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Front National im Aufwind und mit großen Ambitionen

Frankreichs Rechtsradikale sehen sich schon im Zentrum der Politik

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Die rechtsradikale Front National verzeichnet in der französischen Bevölkerung zunehmend Aufgeschlossenheit für ihre politischen Losungen. Die konservative Einheitspartei UMP sucht nun den Schulterschluss.

Illegale Einwanderung unerwünschter Ausländer, steigende Kriminalität und Unsicherheit – mit diesen Themen punktet die Front National (FN) dieser Tage in Frankreich. Die Parteivorsitzende Marine Le Pen spricht gar von einer »Entdiabolisierung«. Man könne jetzt dazu übergehen »wie jede andere« Partei aufzutreten, sagte die Tochter des Parteigründers Jean-Marie Le Pen zum Abschluss der Sommeruniversität der Rechtsradikalen am vergangenen Wochenende in Marseille mit 1700 Funktionären und Mitgliedern. Zu Le Pens Rede kamen sogar mehr als 5000 Menschen.

Die Europaabgeordnete forderte ihre Anhänger auf, die Unzufriedenheit breiter Kreise der Bevölkerung mit der Bilanz der 2012 abgewählten rechten Regierung als auch ihre Enttäuschung über die nicht eingelösten Versprechen des neuen Präsidenten François Hollande sowie die unsoziale Politik seiner Linksregierung, bei den Europa- und Kommunalwahlen 2014 in Stimmenergebnisse umzumünzen.

Landesweit rechnet die Partei damit, mehr als 1000 Stadt- und Gemeinderatssitze zu erobern und in etwa einem Dutzend Städte und Gemeinden den Bürgermeister zu stellen. Regionen, in denen die Partei besonders stark ist, sind die Umgebung von Marseille und die Cote d'Azur, das Elsass und der Nordwesten. »Mit uns wird man rechnen müssen. Wir sind nicht mehr am Rande, sondern im Zentrum«, rief Marine Le Pen aus.

Die jüngsten Diskussionen bei der rechten Einheitspartei UMP über das Verhältnis zur FN scheinen ihr Recht zu geben. Ex-Premier François Fillon hatte kürzlich eine Lawine losgetreten, als er in einem Interview erklärte, wenn es im zweiten Wahlgang nur noch zwischen einem sozialistischen und einem rechtsradikalen Kandidaten zu wählen gelte, dann würde er für den »weniger sektiererischen der beiden« stimmen. Damit kündigte er erstmals das ungeschriebene Prinzip der »republikanischen Front« aller demokratischen Parteien gegen die FN auf. Und er ließ die Tür für ein Zusammenwirken offen – in welcher Form auch immer.

Die Geste des ehemaligen Regierungschefs war kein verbaler Ausrutscher, sondern Taktik. Schließlich will er 2017 als Präsidentschaftskandidat der UMP antreten und wird da möglicherweise in Konkurrenz zum Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy stehen.

Jener stand bisher weiter rechts als Fillon, der den Ruf eines eher versöhnlichen und dem Zentrum zugeneigten Politikers loswerden will. Für andere führende UMP-Politiker kommt dieser Rechtsschwenk ungelegen. Alain Juppé »bedauert« die »zweideutigen Äußerungen« seines Parteifreundes und fordert ihn auf, »für Klarheit zu sorgen«. Er fürchtet, dass die UMP »in eine Diskussion gezogen wird, die letztlich nur der FN in die Hände spielt«. Fillon rückt derweil von seiner Äußerung nicht ab, betont aber, dass er FN-Wähler »zurückholen« wolle. Bestärkt wird er durch eine neue Umfrage, der zufolge 70 Prozent der Anhänger der UMP eine Zusammenarbeit mit der FN befürworten würden, um so »nachhaltig die Linke von der Macht fernzuhalten«.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 21. September 2013


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