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Finnland auf der Suche nach Patchworkregierung

Deutliche Zugewinne für Rechtspopulisten / Koalitionsbildung offen

Von Dittmar Bodenstab, Tampere *

Am Tag nach der Parlamentswahl in Finnland sprachen die Medien des Landes angesichts des riesigen Zuwachses der Rechtspopulisten von einer »Revolution«. Die konservative Sammlungspartei wurde am Sonntag (17. April) stärkste Kraft vor den Sozialdemokraten. Die rechtspopulistische Partei Wahre Finnen verbuchte massive Zugewinne und rückte auf Platz drei.

Es ist schon erstaunlich, wie internationale – und finnische – Medien auf das Wahlergebnis reagieren: »Europaskeptische Rechtspopulisten als Wahlsieger«, »Erdrutschsieg« für die Rechtspopulisten, hieß es.

Der überwiegende Teil der Finnen aber ist entsetzt, dass die »Persut« (wenig salonfähiger Plural von »Hinterteil«) so viele Stimmen bekamen. Nicht wenige sind aber auch der Meinung, die Rechtspopulisten müssten in der Regierung »entzaubert« werden.

Tatsächlich haben die »Basisfinnen«, wie die Partei auch genannt wird, unter Timo Soini den größten Zuwachs im Vergleich zu den Wahlen 2007 erzielt. Historisch bedeutsamer ist aber, dass die Sammlungspartei unter dem bisherigen Finanzminister Jyrki Katainen erstmals in der Geschichte Finnlands stärkste Kraft wurde.

Traditionell wird Katainen wohl Premierminister, seiner Partei steht auf jeden Fall der erste Versuch einer Regierungsbildung zu. Die Frage bleibt, mit wem er koalieren will. Mit den Wahren Finnen bleiben die Schnittmengen selbst bei der im Wahlkampf viel diskutierten Europapolitik und den Finanzhilfen für schwächelnde Staaten recht gering, von anderen Themen ganz zu schweigen. Andererseits hat – mit Ausnahme der Grünen und des Linksbündnisses – keine andere Partei vor den Wahlen eine Zusammenarbeit mit den »Basisfinnen« ausgeschlossen. Damit sind theoretisch verschiedenste Bündnisse möglich.

Der Erfolg der Nationalpopulisten hat zu Wählerverlusten bei allen im Reichstag Finnlands vertretenen Parteien geführt. Die bislang stärkste Partei (Zentrum) wurde zum größten Verlierer; nach zehn Jahren Regierungsverantwortung wird sie wohl in die Opposition gehen, wie Noch-Premierministerin Mari Kiviniemi schon am Wahlabend mitteilte. Außer der Schwedischen Volkspartei in Finnland und den »Basisfinnen« mussten infolge der Abstimmung mit stolzen 70,4 Prozent Beteiligung alle Parteien teils deutliche Einbußen ihrer Sitze im Reichstag hinnehmen.

Das betraf auch die Grünen, die bisher an der Regierung beteiligt waren. Im Gegensatz zu ihrer deutschen Schwesterpartei haben die finnischen Grünen nicht von der Diskussion um die Nutzung der Kernkraft profitieren können: Das Festhalten an bisherigen Ministerposten trotz der jüngsten Regierungsbeschlüsse zum Ausbau der Kernenergie hatte nicht gerade zu ihrer Glaubwürdigkeit beigetragen. Umweltfragen blieben überhaupt zweitrangig im Wahlkampf. Mehr Gewicht hatte die finanzpolitische Debatte um Island, Griechenland und Portugal. Mit der Ablehnung von EU-Zahlungen an diese Staaten konnten die Wahren Finnen eine große Zahl Wähler ködern.

Immer noch auf Identitätssuche ist das Linksbündnis unter Paavo Arhimäki. Trotzdem konnten die Linken gegenüber ihren direkten Konkurrenten, den Grünen, Boden gutmachen.

Die Gespräche zur Regierungsbildung werden sich vermutlich schwierig gestalten. Statt bislang zwei der »drei Großen« meint man nun, drei der »vier großen Parteien« für eine stabile Mehrheit zu brauchen. Damit läge man durchaus in der Tradition: Regenbogenregierungen und komfortable Mehrheiten gehören zur langjährigen Praxis im PISA-Musterland.

Auch ein anderer Fakt ist durchaus finnisch: Die Zahl der weiblichen Abgeordneten ist auf ein neues historisches Hoch von 43 Prozent gestiegen.

Die Basisfinnen sind übrigens vorwiegend von Männern gewählt worden. Ein Schelm, der da einen Zusammenhang mit der jüngst auch in Finnland entdeckten Bildungsschwäche der männlichen Schüler sieht.

* Aus: Neues Deutschland, 19. April 2011

Unterschätzt

Timo Soini - der Rechtspopulist machte seine Wahren Finnen zur drittstärksten Partei **

Sein Programm hat er in zwei Sätzen zusammengefasst: »Wir waren bisher zu weich gegenüber Europa. Das muss sich ändern.« Mit markigen Sprüchen hat Timo Soini seine Rechtspopulisten zum eigentlichen Sieger der Reichstagswahlen in Finnland gemacht. Knapp ein Fünftel der Stimmen hatten die Wahren Finnen eingefahren, damit einen Zuwachs von 15 Prozentpunkten gegenüber den vergangenen Wahlen erzielt und sich unmittelbar hinter Sammlungspartei und Sozialdemokraten als drittstärkste Partei Finnlands platziert.

Das Erschrecken bei vielen Finnen über das Stimmenhoch für Soini ist groß. Wohl auch, weil kaum jemand dem Politikwissenschaftler und früheren Journalisten den Erfolg zutraute. Die Medien beschränkten sich zumeist darauf, Soini als katholischen Außenseiter im protestantischen Suomi und übergewichtig zu beschreiben, – und ihm eine Vorliebe für die Sauna zu attestieren (nicht ganz ungewöhnlich für einen Finnen). Dabei hätte man die Karriere des 48-Jährigen durchaus voraussehen können: Nach Stationen in der Führung der Bauernpartei, im Stadtrat von Espoo und im Reichstag sitzt er seit 2009 als Abgeordneter des EU-Parlaments in der rechten Fraktion »Europa der Freiheit und der Demokratie«, die die EU am liebsten abschaffen würde. In Brüssel machte er sich in jüngster Zeit vor allem mit Anträgen gegen den Euro-Stabilitätsfonds und Zahlungen an schwächelnde EU-Staaten einen Namen. Dieses Thema fiel auch bei seinen Landsleuten auf fruchtbaren Boden. Als Exportnation ist Finnland besonders stark von der Krise betroffen. Nach 20 Jahren Talfahrt konnte die Wirtschaft erst in den vergangenen Monaten minimale Zuwachsraten erzielen, die Arbeitslosigkeit liegt bei über acht Prozent und der Sozialstaat ist weitgehend geschleift..

Angesichts dessen hielten es die Spitzen der anderen großen Parteien für gefährlich, den Aufrufen Soinis, kein Geld an die »Faulpelze« im Süden Europas zu geben, zu widersprechen. Im Gegenteil: Der Wahre Finne wurde zum moderaten Rechten gestempelt, mit dem man durchaus koalieren könne. Schließlich habe der Mann aus dem südfinnischen Rauma ja nicht gegen Ausländer gewettert. Das überlässt er seinen Funktionären und Parteigängern.
Uwe Sattler

** Aus: Neues Deutschland, 19. April 2011




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