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Russische Avancen an Helsinki

Vor Reichstagswahlen in Finnland eskaliert der Sprachenstreit

Von Gregor Putensen *

Im finnischen Sprachstreit kommt eine neue Komponente hinzu: In den Schulen der östlichen Regionen könnte bald Russisch auf dem Stundenplan stehen.

Die Beziehungen zwischen Finnland und Russland liefen 2010 trotz kleinerer Probleme insgesamt positiv. Mitte Dezember trafen sich die finnische Staatschefin Tarja Halonen und Russlands Premier Wladimir Putin zur gemeinsamen Jungfernfahrt des Superschnellzuges »Allegro«, der die Fahrzeit zwischen Helsinki und St. Petersburg auf etwas über drei Stunden reduziert. Ein willkommener Anlass für die Präsidentin, ihre Landsleute aufzufordern, sich Land, Leute und Kultur des großen östlichen Nachbarlandes intensiver als bisher zu erschließen.

Premier Putin plädierte dabei für massive gegenseitige Reiseerleichterungen. Schon beim Treffen mit Finnlands Ministerpräsidentin Mari Kiviniemi kurz zuvor hatte sich Putin nachdrücklich für für Visafreiheit zwischen beiden Ländern ausgesprochen. Sowohl die Präsidentin als auch die Premierministerin zeigten sich in dieser Frage interessiert, mussten Putin aber mit Blick auf geltende Verpflichtungen Finnlands zum Schutz der EU-Außengrenzen bremsen.

Ein – wie sich erst später zeigen sollte – höchst sensibles Thema wurde auf der abschließenden Pressekonferenz von Kiviniemi und Putin angesprochen: Im Interesse des immer umfangreicheren Umgangs von Finnen und Russen, insbesondere in den Grenzregionen, sprachen sich beide Regierungsspitzen für die Einführung von Finnisch bzw. Russisch in den Grundschulunterricht ihrer Länder aus. Dies rief jedoch in Finnland heftige Reaktionen hervor. Und zwar aufgrund des bereits seit längerem anhaltenden Streits um den Stellenwert des Schwedischen als zweite Nationalsprache.

Finnland war 1809 als Bestandteil Schwedens nach verlorenem Krieg an Russland gefallen. Bis in die 90er Jahre des 19. Jahrhunderts befleißigten sich die Zaren gegenüber den Finnen eines recht respektvollen Herrschaftsstils. So blieb neben dem Finnischen Schwedisch als Verwaltungssprache erhalten. Nach der in Folge der Oktoberrevolution 1917 erlangten staatlichen Unabhängigkeit Finnlands wurde Schwedisch als zweite Nationalsprache in der Verfassung verankert. Die Finnlandschweden verkörperten seinerzeit etwa 13 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes. Heute stellen sie mit etwa acht Prozent (370 000 Menschen) einen geringeren Anteil an Finnlands Einwohnerzahl (rund 5,8 Millionen).

Der Rückgang der schwedischsprachigen Bevölkerung in Finnland hat in letzter Zeit zu ungewohnt starken innenpolitischen Auseinandersetzungen geführt. Diese konzentrierten sich nicht nur auf die Frage, ob Schwedisch obligatorisches Fach in Schule und Hochschule bleiben soll. Vor allem mit Blick auf mögliche Rationalisierungen und das Einsparpotenzial bei Verwaltungs- und sozialen Infrastrukturen (u.a. schwedischsprachige Schulen und medizinische Einrichtungen) wurde um den Erhalt der bestehenden oder die Einrichtung neuer regionaler Einheiten gestritten.

Nun droht das Sprachenproblem in den Strudel des Wahlkampfes zum Reichstag im April 2011 zu geraten. So holte der ehemalige sozialdemokratische Premier Paavo Lipponen zum großen Schlag aus und griff dabei auf die Wortwahl des Kalten Kriegs zurück. Damals war das Streben finnischer Politiker nach einem möglichst konfliktfreien Verhältnis zur UdSSR als »Finnlandisierung« diskreditiert worden. Nun bezichtigt Lipponen die Premierministerin mit Blick auf das Schulfach Russisch, sie suche »ergebene Akzeptanz« bei Putin.

Dies sei »ein erschreckendes Beispiel für eine neue Finnlandisierung«, die für die Schüler im Osten des Landes zu einem Getto auf dem Arbeitsmarkt Finnlands und des gesamten Nordens führen würde. Bleibt eigentlich nur zu ergänzen, dass die Vorschläge für eine Einführung von Russisch als Schulfach ursprünglich aus Kommunen und Schulen Ostfinnlands selbst stammen.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Januar 2011


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