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Ein Verbot und kein Ende der Debatte

Während in Frankreich das Burka-Verbot in Kraft trat, prüfen andere Staaten ähnliche Schritte

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Das im Herbst 2010 vom französische Parlament verabschiedete »Gesetz über das Verbergen des Gesichts« ist am Montag in Kraft getreten.

Das neue Gesetz betrifft theoretisch auch zweckentfremdete Karnevalsmasken oder vors Gesicht gezogene Kapuzen, doch jedermann weiß, dass es einzig auf Burka oder Nikab zielt, die Ganzkörperschleier muslimischer Frauen, die nur einen schmalen Schlitz für die Augen frei lassen. Das Verbot gilt für jegliches Auftreten in der Öffentlichkeit, also auf der Straße und in Parks, in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf dem Bahnhof, in Läden, im Postamt oder bei Behörden. Damit ist das Tragen der Burka nur noch in Moscheen, zu Hause und im privaten Auto erlaubt – vorausgesetzt, die Frau steuert nicht selbst, weil sie nicht die nötige Übersicht über das Verkehrsgeschehen hätte. Bei Verstößen droht das Gesetz eine Geldstrafe bis zu 150 Euro und den Pflichtbesuch eines Kurses über Rechte und Pflichten der Bürger an.

Umfragen zufolge sind etwa zwei Drittel der Franzosen mit dem Verbot einverstanden, weil die Verschleierung ihrer Meinung nach eine demonstrative Ablehnung jeglicher Integration in die Gesellschaft zum Ausdruck bringt. Dass die Verschleierung oft sehr bewusst geschieht sieht man schon daran, dass die meisten dieser Frauen erst nach 2009 zum Ganzkörperschleier gegriffen haben – als Reaktion auf die verstärkte Stigmatisierung der Muslime durch die rechte Regierungspartei UMP und die rechtsextreme Front National. Das Argument, es handele sich beim Tragen des Schleiers um ein religiöses Gebot, wird von den Imamen aller großen Moscheen in Frankreich zurückgewiesen.

Die Zustimmung zu dem Gesetz geht durch alle Parteien, wenn auch mit Nuancen. So befürwortet auch die Kommunistische Partei das Verbot des Ganzkörperschleiers, der ein »Symbol der Unterwerfung, der Erniedrigung und der Verletzung der Würde der Frauen« sei. Die FKP hätte es jedoch vorgezogen, wenn das Verbot Teil eines umfassenden Gesetzes über die Durchsetzung der Rechte der Frauen gewesen wäre. Kritiker des Gesetzes geben zu bedenken, dass die Frauen meist selbst Opfer ihrer Männer oder ihrer Umgebung sind und dass man vor allem dort ansetzen müsste. Zudem gebe es in ganz Frankreich mit seinen 63 Millionen Einwohnern nur etwa 2000 Burka- oder Nikab-Trägerinnen.

Die Polizisten oder Gendarmen, die sich einer tief verschleierten Frau gegenübersehen, dürfen sie gemäß neuem Gesetz nur auffordern, aber nicht zwingen, ihr Gesicht freizumachen. Sollte sie der Aufforderung nicht Folge leisten, kann sie zur Personenkontrolle aufs Revier gebracht werden. Zeigt sie sich auch dort uneinsichtig, muss der Staatsanwalt eingeschaltet werden. Die Polizisten, auf die sich nun alle Blicke richten, sind verunsichert und skeptisch, ob und wie das Gesetz umzusetzen ist. Der Generalsekretär der Gewerkschaft der Polizeikommissare, Manuel Roux, brachte das auf den Punkt: »Die Polizisten sollen überzeugen und nur im Extremfall strafen, doch darauf sind sie nicht vorbereitet. Dieses Gesetz ist extrem schwer anzuwenden.«

Einen Vorgeschmack gab eine Aktion am Montag, als sich ein halbes Dutzend tiefverschleierter Frauen zusammen mit ihren Männern auf dem Vorplatz der Pariser Kathedrale Notre-Dame einfanden und den zuvor verständigten Medien gegenüber gegen das Gesetz protestierten, das ihrer Meinung nach gegen das Grundrecht auf ungehinderte Religionsausübung verstößt. Erst nach einer Viertelstunde fanden sich Polizisten ein, die die Frauen und ihre Begleiter zur nahen Polizeipräfektur geleiteten. Dabei beriefen sich die Polizisten allerdings nicht auf das neue Gesetz, sondern darauf, dass es sich um eine »nicht angemeldete und daher nicht genehmigte Demonstration« handelte. Nach einigen Stunden wurde die Gruppe freigelassen, ohne dass eine Strafe verhängt oder ein Verfahren eingeleitet worden war.

Die Frage, wie mit der Verschleierung muslimischer Frauen umgegangen werden soll, ist aber auch in anderen Ländern Europas aktuell. Allerdings ist Frankreich das erste Land, das ein entsprechendes Gesetz erlassen hat und das nun damit leben muss, dass ganz Europa aufmerksam beobachtet, wie Paris mit dem Problem umgeht und fertig wird – oder nicht. In Belgien gibt es zwar noch kein Gesetz, aber einzelne Kommunen, darunter mehrere Brüsseler Stadteile mit hohem Ausländeranteil, haben bereits auf eigene Faust das Tragen von Burka und Nikab verboten. In Dänemark hat die rechtsbürgerliche Regierung angekündigt, dass sie die Verschleierung »bekämpfen« will. Zwar ist zurzeit kein Gesetz geplant, aber man will in Schulen und Behörden energisch gegen Ganzkörperschleier vorgehen. Ein gesetzliches Verbot wird dagegen in den Niederlanden vorbereitet. Es soll vorrangig Schulen, Universitäten und Einrichtungen des Öffentlichen Dienstes betreffen.

In Italien gibt es bereits seit 1975 Vorschriften zum »Schutz der öffentlichen Ordnung«, die auch ein »Vermummungsverbot« für alle öffentlichen Einrichtungen einschließt – was gleichermaßen für Motorradhelme wie Schleier gilt. Die an der Regierung beteiligte rechtspopulistische Lega Nord hat 2009 einen Gesetzentwurf eingebracht, um Ganzkörperschleier ausdrücklich zu verbieten. In der Schweiz hat es nach dem erfolgreichen Referendum gegen Minarette auch einen Vorstoß für ein gesetzliches Burka-Verbot gegeben, dem sich die Regierung aber bislang widersetzt. In Österreich wird diese Frage in der Öffentlichkeit diskutiert und die Frauenministerin hat ein Burka-Verbot in Aussicht gestellt, »aber nur, wenn die Zahl der verschleierten Frauen deutlich zunimmt«.

* Aus: Neues Deutschland, 15. April 2011


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