Gemeinwohls in bedeutender Form zum Leben der Nation beitragen.“




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