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Wohin mit der Burka?

Eine kleine Philosophie der Verschleierung in Frankreich

Von Anaïs Meyer *

Heute wird in Belgien das Parlament darüber entscheiden, ob die Ganzkörperverschleierung verboten werden soll. Die Chancen stehen gut – im Innenausschuß haben sich alle Parteien dafür ausgesprochen. Die Verbotsfront reicht von den Sozialisten über die Grünen bis zu den flämischen Rechtsextremen.

Damit wäre Belgien der erste Staat Europas, in dem das Tragen der sogenannten Burka in der Öffentlichkeit untersagt wäre. Aller Voraussicht nach wird Frankreich folgen. Dort wird das Thema schon seit längerem diskutiert. Ein Verbot der Burka wäre »eine neue Methode, um thematische Amalgame zu schaffen, die eigentlich keine sind« wie zum Beispiel Araber und Moslems oder Islam und Islamismus, sagt Fouad Alaoui, der Generalsekretär der UOIF (Union der islamischen Organisationen in Frankreich). In einem offenen Brief hat die feministische Philosophin Elisabeth Badinter erklärt, daß die Burka-Trägerinnen »die demokratischen Freiheiten gegen die Demokratie« selbst wenden würden. Wer ihrer Meinung nach in Frankreich eine Burka trägt, ist entweder besonders provokativ oder ignorant unterwegs, denn das wäre wie eine »Ohrfeige für die unterdrückten Schwestern«, beispielsweise im Iran oder in Afghanistan. Auch für den stets kriegsinteressierten ewigen Ex-Jean-Paul-Sartre-Sekretär Bernard-Henri Levy ist die Burka »eine Botschaft der Unterwerfung und der Niederlage der Frau«. Solches Pathos klingt der Bürgerrechtsorganisation SOS Racisme sehr verdächtig, für sie wäre ein Verbot der Burka geradezu absurd, so lange die Gesellschaft nichts gegen die Gründe für den wachsenden Islamismus in Frankreich unternimmt wie die Perspektivlosigkeit der arabischen Jugend vor dem Hintergrund von konstanter Arbeitslosigkeit und konstanter Diskriminierung.

Bedenkt man die geringe Zahl von Burka-Trägerinnen in Frankreich (das Innenministerium gibt sie mit etwa 2000 an), ist die Diskussion über das Burka-Verbot ein steter Quell für endlose Debatten quer durch alle Parteien. Im Kern geht es um die Frage, was wichtiger ist: die Prinzipien der Republik oder der Demokratie? Einerseits verlangt die laizistische Tradition, davon auszugehen, daß alle Menschen in der Öffentlichkeit gleich sind und ihre Religion Privatsache ist. Andererseits verlangen die Verteidiger der demokratischen individuellen Freiheit, daß man es niemandem vorschreiben darf, wie man sich in der Öffentlichkeit kleidet. Dahinter steckt das Problem, wie soll sich Frankreich selbst verstehen? Was heißt »Liberté, égalité, fraternité« 2010? Frei für was? Gleich womit? Brüderlich mit wem?

Eine ähnliche Debatte fand 2004 statt, als der damalige konservative Staatspräsident Jacques Chirac ein Verbot des Tragens »auffälliger religiöser Symbole« an öffentlichen Schulen durchsetzte. Kippa, große Kruzifixe und Kopftücher mußten fortan draußen bleiben. Nach anfänglicher Aufregung wurde es für die Schüler ganz normal, darauf zu verzichten. An der religiösen Front herrschte Ruhe, bis im Juni 2a009 einige Parlamentsabgeordnete den Kampf gegen den Schleier eröffneten. Den Anfang machte der kommunistische Parlamentarier André Gérin, der dieses Outfit für »entwürdigend« befand und zusammen mit sechzig Abgeordneten aller politischen Parteien, darunter vor allem 43 ­Mitglieder der UMP, der konservativen Partei Sarkozys, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß über das Tragen von Burka und Niqab (ein Schleier, der außer den Augen das gesamte Gesicht verdeckt ) initiierte. Und wie immer, wenn in Frankreich scheinbar die ganz großen Fragen diskutiert werden, kommt Präsident Nicolas Sarkozy aus dem Elysée-Palast geschossen wie ein verhungerter Hund und möchte auch zur Kenntnis genommen werden – diesmal überraschenderweise als Universalfeminist: »Zu lange haben wir die Verletzung des Laizismus und der Gleichheit zwischen Frauen und Männern ertragen«, sagte er im März. Bekanntlich hängt Sarkozy seine Fahne nicht in den Wind, nein, er ist eine echte Windfahne. Noch im Sommer 2009 hatte er in Kairo neben Barack Obama damit geprahlt, daß die Frauen in Frankreich sich kleiden könnten, wie sie möchten, die Genehmigung vom Präsidenten der Toleranz hätten sie jedenfalls.

Anfang des Jahres fragte dann Sarkozys Premiermister Francois Fillon beim französischen Staatsrat an, inwieweit es gesetzlich möglich wäre, die Burka zu verbieten. Der »Conseil d’État«, die höchste Justizgewalt der französischen Verwaltung, verkündete Ende März, daß ein allgemeines Verbot der Burka nicht verfassungskonform sei. Denn dadurch seien das Recht auf Privatleben wie auch das Recht auf freie Religionsausübung, die in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 garantiert werden, verletzt. Wer also im Namen der Rechte, der Würde und der Freiheit der Frau ein Gesetz gegen die Burka einführen möchte, bekommt dies im Namen der Rechte, der Würde und der Freiheit der Frau untersagt. Diese Stellungnahme ist jedoch nicht bindend, da der Staatsrat lediglich beratende Funktion hat. Trotzdem empfiehlt der Staatsrat ein partielles Verbot – und zwar aus Sicherheitsgründen. So würden Burka-Frauen an bestimmten öffentlichen Orten, z.B. auf Flughäfen und Bahnhöfen, in Banken oder Juwelierläden gegen die öffentliche Sicherheit verstoßen – weil man nicht weiß, was sie sonst noch anhaben. Wie auch in anderen europäischen Staaten soll auch in Frankreich ein diffuses Bedürfnis nach »mehr Sicherheit« Grundrechte außer Kraft setzen. Am 12.Mai wird im Parlament ein Anti-Burka-Gesetz debattiert, das Ende Juni in Kraft treten soll, um ein »möglichst weit ausgedehntes« Verbot der Burka zu erlassen, so die französische Regierung.

In Belgien ist geplant, das Tragen der Burka mit bis zu 25 Euro oder höchstens sieben Tage Haft zu bestrafen. Wie aber kann man wissen, ob diese Frauen die Burka bewußt tragen oder ob sie nicht von ihrem Ehemann dazu gezwungen wurden? Oder dürfen sie ohne Burka gar nicht mehr das Haus verlassen? Steigert ein solches Verbot nicht ihre Isolation?

Bemerkenswerterweise kämpft eine verschleierte Frau gegen die Burka in Saudi-Arabien, in dem sie im Fernsehen von Abu Dhabi dagegen Gedichte aufsagt. In der populären Casting-Poeten-Show »Dichter für Millionen« las Hissa al-Hilal Anfang April ein »Gedicht gegen den Extremismus«, in dem sie radikale Geistliche mit Selbstmordattentätern verglich – ein Skandal. Auch wenn sie nur verschleiert auftreten kann, wünscht sich die 43jährige ein Leben ohne Burka für ihre beiden Töchter. In der arabischen Welt ist die Befreiung der Frau anders als Westeuropa eine poetische Idee.

* Aus: junge Welt, 22. April 2010


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